So langsam gewöhnte Nat sich daran , aus Ohnmachten irgendeiner Art aufzuwachen.
Mal verzaubert, mal von der Sonne verbrannt und jetzt selber geschwächt.
Es war ja nicht so, dass das Spaß machte. Eine kurze Bestandsaufnahme - alle Körperteile noch dran und funktionsfähig.
Vorsichtiges Öffnen der Augen. Keine Waffen die auf ihn gerichtet waren. Kein Hängen an einem Seil, kein Taumeln an einem Abgrund und – er spürte das Schwanken des Untergrundes – keine Planke, über die man geschickt wurde.
Stattdessen sah er in das rote glänzende Gesicht von Alda, der Köchin, die ihm mit einem feuchten Tuch das Gesicht wischte.
Sie hatte einen Arm unter seinen Kopf geschoben und rieb ganz vorsichtig mit dem kühlen Lappen über Wangen und Nase.
Er musste niesen, als ihn ein loser Faden unter der Nase kitzelte.
Erschrocken riss Alda das Tuch von seinem Gesicht und blickte ihn mit weit aufgerissenen Augen an.
„Hallo.“ Er versuchte zu grinsen. „Liege ich immer noch so auf dem Deck herum oder wohin hat es mich inzwischen verschlagen?“
Alda lächelte, dann schob sich ein Schatten vor die Sonne.
Langsam drehte Nat den Kopf und richtete seinen Blick auf Tally, die sich vor ihm aufgebaut hatte.
„So, du bist also nicht nur stinkendes Treibgut. Du bist auch noch seltsames stinkendes Treibgut.“
Alda schaut ihre Captrecce strafend an.
„Aber immerhin hast Du anscheinend meinen Smutje gerettet. Vielleicht sollte ich doch das Risiko eingehen, dir einmal zuzuhören.“
Sie wandte sich zu der Köchin, die sich erhoben hatte und abwartend neben Nat stand.
„Bring ihn in meine Kabine. Und ich will das Odu dabei ist.“ Sie drehte sich um und verschwand durch die nahe Tür.
Alda half Nat auf die Beine.
„Ich weiß nicht wie du das gemacht hast. Und ich weiß nicht warum du das gemacht hast, aber vielen Dank für die Rettung.“
„Ich danke auch für meine Rettung.“ Nat lächelte sie mit seinem herzlichsten Lächeln an.
Es blitzte in Aldas Augen auf.
„Das war nur ein Aufschub, jetzt liegt es an dir, für deine Rettung zu sorgen.“
Sie drehte sich um und ging zu Odu, der an einer der Enterluken stand und das Verladen der wenigen wertvollen Güter überwachte, die man von dem geenterten Schiff herüberschaffte.
Ein Mann sprang durch eine der anderen Luken und eilte zu Odu. Er flüsterte Odu etwas ins Ohr, worauf hin dieser nickte.
Auf seine Handzeichen wurde das Verladen eingestellt und er trat auf die Enterluke hinaus.
„ALLE MATROSEN DIESES SCHIFFES, DIE BEREIT SIND IHREM BISHERIGEN HERRN ZU ENTSAGEN UND SICH UNS ANZUSCHLIEßEN, KOMMEN JETZT HIER HERÜBER!
WIR LEGEN AB!“
Er wartete noch einige Momente und tatsächlich sprangen noch drei Männer auf die Luken und traten in das Piratenschiff.
Dann wurden die Enterhaken gelöst und die Schiffe trieben auseinander.
Odu ließ die Segel hissen. Sofort nahm das Piratenschiff Fahrt auf.
Er blieb in der offenen Luke stehen und sah zu dem grauen Schiff hinüber.
Dort bemühte man sich die wirr herumliegenden Taue zu ordnen und die Trümmerteile über Bord zu stoßen.
Als das Piratenschiff etwa zehn Schiffslängen entfernt war, zerriss eine Explosion die abwartende Stille. Das graue Schiff wurde regelrecht aus dem Wasser gehoben und brach in der Mitte durch. Es sank in wenigen Augenblicken. Nur Trümmerteile und einige Überlebende trieben noch an der Oberfläche.
Und es dauerte nur einen weiteren kurzen Moment und der schlanke Körper eines Leviathans durchstieß die bewegten Wellen. Das Ziel, auf das er sich stürzte war von hier aus nicht zu erkennen. Um die Überlebenden mussten die Piraten sich somit keine Gedanken mehr machen.
Nat blickte Odu entgegen, der mit versteinertem Gesicht auf ihn zutrat. In den Augenwinkeln des vierschrötigen Mannes glitzerte es.
„Das ist nicht das Handwerk eines echten Kämpfers, nicht einmal das eines echten Piraten. Ist die Situation hier wirklich so verzweifelt, dass solche Gräuel notwendig sind?“ Nat schüttelte verächtlich den Kopf.
Einen Moment lang sah es so aus, als würde Odu zuschlagen.
Dann seufzte er auf und senkte den Kopf.
„Nein, das ist eines Piraten nicht würdig. Und ja, die Situation ist so verzweifelt. Aber über alles Weitere solltest du mit Tally sprechen.“
Er fasste Nat an der Schulter und schob ihn zur Tür.
Tally saß in einem hochlehnigen Stuhl und hatte die Füße auf einen massiven Tisch mit einer großen zerkratzten Tischplatte gelegt.
Die Kabine war zweckmäßig eingerichtet. Eine schmale Schlafpritsche, ein hoher Schrank und vier Stühle, die um den Tisch gruppiert standen.
Über dem Tisch hing eine bauchige Petroleumlampe, die leicht schaukelte.
Nat konnte sich gut vorstellen, dass an diesem Tisch schon so manche Besprechung abgehalten worden war.
Unter dem niedrigen Fenster, das zum Heck des Schiffes hinausging, standen zwei schwere Kisten die mit großen Vorhängeschlössern gesichert waren.
Tally sah an Nat vorbei zu Odu hin.
„Alles wie immer.“Odus Stimme klang rau.
Tallys Kopf sank für einen Moment herab, ein Schauder lief durch ihren Körper. Dann hob sie den Kopf und blickte Nat fest an.
„So Treibgut, jetzt wollen wir uns mit dir befassen. Woher kommst du, was tust du hier und warum triebst du im Wasser wie eine Alge?“
In Nats Kopf schossen die Gedanken hin und her. einen Moment lang überlegte er, eine Geschichte zu erfinden und Tally und ihren ersten Offizier zu belügen.
Aber zum einen würde es wohl sein Ende bedeuten, wenn sie erkennen würden, dass er sie belog.
Und zweitens wusste er nichts darüber, warum er hier war und welche Aufgaben er zu erfüllen hatte. Vielleicht konnten diese Piraten ihm dabei helfen, mehr über seine Aufgaben heraus zu finden.
Auch Jargo hatte ihm da nicht weiterhelfen können, weil er nur der Aufforderung des Orakels gefolgt war, ihn zum Fernen Kontinent zu bringen. Was er da sollte war völlig unklar.
Somit konnte Nat auch keine Dinge verraten, die die Piraten nichts angingen.
Nat sah Tally ruhig an. Ihre Schönheit war wirklich atemberaubend, aber es lag auch eine Härte und Traurigkeit über ihrem Gesicht, die in Nat den Wunsch weckte, diese Züge wegzuwischen.
„Ich komme aus der Alten Welt. Ich bin in einem Konvoi aus drei Schiffen durch den Übergang gekommen. Wir wurden aber auf der anderen Seite von drei grauen Schiffen erwartet. Wir hatten es fast geschafft, den Kampf zu gewinnen, weil wir einen Magier an Bord hatten, dem es mehrfach gelang, die Salven der anderen Schiff abzuwehren.“
Wie ein Kloß stieg die Bitterkeit in Nats Hals auf, aber er scheute sich von der besonderen Beziehung zu sprechen, die er zu Jargo gehabt hatte und die immer noch in ihm klang.
„Unsere Begleitschiffe waren vernichtet, aber wir hatten die drei Angreifer schwer beschädigt oder zerstört, als aus dem Nebel ein großes schwarzes Schiff hervorbrach.“
Tally richtete sich in ihrem Stuhl auf. In seinem Rücken hörte Nat, wie Odu scharf die Luft einzog.
„Noch einmal gelang es unserem Magier eine Salve abzuwehren, aber dann war das gegnerische Schiff zu dicht heran und wir wurden geentert.“
Nat schluckte und er spürte, wie ihm die Tränen in die Augen schossen.
„Der Magier, Jargo, belegte mich mit seiner letzten magischen Kraft mit einem Zauber und stieß mich über Bord. Ich ergriff den Teil eines Mastes, auf dem ihr mich gefunden habt und versuchte, so schnell wie möglich fort zu kommen.“
Seine Stimme brach.
Halt suchend stützte er sich auf den Tisch.
Odu war einen Schritt auf Nat zugetreten und sein Blick schien den jungen Mann zu durchbohren.
„Wie, sagtest du, hieß dieser Magier?“
Langsam richtete Nat sich wieder auf und fuhr sich mit der Hand über das Gesicht.
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