Die Worte drangen nur sehr langsam von Asyras Ohren in ihren Kopf. Ihr fielen nur zwei Personen ein, die mächtig genug waren, alle ihre magischen Schilde zu durchbrechen. Der Gartak und Reane. Nun, aber genauso gut konnte es sein, dass sie ohne Grund in Ohnmacht gefallen war, immerhin hatte sie ihre gesamte Kraft aufgebraucht. Doch ihre Kette hatte sich gemeldet, Bilder der letzten Wochen waren vor ihrem geistigen Auge herumgewirbelt und der weiße Schaum und die Zuckungen, die sie laut Zuprecht gehabt hatte, deuteten auf etwas anderes hin als eine normale Ohnmacht.
Zwar beunruhigte sie dieses Ereignis, trotzdem entschloss sie sich, es zu ignorieren, solange es sich nicht wiederholte. Es war naiv, das wusste sie, doch jetzt ewig zu spekulieren, was geschehen war, würde auch nicht mehr helfen. Sie wandte sich an Zuprecht und strich eine Strähne aus ihrem Gesicht: „Seien wir froh, dass nichts Ernsteres passiert ist. Zerbrechen wir uns nicht den Kopf, am Ende wissen wir auch nicht mehr. Lass uns lieber schlafen, damit wir morgen fit sind. Denn fit sollten wir an so einem Ort sein.“ Auch Zuprecht stimmte zu und beide legten sich wieder hin.
„Land in Sicht!“, brüllte der Matrose im Krähennest. Die Matrosen, Asyra, Zuprecht und Gart jubelten, doch Wenala brüllte den Matrosen Befehle zu. Und so schnell wie die gute Laune gekommen war, war sie auch schon wieder verschwunden.
„Wie lange dauert es noch, bis wir den Hafen erreichen?“, rief Zuprecht dem Matrosen im Krähennest zu. Dieser schrie zurück: „Gegen Abend sollten wir dort sein. Aber wenn der Wind uns weiter so Rückenwind gibt, wird es nur vier oder fünf Stunden dauern.“
Asyra und Zuprecht gingen unter Deck, um Gart zu suchen. Asyra hielt sich die Nase zu, denn der Gestank war fast unerträglich. Die schwitzenden Matrosen wuschen sich nicht und ebenso schlimm war der Geruch der Nachttöpfe, die beim Auskippen ebenfalls nicht gewaschen wurden.
Den Weg zu Garts Zimmer fanden sie mittlerweile im Schlaf, da sie meist den gesamten Tag mit ihm etwas unternahmen. Sie klopften und warteten auf das Herein, das auch gleich folgte. „Ah, ihr seid es. Euch habe ich schon gesucht, ich hab mir viele Gedanken in den letzten Tagen gemacht“, fing er mit ernstem Ton das Gespräch an. Er schwieg kurz und fuhr dann fort: „Nun, schon seit Jahren ist es mein Wunsch, einen Drachen zu finden. Aber in den letzten Tagen hab ich mir überlegt, ob ich vielleicht nicht an mich, sondern an Lorandor denken sollte. Immerhin bin ich etwas Besonderes und dies sollte ich nicht außer Acht lassen ... nach langer Überlegung, hab ich mich also entschieden, euch zu begleiten.“
Asyra und Zuprecht waren überrascht, auch wenn sie beide eigentlich damit gerechnet hatten. Immer wieder hatte Gart davon gesprochen, dass ihre Reise viel spannender und der Drache eigentlich nichts Besonderes wäre. Asyra stellte ihre übliche Frage: „Hast du dir das auch gut überlegt?“ Denn sie wollte Gart, wie auch schon Zuprecht, nicht ausnutzen. Gart nickte: „Natürlich. Mit dieser Frage habe ich mich Tag und Nacht beschäftigt. Also, wann gehen wir suchen?“
Sie besprachen die kommenden Tage und wie sie die Zeit im Urwald möglichst normal überstehen konnten. Immerhin war dort die Luftfeuchtigkeit viel höher und giftige und blutsaugende Insekten sowie gefährliche Raubtiere waren hier beheimatet. Nicht zu vergessen waren die tödlichen Pflanzen, von denen es auf den Dracheninseln mehr als genug gab. Dazu wussten sie nicht einmal, wo genau sich Zoran aufhielt. Aber von solchen Sachen ließen sie sich nicht mehr abbringen, seitdem sie gegen einen Gartak gekämpft hatten.
Zuprecht schlug vor, sich mit Magie zu tarnen, während Gart eher auf Verwandlungen anspielte. Asyra hingegen wollte einige hilfreiche Verteidigungszauber, die sie in den Ewigen Wäldern gelernt hatte, anwenden, um so für die Tiere zwar sichtbar, wenn auch uninteressant zu sein. Alle drei hielten an magischen Techniken fest, darin waren sie sich einig.
Sie diskutierten und merkten kaum, wie die Zeit verging, bis plötzlich von oben jemand rief: „Anker lichten! So, diese Überfahrt hätten wir auch überstanden.“
Alle drei erschraken und Zuprecht und Asyra liefen zu ihrem Zimmer, um die Sachen zu holen, die sie bereits am Vormittag gepackt hatten. Sie gingen auf das Deck und suchten Wenala, die sie auch schnell fanden, da ihr Gebrüll über das gesamte Deck zu hören war. Schon jetzt machte sich die feuchte Luft bemerkbar und die heiße Herbstsonne erwärmte Asyras Körper. „In zwei Wochen fahren wir wieder, wenn Ihr es schafft, könnt Ihr gerne wieder mitfahren, aber falls Ihr nicht da seid, warten wir nicht“, kam Wenala ihnen zuvor. Zuprecht grinste sie schief an und antwortete: „Wir hoffen, dass wir es schaffen. Sonst müssen wir uns ein anderes Schiff suchen. Aber danke für die Überfahrt.“ „Ich sollte Euch danken, ohne euch wäre unser Schiff dem Untergang geweiht gewesen“, unterbrach Wenala Zuprecht. Nun war es Asyra, die sprach: „Unsere Hilfe war doch selbstverständlich, wir saßen alle im selben Boot! Falls wir uns nicht wiedersehen, auf Wiedersehen.“
Wenala lachte und verabschiedete sich dann: „Hoffentlich findet ihr Euren Heiler. Ich würde mich freuen, Euch wiederzusehen, und dann sogar vielleicht in voller Gesundheit. Aber eins würde ich Euch raten: Vertraut in dieser Stadt niemanden und passt auf Eure Sachen auf. Denn in so einer abgelegenen Gegend sind nicht alle Menschen auf Eurer Seite. Dazu weiß man nicht, ob nicht der ein oder andere Spion der Diamantenen Hexe hier haust.“
Asyra nahm sich vor, diese Worte zu berücksichtigen, obwohl sie kaum glaubte, hier länger als einen Tag zu verbringen. Gart kam soeben die Treppe zum Deck hinauf und sein gelbes Fell glänzte in der Sonne. Asyra fragte sich, warum die Triliten, die so ein dichtes Fell besaßen, im tiefen Süden lebten, dort wo es heißer war als sonst wo.
Sie riefen Gart zu sich und verließen dann zum ersten Mal seit sechs Tagen das Schiff. Als sie den festen Boden unter ihren Füßen spürten, war es ein ganz und gar fremdes Gefühl. Immerhin mussten sie die letzten Tage immer darauf achten, ihr Gleichgewicht zu halten und nicht vom Boot zu fallen.
Sie gingen den Steg entlang und betrachteten die zahlreichen anderen Boote, von denen viele Handelsschiffe, einige auch Kriegsschiffe waren, jedoch allesamt mindestens zehn Schritt lang.
Der Hafen schien einen großen Teil der Stadt auszumachen und auch so was wie einen Marktplatz zu haben, denn überall standen Männer sowie Frauen und versuchten mit lautem Gebrüll, die Menschenmenge auf sich aufmerksam zu machen. Zwar roch es hier nicht so schlimm wie in Ghulan, aber bei der Lautstärke war es besonders für Asyra mit ihren feinen Ohren ein schweres Stück Arbeit, sich auf etwas anderes zu konzentrieren. Auch wenn sie kaum was anderes wahrnahmen als das Geschrei, fiel ihnen auf, dass die Stimmung in der Stadt wohl sehr gut sein musste. Die Leute lachten fröhlich, begrüßten und umarmten sich, aber auch Kinder spielten glücklich und wild schreiend auf der Straße. Kaum zu übersehen war die hell- bis dunkelbraune Haut, wie Zuprecht und Asyra sie erst selten bei Menschen gesehen hatten. Nur Gart, der selbst aus dem tiefstem Süden kam, schien dies nicht zu bemerken.
Auch wenn es bereits fast Abend war, brannte die Sonne noch heiß auf der Haut und Zuprecht und Asyra fingen an zu schwitzen, was man besonders auf der weißen Kleidung, die mittlerweile eher einen Braunton annahm, besonders gut sah. Sie folgten der Hauptstraße der Stadt weiter und verließen nun den Hafen. Alle Häuser waren aus kastanienbraunem, die Dächer hingegen aus hellbraunem Holz gemacht. Der Lärm nahm ab, da nun nur noch vereinzelt Händler mit ihrem Gut in der Hand den Menschen entgegenriefen, sie sollen die besten Fische oder die süßesten Früchte der Stadt kaufen. Zwar hielten vereinzelt Menschen an, um sich die Waren genauer anzusehen, doch gingen sie meist schnell weiter.
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