"Mein Gott, er hat bestimmt das Küchenfenster offen gehabt."
Na, mit Gott hat sie es aber. Kommt bestimmt daher, dass sie ihr halbes Leben am Himmel verbracht hat.
Genauso hektisch, wie die Tür zugeknallt ist, wird sie von Michael wieder aufgerissen. Er ist ganz schön aufgebracht, wirkt aber ziemlich albern in dieser Schürze mit dem aufgedruckten Körper eines Bodybuilders.
"Mensch, habe ich mich erschrocken! Bei dem Wind kannst du doch nicht die Terrassentür aufmachen. Das weißt du doch."
"Ist ja nichts passiert, Tarzan. Es roch so unangenehm und da habe ich…"
"Jaja, ich weiß, alles, was zu einem normalen Leben gehört, ist dir zuwider, besonders Gerüche und Geräusche. Wenn man Kartoffeln in der Pfanne brät, riecht es eben eine Zeit lang nach Bratkartoffeln. Die meisten Menschen riechen das gerne, bekommen Appetit, nur meine Frau nicht. Wenn es nach der ginge, bräuchten wir gar keinen Herd, keinen Backofen, dann würden wir uns nur von grünen Blättern und knochenharten Müslikeksen ernähren."
Michael hat versucht, die letzten Worte mit einem satirischen Unterton zu entspannen, sozusagen Deeskalation, aber zu spät. Der Feind in seinem Leben hat schon das Visier heruntergeklappt. Monikas blasses Gesicht mit den dunkelrot geschminkten Lippen ist zu einem Gemälde erstarrt. Die dunklen Augen wirken plötzlich leblos kalt und aus einer makellosen Schönheit ist plötzlich das Antlitz einer Hexe geworden. Immer noch wunderschön aber von einer Art, vor der man sich hüten sollte, besonders Mann.
"Ach Kinder, streitet euch nicht. Ist ja nix passiert. Und wenn deine Frau kein Sauerfleisch mit Bratkartoffeln mag, bleibt umso mehr für uns."
Na, da ist jetzt Bruno aber eine diplomatische Meisterleistung gelungen, fast Rohrkrepierer, um nicht zu sagen, der Schuss geht nach hinten los.
"Passt mal auf, ihr beiden Helden. Haut euch mal so richtig die Wampe voll mit Fleisch und Fett. Ihr könnt es ja gebrauchen, so wie ihr gebaut seid. Aber ohne mich, ich werde diesen stinkenden Ort jetzt verlassen und mich niveauvolleren Aktivitäten widmen, vor allen Dingen niveauvoller essen."
Monika hat sich gar nicht erst wieder hingesetzt und schreitet, nein, schwebt mit erhobenem Haupt durch das Wohnzimmer in den Korridor, alles ohne Besen!
"Sehen wir uns nachher beim Osterfeuer?"
Bruno versucht immer noch die Wogen zu glätten.
"Osterfeuer? Klar, Bruno, ist doch meine Lieblingsveranstaltung. Da gibt es fettige und verbrannte Grillwurst und jede Menge netter Menschen, die spätestens nach einer Stunde alle besoffen sind. Da findet ihr mich garantiert! Ich mag es auch, wenn meine Sachen danach alle weggeworfen werden müssen, weil sie nach Qualm und Verbrennung stinken."
Die beiden Männer schauen ihr schweigend zu, wie sie sich ihren schwarzen Daunenmantel überzieht, einen bunten Schal kunstvoll um den Hals wickelt und nach einem kurzen Blick in den Spiegel mit beiden Händen durch ihr lockiges schwarzes Haar fährt. Dann noch der Griff zur Handtasche, zum Schlüsselbund, und hast du nicht gesehen, ist sie weg.
"War da eben was?"
"Ach komm, Bruno, die fängt sich schon wieder. Wir lassen uns doch nicht den Tag versauen. Wollen wir gleich in der Küche essen?"
Das Essen ist für Bruno keine große Offenbarung, das Sauerfleisch nach seinem Empfinden nicht sauer genug und die Bratkartoffeln hätten etwas mehr Salz und dafür weniger Fett gebraucht. Vielleicht ist das aber auch die Nachwirkung von Monika und ihrem Auftritt, da vergeht einem schon mal der Appetit.
"Monika, ihm schmeckt 's nicht. Hat es meine liebe Frau also geschafft. Tja, Bruno, das ist aus unserer Beziehung geworden, nur noch Genörgel und Kritik, an allem was ich mache. Sei bloß froh, dass du ledig bist."
"Kann man so oder so sehen. Zum Glück sind ja nicht alle Frauen so anstrengend. Ihr wart doch aber mal ein glückliches Paar, oder nicht?"
"Ja, eine Zeitlang schon, solange ich noch im Schuldienst aktiv war, aber jetzt, wo ich pensioniert bin. Vielleicht sieht man sich einfach zu oft. Früher war sie ja auch immer unterwegs. Ich weiß nicht woran es liegt."
"Vielleicht am Alter? Ich habe ja auch immer dieses Problem, dass meine Beziehungen, wenn man sie überhaupt so nennen will, unter dem Altersunterschied leiden. Nach meiner Erfahrung wollen Frauen Männer immer ganz, besonders, wenn sie selber nicht mehr ganz jung sind. Ich kann das aber nicht liefern, verstehst du? Dazu habe ich zu viel Eigenbedarf an Leben und unsere Zeit ist begrenzt. Je älter man wird, umso begrenzter. Da freut es einen zwar, dass man schon so alt geworden ist, weiß aber gleichzeitig, dass das unausweichliche Ende immer näher kommt, und irgendwann befindest du dich im Fenster der statistischen Streuung der durchschnittlichen Lebenserwartung."
"Es sprach Dipl.-Ing. Bruno Hallstein. Soweit ich weiß gibt es in der Mathematik der Statistik aber auch das Phänomen der Ausreißer, nach oben oder unten. Nach unten geht ja kaum noch… Sag mal, wollen wir ein Bierchen? Wir können im Wintergarten weiterphilosophieren."
Während Michael das schmutzige Geschirr in den Spüler stellt und die Bratpfanne mit weißem Küchentuch sorgfältig auswischt, trägt Bruno zwei Flaschen Bier aus dem Kühlschrank in den Wintergarten. So ganz ohne Frau in der Nähe geht es auch ohne Gläser. Bruno setzt sich so, dass er die ab und zu durch die Wolken brechende Sonne im Rücken hat. Der Wind hat sich etwas beruhigt und dem Osterfeuer dürfte wohl nichts mehr im Wege stehen. Zum Glück bringt der Ortswechsel auch einen Themenwechsel mit sich. Fußball zum Beispiel, Fußball geht immer. Dann so alte gemeinsame Erinnerungen, Musik, Kino, erste Zigarette, letzte Zigarette, und dann doch wieder Mädchen.
"Was machst du eigentlich so als Bürgermeister hier in diesem Kaff?"
"Naja, ich bin sozusagen der Vorsitzende der Gemeindevertretung und da ja die Verwaltung von Lütjenbrook an die Kreisstadt übertragen wurde, muss ich unsere Interessen dort vertreten. Das ist manchmal gar nicht so einfach."
"Und wie machst du das? Welche Interessen vertrittst du? Gibt es vorher immer einen Entscheidungsprozess? Die Interessen sind doch sicher gepaart mit persönlichen Interessenkonflikten, kannst mir doch nicht erzählen, dass ihr immer alle am gleichen Strang zieht."
"Naja, da sind natürlich die unterschiedlichen Positionen und Parteien, die einen wollen eine neue Kita, die anderen eine neues Feuerwehrhaus…"
"…und du? Was würdest du bevorzugen?"
"Ich? Ich würde ein neues Hotel direkt am Strand bauen. Dann kommen mehr Gäste, dann nehmen wir mehr Geld ein und können beides haben, 'ne neue Kita und ein neues Feuerwehrhaus."
Die beiden Männer haben sich in ihre warmen Jacken gepackt und schlendern nebeneinander die Promenade hoch Richtung Hunde-Strand. Der Wind ist tatsächlich fast völlig eingeschlafen. Soviel Rücksicht hätte man ihm gar nicht zugetraut. Die Oberfläche der Ostsee kräuselt sich zwar noch etwas aber das ist nur der Trägheit des Wassers geschuldet. Für die Uhrzeit sind doch noch ziemlich viele Menschen unterwegs. Ein großer Teil kommt ihnen entgegen, die werden also nicht am Osterfeuer teilnehmen, ist ja auch nicht jedermanns Sache. Die Dämmerung hat gerade eingesetzt und Bruno und Michael können den Riesenhaufen Holz und Reisig noch gut erkennen, der sich gegen den schwarzblauen, wolkenlosen Himmel abhebt. Viele der Menschen stehen in Gruppen zusammen, unterhalten sich, lachen und widmen sich ihren Getränken. Und interessant, viele schauen schon jetzt gebannt in den Holzhaufen, obwohl von Feuer noch keine Spur. Nur die Kinder scheinen sich für alles Mögliche zu interessieren, nur nicht für den dunklen Holzstapel, der gibt noch nichts her. Also tollen sie schreiend herum, bewerfen sich mit Sand oder spielen Fangen. Die Eltern wissen bestimmt nicht immer, wo sich ihr Nachwuchs gerade herumtreibt und wem sie gerade ein wenig auf den Keks gehen. Bruno kommt mit zwei weißen Styroporbechern zurück, Glühwein.
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