Sie gingen los, um das Schiff zu erkunden. Es wirkte von innen viel kleiner als von außen und Asyra fühlte sich so eingeengt nicht wirklich wohl, Zuprecht hingegen war entzückt von dem Schiff.
Sie wollten eben wieder zurück zu ihrem Zimmer gehen, als sich plötzlich eine Tür öffnete und ein Geschöpf herauskam, das sie beide noch nie gesehen hatten, doch sofort erkannten. Die eindreiviertel Schritt hohe waschbärenähnliche Gestalt hatte ein goldgelbes Fell mit stechenden königsblauen Augen. Zwischen den jeweils vier Krallen befanden sich feine Schwimmhäute, ebenso zwischen den vier Zehen. Ein Beutel hing von seinem Gürtel, der das fließende Gewand, das er trug, fest an den Körper band. Es war ein Trilit. In seiner Hand hielt er einen abgebissenen Apfel und schien nicht weniger überrascht zu sein als die beiden. Doch er fasste sich schneller als Zuprecht und Asyra und fing das Gespräch mit tiefer Stimme an: „Guten Tag. Mein Name ist Gart Treaten. Geboren in Wartenberg, ausgebildeter Magier.“ Er hielt ihnen die Hand hin und dieses Mal nahm Asyra an: „Asyra Tre’latha. Auf der Suche nach dem Fayriath und der Erlösung von Reane, geboren in Symaya.“ Der Trilit schaute nun Zuprecht an und hielt ihm die Hand hin, die dieser annahm und sich vorstellte: „Zuprecht Silberzunge. Krieger und Gesandter der Kobolde, geboren in Wertesch.“ „Ein Krieger, sagt Ihr? Von Euch gibt es in Eurem Volk ja nicht allzu viele, sagt man. Doch Ihr sollt unglaublich mächtig sein“, sagte er schwer beeindruckt. Ein Lächeln umspielte Zuprechts Mundwinkel, während er erwiderte: „Nun, aber von den wenigen Magiern unter Euch hört man auch nur Positives.“ Auch Asyra wusste, dass ein magiebegabter Trilit noch seltener vorkam als ein Magier bei den Zwergen. Sie zählten jedoch trotzdem zu den mächtigsten magischen Wesen Lorandors.
„Sagtet Ihr nicht, Ihr wolltet Reane stürzen? Was wollt Ihr dann auf den Dracheninseln?“, fragte Gart, und verschränkte seine Arme hinter dem Rücken. Zuprecht zeigte auf seine Schulter und erklärte: „Ein Gartak hat uns verfolgt und uns fast zerfleischt, aber wir konnten fliehen. Mein Arm wurde dabei so schwer verletzt, dass nur der Heiler Zoran der Baumweise ihn heilen kann.“ Bei der Erwähnung des Gartaks hatten sich Garts Augen geweitet, wahrscheinlich hielt er sie für irre. „Das ist ... unglaublich! Und Ihr belügt mich nicht? Wenn ... dann ... sind die letzten freien Reiche in großer Gefahr!“, stotterte Gart ungläubig. „Nun, erzählt mir mehr davon, kommt mit hier rein, da ist genügend Platz.“
Er führte sie in den Raum, aus dem er gerade gehen wollte, wo vier Stühle und ein Tisch standen. Sie setzten sich und erzählten, wie sie sich kennengelernt hatten, dann eines Nachts vom Gartak überrascht wurden und zu den Feen fliehen konnten. Danach erzählte der Trilit, dass er durch ganz Diamantia gewandert sei und dass er nun auf dem Weg zu den Dracheninseln sei, um einen echten Drachen zu sehen und von ihm eventuell das eine oder andere zu lernen. Sie redeten bis in den Abend. Erst als ein junger Matrose mit kurzen lockigen Haaren kam und sie zum Essen rief, standen sie auf und gingen zum Essen.
„Das nennen die Essen?“, fragte Gart mit angewidertem Blick, als er das heutige Essen, etwas Wasser mit trockenem Brot und Trockenfleisch und für Asyra drei Scheiben Gurken, sah. „Da kann ich ja selbst was besseres zaubern.“ Und mit diesen Worten öffnete er seine Tasche, die an seinem Gürtel hing, und holte eine ein Finger lange, vollkommen klare Kristallkugel heraus. Er schaute sich um, dass auch keiner der eifrig essenden und glücklich schwatzenden Matrosen ihm zuschaute und schon im nächsten Moment hatte er das Brot mit der Kristallkugel und den Worten „Tiwale“ berührt. Mit dem Brot und dem Trockenfleisch passierte jedoch nichts und die beiden anderen fragten sich, ob der Zauber eventuell schiefgelaufen war. Aber als er in das Brot biss, zuckte das Fell um seinen Mund und es erinnerte an ein Lächeln. Als er ihre fragenden Blicke sah, erklärte er ihnen: „Der Zauber verändert mit einer Illusion den Geschmack des Essens.“
Nachdem Essen trennten sie sich und gingen in ihre Unterkünfte, verabredeten sich aber schon für den folgenden Tag.
Asyra und Zuprecht waren unglaublich müde, ohne wirklich zu wissen, warum. Sie legten sich auf das Stroh, das am ganzen Körper kratzte, und dessen Staub unglaublich in der Nase juckte. Dennoch schliefen sie beide sehr schnell ein und zum ersten Mal seit langem schrie Zuprecht nicht mehr im Schlaf.
*
Einige der Drachenzacken ragten hier und da aus dem Wasser. Zuprecht und Asyra schauten vom Deck der Blau Pfeil auf das schäumende, tiefblaue Wasser.
Sie waren schon fünf Tage unterwegs und sollten voraussichtlich morgen den Hafen von Drachenfels erreichen. Beide fühlten sich nicht gut, sie hatten sich in den letzten Tagen nur von Brot, Fleisch und Gurken ernährt. Gut geschlafen hatten sie auch nicht, das Stroh kratzte und der Nachttopf stank auch unerträglich, obwohl sie diesen nie benutzten. Gewaschen hatten sie sich seit ihrem Aufbruch von den Feen auch nicht mehr, was besonders Asyra missfiel, sodass sie sich entschloss, heute endlich wieder ihren Körper zu reinigen. Sie sammelte ihre Kraft in den ausgestreckten Händen und blieb so mehrere Sekunden stehen, bis sie endlich genügend Kraft gebündelt hatte, was ihr in dieser Situation wesentlich schwerer als sonst fiel. Als sie bereit war, riss sie die Hände hoch und holte damit eine riesige Wasserkugel aus dem Meer, die jedoch reglos in der Luft blieb. Beide standen dort, nur mit ihrer schmutzigen weißen Kleidung, die sie von den Feen erhalten hatten. Ihre Waffen und andere Habseligkeiten hatten sie in ihrem Zimmer gelassen. Dann ließ Asyra die Kugel langsam zu ihnen schweben, bis beide plötzlich ganz in der Kugel standen. Es war wie eine Wanne, doch diese wurde nur mit der Kraft Asyras zusammengehalten. Sie wuschen sich und ließen sich Zeit dabei, da die Matrosen gerade unter Deck waren, um zu essen.
Als sie sich fertig gewaschen hatten, ließ Asyra die nun viel schmutzigere Kugel ins Meer zurückgleiten. Danach sammelte sie ihre Kraft erneut, um ihre Kleidung zu trocknen, und als sie fertig war, trocknete sie auch die Kleidung von Zuprecht. „Hast du Hunger? Ich selbst nicht, aber wenn du willst …“, fragte Asyra Zuprecht, doch dieser schüttelte den Kopf. Als sie sich umdrehten, sahen sie Gart, der ihnen zuwinkte und rief: „Ah, hier seid ihr ja. Ich hab euch schon gesucht.“ In den letzten Tagen hatten sie sich gut mit dem Triliten angefreundet. Da er allein reiste, hatte er sie oft aufgesucht, um sich mit ihnen zu unterhalten, weil die Matrosen, wenn sie mal nicht arbeiten mussten, lieber unter sich waren. Er hastete auf sie zu, wobei er seine Kristallkugel, wie so oft, in seiner Tasche ließ. „Ihr glaubt mir nicht, was mir gerade eingefallen ist ...“ Jäh brach er den Satz ab, als ein Ruck durch das gesamte Schiff ging. Zuprecht murmelte: „Was zum ...“ Doch auch sein Satz ging unter in einem wilden Schreien, das vom Unterdeck zu ihnen hochdrang. Gart öffnete seine Tasche und holte die kleine klare Kugel heraus, während Zuprecht und Asyra schon zur Treppe zum Unterdeck gelaufen waren.
Sie hasteten den Gang entlang zum Speisesaal, aber bevor sie diesen erreicht hatten, kamen ihnen schon einige Matrosen entgegen, die brüllten: „Affenkraken! Sie werden uns töten!“ Den dreien lief es eiskalt den Rücken herunter, denn gegen Affenkraken zu kämpfen war wahrlich kein Kinderspiel.
Als sie den Speisesaal erreicht hatten, sahen sie, wie zwei Matrosen und Wenala mit ihren Säbeln verzweifelt probierten, einen Affenkraken zu bezwingen. Auf dem Boden erstreckte sich ein Loch mit zwei Schritt Durchmesser. Das Ungetüm war zweieinhalb Schritt hoch und saß auf seinen Tentakeln, die wie Peitschen durch die Luft sirrten. Asyra sammelte ihre Kraft, doch Gart war schneller und strich einmal mit der linken Hand über seine Kugel, die anfing rot zu leuchten, und brüllte: „Yaletra Urgulbeh!“, und richtete die Handfläche auf den Affenkraken. Im nächsten Moment schoss ein drei Finger langer, glühender Feuerpfeil aus der Handinnenfläche von Gart und traf das Monster direkt am Kopf, das laut brüllte und zur Seite kippte, direkt auf einen Matrosen, der sich noch mit einer Rolle zur Seite retten konnte. Im Kopf war ein Brandloch, aus dem es fürchterlich stank. Asyra nutzte ihre Kraft, die sie gesammelt hatte, um den Affenkraken durch das Loch ins Meer zurückzuwerfen und ließ die Bretter wieder zusammenwachsen.
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