Ich habe bis heute keine Ahnung, was er mir damals erzählte. Wir saßen an unserem Esstisch, und obwohl ich ihn ansah, fummelte ich die ganze Zeit unter dem Tisch an dem kleinen Päckchen herum.
Als er fertig war, stellte ich höflicherweise ein paar Fragen, die mich aber sofort auffliegen ließen.
„Das habe ich dir doch gerade erzählt. Hast du mir überhaupt zugehört?“, fragte er amüsiert.
„Nur ein bisschen“, log ich. „Schau mal, das habe ich für jemanden gekauft, der ein Baby erwartet.“
Da wir damals in unserem Bekanntenkreis tatsächlich sehr viele Schwangerschaftsverkündungen hatten, nahm er das Päckchen unbefangen entgegen und packte es aus. „Süß!“, sagte er und hielt die winzigen Söckchen in seiner Hand. „Für wen sind die?“
Ich reichte ihm die Karte. Ich weiß nicht, wie lang er diesen einen Satz ansah, aber es kam mir vor wie Stunden. Als er aufblickte, hatte er Tränen in den Augen. Dann stand er von seinem Stuhl auf. „Ist das schön! Wir werden Eltern! Herzlichen Glückwunsch auch dir!“, lachte er und drückte mich fest an sich.
Nun wurden also auch wir Eltern. Ich konnte es immer noch nicht glauben.
Der Kreis der Eingeweihten
Viele Frauen warten sicherheitshalber die ersten drei Monate ab, bevor sie mit der neuen Botschaft in die Welt ziehen.
Auch ich wählte mit Bedacht, wem ich wann von meiner Schwangerschaft erzählte. Das hatte aber vor allem einen Grund: Ich wollte nicht hysterisch-fröhlich wirken. Ich war schließlich eine entspannte Schwangere. Eine, die sich ob ihres neuen Untermieters nicht zum Zentrum der Gespräche machen wollte.
Keiner sollte sich in meiner Gegenwart so vorkommen, als sei sein eigenes Leben todlangweilig. Zu gut kannte ich diese Gespräche, in denen eine Schwangere von nichts anderem mehr erzählte als von 4D-Ultraschallbildern, Rückschmerzen, Babykleidung etc.
Diese Euphorie hatte immer etwas von einem neuen Lebensabschnitt, einer Veränderung. Logischerweise.
Doch konnte man selbst zu diesem Zeitpunkt keine Veränderungen in seinem Leben aufweisen, so kam man sich vor wie eine zum Stehen gekommene Murmel, die keinen Antrieb mehr hatte, weiterzurollen. Schwangere brachten einen unbewusst dazu, sein eigenes Leben kritisch zu hinterfragen.
Meine Familie wurde als erstes eingeweiht. Meine Eltern freuten sich riesig, schließlich wurden sie das erste Mal Großeltern.
Es blieb nicht aus, dass meine Mutter in meiner Heimatstadt Menschen traf, die mich schon von klein auf kannten, und schon bald hatte sich die Botschaft meiner Schwangerschaft über diesen Kanal in Windeseile verbreitet.
Plötzlich riefen Freundinnen an, mit denen ich schon jahrelang keinen Kontakt mehr gehabt hatte: Wie gerne sie mich sehen wollten und wie es denn so schwanger liefe.
Nun ja. Es lief rund.
Ich war ob meiner Schwangerschaft von einer normalen Frau zu einer wahren Sensation aufgestiegen und ich fragte mich: War denn eine Schwangerschaft wirklich etwas so Besonderes? Hatte ich irgendetwas nicht mitbekommen?
Sofort fielen mir etliche Situationen in meinem Leben ein, in denen ich mir so einen Beifall geradezu herbeigesehnt hatte. Dass es lediglich eines einzigen Abends mit meinem Mann im Bett bedurfte, um so einen Applaus zu ernten, überraschte und überforderte mich.
Überall, wo ich auftrat, wurde ich beglückwünscht. Die Glückwünsche der anderen Frauen gingen auch oft mit deren persönlichen Schwangerschaftsgeschichten einher. Meist endeten diese mit einer detailliert beschriebenen Entbindungsstory.
Wörter wie Damm- und Notkaiserschnitt oder Presswehen rannen aus den Mündern der schon Erfahrenen. Es war, als freuten sie sich geradezu, endlich ihre persönlichen Erfahrungen wiedergeben zu können.
Die Zeit verging wie im Fluge und ich ertappte mich – neben meiner Entspanntheit – dabei, dass auch ich plötzlich Ultraschallbilder meines Untermieters durch die Gegend schickte. Was war schon dabei? Andere veröffentlichten solche Bilder sogar auf irgendwelchen Plattformen im Netz! Dagegen war das Herumschicken von diesen persönlichen Aufnahmen innerhalb des Verwandten- und Freundeskreises ja reiner Kindergarten.
Jeder, der schon einmal ein 4D-Bildchen seines ungeborenen Babys in der Hand hatte, weiß um die Faszination, die mit Aufnahmen dieser Art einhergeht.
Ja, ich weiß, auch hier gibt es unterschiedliche Meinungen.
„4D-Ultraschallbilder! Lass das lieber! Das Schallen soll auch gar nicht gut fürs Baby sein. Wegen der Lautstärke.“
Andere argumentieren so: „Ist irgendwie abartig, ein Bild von einem ungeborenen Baby zu machen.“
Oder auch: „Ich mag mich überraschen lassen. Ich halte nichts von diesem neumodischen Quatsch!“
Als mir mein Gynäkologe anbot, ein 4D-Ultraschallbild von meinem Baby anfertigen zu lassen, siegte meine Neugier. Und obwohl es sich anfühlt, als stalke man sein eigenes ungeborenes Kind, überwältigte mich diese Aufnahme.
Und so entwickelten sich die Gynäkologengänge zu meinen persönlichen 4D-Events. Je mehr Zeit verging, desto deutlicher wurden die Gesichtskonturen meines Kindes. Für mich ein wahres Wunder.
Mein Bauch wölbte sich zunehmend und ich konnte bald nicht mehr die Gewichtsanzeige meiner Waage sehen. Auch schien es, als bräuchte ich einen Gehwagen, damit ich nicht vornüberstürzte. Nun war auch bald dem letzten Skeptiker bewusst, dass ich schwanger und nicht faul war.
Die Monate schritten voran und kam mir auf der Straße eine Mutter mit ihren Kindern entgegen, wurde ich oft angelächelt.
Mein schwangerer Bauch war wie eine noch ungestempelte Eintrittskarte in eine Welt, in der mich die Erfahrenen mit ihrem Lächeln schon willkommen hießen. Denn letztlich waren sie die Einzigen, die wirklich wussten, was auf mich zukommt.
Enzyklopädie Schwangerschaft
Sobald man schwanger ist, geben einem erfahrene Frauen gerne Tipps rund um das Thema Schwangerschaft . Diese Tipps können alles sein: wertvoll, hilfreich, unbrauchbar – oder aber ganz einfach verwirrend. Und plötzlich findet man sich in einem Dschungel der undefinierbaren Wörter wieder.
Schwangerschaftskauderwelsch
Die Welt der Schwangerschaft hat ihre eigene Sprache, die es zu verstehen gilt: Angefangen bei Vaporisator über Stillkissen und Stilleinlagen bis hin zu Pre-Milch, Active Windeln, Movement Sensor Pad, Milchportionierer, Cool Twister, Maxi-Cosi, PEKIP, Pucken etc. pp.
Ob ich denn schon einen Vaporisator hätte, fragte mich zum Beispiel eine Bekannte, die vor Kurzem ein Kind bekommen hatte. Den könne sie mir nur wärmstens empfehlen. Einen Besuch bei Google später konnte ich antworten: „Nein, ich habe noch keinen Dampfsterilisator.“
Als ich bei meiner Freundin Maja war, verschwand diese im Bad und kam kurz darauf mit einem kleinen braunen Fläschchen zurück: „Hier, wenn du magst. Ich hab es nicht lang benutzt.“
„Was ist das?“, fragte ich und nahm ihr das leicht ölige Fläschchen ab.
„Dammöl!“
„Dammöl?“, fragte ich irritiert.
„Ja, damit massierst du dir den Damm. Die Stelle zwischen Scheide und Poloch. Die Beschreibung hab ich leider nicht mehr. Kannst du im Internet nachlesen.“
Es war reine Höflichkeit, dass ich das Fläschchen nicht auf der Stelle fallen ließ. Warum sollte ich denn meinen Damm massieren? Und vor allem: Wie?
Zu Hause schaute ich mir im Internet aufmerksam und gleichermaßen überrascht den Beipackzettel und damit die Handhabung des Öls an. Sodann setzte ich mich auf die Toilette und wendete an, was ich gelernt hatte. Es war sehr befremdlich und vor allem: Wenn es zu einem Kaiserschnitt käme, hätte ich dann monatelang meinen Damm umsonst massiert? Was hätte ich davon außer der Erinnerung an eine verrenkte Körperhaltung?
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