… Rrordraks Kopf fuhr hoch, während ein leichtes Hämmern in seinen Schläfen einsetzte.
Nat spürte, wie Kräfte durch seinen Körper strömten, die Wunde an der Schulter verkrustete in wenigen Augenblicken und schloss sich, die verbrannten Hautstellen heilten und der Schorf fiel ab wie Staub.
Die gespannte Haut in seinem Gesicht beruhigte sich und seine Züge wurden wieder ebenmäßig und glatt.
Die Köchin fiel hintenüber aufs Deck und kroch auf Händen und Füßen rückwärts, bis sie gegen ein Fass stieß. Sie riss die Hand hoch und keuchte erschrocken.
Dann hob Nat die Arme, als würde er sich nach einem langen Schlaf recken und strecken. Sein Körper beruhigte sich und er nahm seine Umgebung wieder wahr.
Er setzte sich mit dem Rücken gegen die Holzwand und blickte die Köchin unverwandt an.
Um sie herum kam der Kampf langsam in die heiße Phase. Die erste Salve der Geschütze des Piratenschiffs hatte fast die gesamte Backbordbatterie des grauen Patrouillenschiffes ausgeschaltet. Mit einer schnellen Wende, die man diesem hohen, massig wirkenden Schiff niemals zugetraut hätte, schaffte es das Piratenschiff auf der Backbordseite des Gegners zu bleiben und diesem die voll kampfbereite Steuerbordseite zuzuwenden.
„FEUER!“
Der Geschützführer auf dem Kanonendeck presste sich beide Hände gegen die ohnehin fast tauben Ohren und beobachtete, wie die Kugeln auf dem Schiff des Gegners einschlugen.
Die Salve war zum perfekten Zeitpunkt abgefeuert worden. Auf dem grauen Schiff herrschte ein heilloses Durcheinander. Zerfetzte Segel, zerrissene Taue, Mast- und Metallteile und tote oder verletzte Körper lagen überall auf den Decks herum.
Das Piratenschiff war jetzt dicht heran.
An der Mastspitze war eine Flagge aufgezogen worden, die einen Totenkopf zeigte, der ein rotes Kopftuch trug.
Mit weit ausholendem Schwung ließen die Entermannschaften die Seile fliegen. Dann zogen sie die Seile durch kleine Scharten in der Schanzverkleidung und hakten sie in Flaschenzüge, die auf dem Deck des Schiffes befestigt waren.
Durch die Umlenkrollen der Flaschenzüge erreichten sie mit einem Minimum an Anstrengung ein Maximum an Zugkraft.
In Sekunden war das gegnerische Schiff herangepullt worden und die Enterplanken klappten herunter.
Die Entermannschaften stürmten johlend und schreiend über die Planken und sprangen auf das tiefer liegende Deck.
Es schlug ihnen kaum Widerstand entgegen, innerhalb weniger Momente sanken die Waffen der Verteidiger und sie ergaben sich in ihr Schicksal.
Tally hatte sich an einem Seil auf das andere Schiff herüber geschwungen und dort wie eine Katze die Wanten geentert, um Bogenschützen anzugreifen, die von dort aus ihre Leute unter Feuer nahmen.
Jetzt landete sie federnd auf den Deck des Schiffes und trat vor den Kapitän, der, von dem Klotz zu Boden gedrückt wurde.
„Ich hoffe, ihr seid mit einer Kapitulation einverstanden und erwartet kein Duell oder eine ähnlich ehrenvolle aber alberne Behandlung!?!“
Auf ihr Zeichen hin ließ der Klotz den Mann los, der auch sogleich auf die Beine sprang.
Der Kapitän war ein mittelgroßer Mann mit einem arroganten Gesicht und einem winzigen, sorgfältig gestutzten Bärtchen über der Oberlippe.
„Ein Duell, ja ein Duell. Ich kämpfe gegen euren Kapitän und wenn ich gewinne, bekommen wir freien Abzug.“
Seine Stimme überschlug sich fast.
Mit einem Lächeln deutete Tally auf einen Degen, der am Boden lag und hob ihren Säbel.
„Ich bin die Captrecce des Schiffes und es wird mir eine Freude sein, euch für ein Duell zur Verfügung zu stehen.“
Ein hinterhältiges Grinsen huschte über das Gesicht des Mannes, als er seinen Degen aufhob.
Er deutete eine Verbeugung an, dann stach er aus der Bewegung heraus zu.
Mit einer kurzen Drehung des Oberkörpers wich Tally dem Stich aus und schlug ihrem gegenüber mit der flachen Seite des Säbels auf die Hand. Klappernd fiel sein Degen zu Boden.
„Nicht so hastig.“ Sie trat einen Schritt zurück und blickte den Kapitän des gegnerischen Schiffes ruhig an.
„Ihr müsst euren Degen festhalten, sonst könnt ihr doch nicht kämpfen.“
Zitternd vor Wut nahm der Mann erneut seine Degen auf. Ein erstes Zeichen von Unsicherheit flackerte in seinen Augen auf.
Wieder nahm er Aufstellung und griff Tally mit ungestümen Hieben und schnellen Stichen an.
Mühelos parierte sie seine Angriffe mit dem schwereren und unhandlicheren Säbel.
Als der Kapitän einen Faustschlag mit der linken Hand setzen wollte, wich sie ihm elegant aus und ließ ihn ins Leere taumeln. Sie zog ihm den Säbel leicht über das Hinterteil, so dass die Hose zerriss und aufklaffte.
„Tally, ich glaube, das solltest du dir ansehen!“
Die Köchin des Piratenschiffs war an einer der offenen Enterluken aufgetaucht und winkte ihrer Captrecce mit der Hand. Tally blickte nach oben und winkte kurz zurück.
Der vor Wut und Angst zitternde Kapitän des grauen Patrouillenschiffes sah seine Chance und warf sich nach vorne. Er stach mit seinem Degen nach Tally, die ihm halb den Rücken zuwandte.
Mit einer eleganten Bewegung vollendete sie die Drehung, wodurch sie dem Stich entging.
Sie schwang ihren Säbel herum und stieß ihn dem stolpernden Mann tief in den Rücken. Die Waffe glitt an einer Rippe ab und durchstieß das Herz des Mannes. Er war tot, bevor er auf dem Deck aufschlug.
„Alda, Alda, Alda.“ Tally schüttelte bedauernd den Kopf. „Da hast du uns aber den Spaß verdorben, diesen eingebildeten Laffen noch ein bisschen herumtaumeln zu lassen. Es wäre eine Freude gewesen, ihn ganz langsam in Stücke zu schneiden.“
Sie drehte sich zu dem Klotz um, der wie immer in ihrer Nähe stand.
„Odu, du weißt was zu tun ist. Alle die wirklich zu uns wechseln wollen können auf unser Schiff kommen, die anderen können weitersegeln.“ Dabei zwinkerte sei ihrem ersten Offizier zu. „Und vorher schafft ihr alles rüber, was ein bisschen Wert hat.“ Sie seufzte „Wird ja schließlich immer weniger.“
Tally griff nach den Wanten und schwang sich mit einem Satz auf die Reling des gekaperten Schiffes. Ein weiterer Sprung und sie stand auf der Enterluke. Das Deck des Piratenschiffes war fast verwaist.
Der Steuermann hielt auf dem Oberdeck die Stellung und auf den Masten turnten einige Matrosen herum und holten die Segel ein, solange die Schiffe beieinander lagen.
Alda, die Köchin, stand auf halbem Weg zwischen der Luke und der Stelle, an der Nat an der Holzwand der Kombüse saß.
Schnell eilte sie zu ihrer Anführerin und flüsterte ihr etwas ins Ohr.
Tally riss erstaunt die Augen auf.
Sie zog ihren Dolch und ging mit langsamen Schritten auf Nat zu.
Nat hob abwehrend die Hand.
„Ich kann mir vorstellen, was ihr jetzt denkt und was ihr gerne ausprobieren möchtet. Ich weiß nicht, ob ich mir laufend Wunden selber heilen kann und vor allen Dingen wie tief diese Wunden sein können. Ich weiß nur, dass es mich viel Kraft kostet.“
Er schob sich mit dem Rücken an der Wand hoch, bis er schwankend aufrecht stand.
„Vielleicht sollten wir einfach noch mal von vorne anfangen, dann entschließt ihr euch möglicherweise, mir doch noch eine Chance zu geben. Ich heiße Nat …“
Seine Augen verdrehten sich und er sank dort wo er stand in sich zusammen.
Rrordrak warf sich auf seine Bettstatt und hielt die Augen fest geschlossen. Eben im Thronsaal wieder diese Kopfschmerzen. Fluchtartig hatte er sich in sein Refugium zurückgezogen. Immer wieder versuchte er Schwingungen in sich aufzunehmen, die ihm sagten, woher der plötzliche Kopfschmerz gekommen war. Die Schiffe waren versenkt, alle Menschen aus der Alten Welt getötet, die sich an Bord befunden hatten. Dies hatte Blackard ihm versichert. Was war es dann!?!
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