„Wo einer ist, sind meist auch mehr!“ Kaum hatte Zuprecht diesen Satz vollendet, fing das Geschrei an Deck wieder an. Er fügte hinzu: „Ich hole deinen Säbel und mein Schwert, ihr geht schon mal nach oben.“
Gart und Asyra nickten und liefen rechts den Gang zurück aufs Deck, während Zuprecht links zu den Schlafzimmern abbog. Sie wollten eben die letzten Stufen erklimmen, als ein Mann auf sie geschleudert wurde und Asyra umriss. Der Mann schien bewusstlos oder tot zu sein, doch Asyra hatte keine Zeit nachzuschauen. Ohne große Mühe konnte sie ihn von sich herunterzerren und stellte dabei fest, dass Gart schon weitergerannt war.
Als sie endlich auf dem Deck stand, sah sie drei Affenkraken, die mit ihren Tentakeln immer wieder nach den Matrosen griffen. Gart stand neben einem und war schon wieder dabei, einen Affenkraken zu attackieren. Er sagte zwei Worte, die Asyra nicht verstand, und riss seinen Arm hoch. Der Affenkrake versuchte mit einem Tentakel Gart niederzuschlagen, aber kurz bevor er ihn treffen konnte, explodierten alle acht Tentakel in hunderte Teile und grünes Blut floss aus dem Körper des Monstrums. Es brüllte und schlug mit den Fäusten auf die Planken, sodass diese wie Streichhölzer brachen. Der Blutverlust war zu stark. Es fiel in Ohnmacht und verblutete. Angewidert wollte Asyra zu Gart laufen, aber ein anderer Affenkrake hieb mit zwei seiner Tentakel, denen sie jedoch in letzter Sekunde ausweichen konnte, auf sie nieder. Das Holz zerbarst unter den Tentakeln und das Monster brüllte aus reiner Kampfeslust. Asyra deutete mit den Zeige- und Mittelfingern beider Hände auf das Ungetüm und ließ die Kraft aus ihrem Körper fließen. Sie war sich jedoch nicht sicher, ob es eine kluge Idee war, diesen Zauber anzuwenden, immerhin hatte sie ihn noch nie benutzt. Dann kreuzte sie die Arme und im gleichen Augenblick wurde das Monster gevierteilt. Grünes Blut spritzte ihr entgegen. Nun war nur noch ein Affenkrake auf dem Deck, allerdings schien dieser von ganz besonderer Art zu sein. Er war drei Schritt hoch, sein Oberkörper war eisblau und er hatte statt acht zehn Tentakel, von denen zwei gerade einen Matrosen hochhoben und ihn in der Luft zerquetschten und achtlos ins Meer warfen.
Als das Ungetüm erkannte, dass seine Kameraden nicht mehr am Leben waren, schlug er den anderen Matrosen quer über das Schiff, der gegen einen der drei Masten klatschte und tot zu Boden sackte.
Die restlichen Matrosen liefen wieder unter Deck und so waren Gart und Asyra auf sich allein gestellt. Noch war das Wesen einige Schritte von ihnen entfernt. Da es sich auf dem Trockenen nur kriechend fortbewegen konnte, hatten sie wenigstens noch etwas Zeit. Aber plötzlich richteten sich zwei der Tentakeln auf die beiden und mit einem Brüllen wuchsen sie um einige Schritte. Bevor sie es realisieren konnten, wurden sie auch schon von zwei schleimigen Tentakeln einige Schritt nach hinten geworfen. Asyra wurde gegen die Kajüte geschleudert, während Gart sich fangen konnte und festen Stand hatte. Nun hielt er die Kugel zwischen beiden Händen und brüllte: „Artrento!“
Ein rot leuchtender Strahl verband die Kugel und die Augen des Affenkraken. Auf einmal war das Monster vollkommen regungslos und schaute lethargisch drein und auch Gart hatte die Augen geschlossen, wahrscheinlich aus Konzentration. Asyra hatte sich während dieser Zeit aufgerichtet und war unter Schmerzen zu ihm gehumpelt. Plötzlich keuchte Gart auf, brach zusammen und mit ihm der rote Strahl. Bevor Asyra wusste, was passiert war, sirrte ein Tentakel auf sie herab, dem sie dieses Mal jedoch mit einer Rolle ausweichen konnte. Der Affenkrake aber schien seine Meinung geändert zu haben und hob nun seine Tentakeln in Richtung Gart, um ihm den Rest zu geben, als plötzlich jemand rief: „Trosch Zuwekon.“
Im nächsten Moment wurde Gart von einer lila Kuppel umgeben, die zwar die Tentakel abfing, dann jedoch brach. Asyra drehte sich um und sah Zuprecht mit Grasch in der linken Hand auf den Affenkraken zulaufen. Zuprecht sprang – und mit einem Schwerthieb, den Asyra nur als Sirren wahrnahm, schlug er dem Monster einen Tentakel ab, der dumpf auf die Planken aufschlug. Während der Affenkrake wütend brüllte, nutzte Zuprecht die Gelegenheit und schlug auf einen weiteren Tentakel ein, der ebenso leicht von Grasch durchschnitten wurde wie der erste. Nun jedoch hatte der Affenkrake sich wieder gefasst und schlug mit drei Tentakeln gleichzeitig auf Zuprecht ein. Diesmal war es Asyra, die mit ihrer gesammelten Kraft ein Schild um Zuprecht legte. Erschöpft von den Zaubern und Verletzungen der letzten Minuten hielt sie sich an einem der Masten fest, während Zuprecht erneut zum Angriff überging und dem Ungetüm mit zwei schnellen Schlägen einen weiteren Tentakel abschlug. Der Affenkrake torkelte zurück und hieb mit den verbliebenen Tentakeln um sich, riss dabei einen Mast um, der auf ihn stürzte und ihn erschlug. Rotes Menschen- und grünes Affenkrakenblut bedeckte das komplett zerstörte Deck, drei Menschen mit gebrochenen Knochen und drei verstümmelte Affenkraken lagen regungslos darauf. Der Anblick war so abscheulich, dass Asyra sich erbrach. Zuprecht ließ sein Grasch wieder verschwinden und hatte mit einigen Fingerschnippern den Mast wieder repariert und die Löcher geschlossen. Wenala kam mit drei Matrosen wieder aufs Deck und stotterte: „Ist ... ist es vorbei?“ Zuprecht nickte, deutete auf die Leichen und fragte: „Ich weiß nicht, wie ihr Menschen eure Leichen bestattet, daher hab ich sie so gelassen wie sie sind. Die Affenkraken jedoch sollten wir einfach zurück ins Meer werfen.“
Auch Wenala stimmte zu und bellte ihren Leuten einige Befehle zu, die sich erst angsterfüllt den Affenkraken näherten, sie mit einem lauten Platschen ins Wasser warfen und sich dann mit Trauermiene ihren Kollegen zuwandten, wobei sie ihre Tränen nicht zurückhielten. Asyra sah es als angemessen an, ihr Erbrochenes aufzuwischen und so wollte sie Eimer und Lappen holen. Sie fragte Wenala danach, die ihr den Weg zur Besenkammer beschrieb. Mit einem widerlichen Gallengeschmack im Mund ging sie die Treppe hinunter, auf der vorhin noch der Mann gelegen hatte. Anscheinend war er wohl nicht tot und wieder auf den Beinen, denn er war nicht mehr dort.
Sie folgte Wenalas Anweisungen und fand nach kurzer Suche den Raum, in dem sich der Eimer befand. Als sie jedoch die Tür geöffnet hatte, wurde das Amulett ihrer Mutter warm und bevor sie ihren geistigen Schutzwall errichten konnte, wurde ihr schwarz vor Augen.
Zwar merkte sie, wie ein fremder, überaus mächtiger Geist in ihren Verstand eindrang, doch sie konnte sich nicht dagegen wehren, denn als sie zum Gegenangriff überging, fiel sie durch einen heftigen Schmerz, der von ihrer Narbe am Rücken ausging, in eine Ohnmacht, in der alle Bilder der vergangenen Zeit durcheinander wirbelten.
*
Als sie wieder aufwachte, lag sie in ihrem Zimmer auf dem kratzenden Stroh. Langsam kamen die Erinnerungen daran, was passiert war. Sie wollte ihr Erbrochenes aufwischen und war deshalb zu einem Schrank gegangen und dann ... dann war sie in Ohnmacht gefallen und war dann hier wieder aufgewacht. Und hatten ihre Narben nicht geschmerzt? Auch Bilder aus ihren Erinnerungen waren ihr erschienen, von denen viele aus den letzten Wochen stammten! Es musste tief in der Nacht sein, denn man hörte keine lauten Geräusche, die sonst üblich für das Schiff waren.
Sie war so sehr in ihre Gedanken versunken, dass sie wild herumfuhr, als jemand sie an der Schulter berührte und leise ihren Namen flüsterte: „Asyra? Bist du wach?“ Doch die schwarzen Augen, die ihr da ins Gesicht schauten, beruhigten sie. Es war Zuprecht, in seinen Leinensack gehüllt, den er zum Schlafen trug. „Wie ... wo ... was ist passiert?“, stotterte Asyra. Zuprecht richtete sich auf und grinste: „Das wüsste ich auch gern! Ein Matrose hat dich gesucht, nachdem du nach mehreren Minuten nicht wiederkamst. Er fand dich zuckend, mit offenen Augen auf dem Boden und weißer Schaum lief aus deinem Mund. Als wir das endlich erfahren hatten, war Gart schon wieder wach und wir liefen zu dir runter. Es muss jemand einen Fluch oder was weiß ich auf dich gelegt haben, es war jedenfalls ein sehr mächtiger Zauber. Ich konnte ihn brechen, doch es kostete mich meine gesamte Kraft!“
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