Koblenz tröstete: «Das ist in der ersten Zeit immer so, ihr dürft euch nicht kopfscheu machen lassen. Bei solchen Großprojekten differieren die Planungsgrößen oft erheblich. Später kann man mit einer anderen Qualität rechnen. Plötzlich schlägt der Rückstand in Vorlauf um.»
Die einen oder anderen, die schon Erfahrung mit großen Bauvorhaben hatten, sahen wohl das Unsichere dieser Kalkulation. Solange Koblenz antrieb, alles auf sich vereinigte, solange diese Ein-Mann-Methode überhaupt noch möglich war, so lange mochte es wirklich nach dem Kopf des Oberbauleiters gehen.
Anders benahm sich der Oberbauleiter draußen bei seinen Männern. Der Mann, der keinen Widerspruch ertrug, ohne zurückzuschlagen, ließ sich von irgendeinem Bauarbeiter ganz gern rüffeln.
«Ja, Gallas, Sie haben ja völlig recht, es ist eine bodenlose Schlamperei, daß wir keine kontinuierliche Betonzulieferung haben. Ich stimme Ihnen auch völlig zu, wenn Sie meinen, wir müßten ein eigenes Betonwerk haben. Das ist eine gute Idee. Ich werde mich dafür verwenden. Und sonst, wie kommen Sie sonst zurecht?»
Das Betonwerk stand längst im Plan. Es war nicht nur zum Munde reden oder Manipulation, wenn Koblenz zustimmte. Ohne Ingenieure wäre er schon ein paar Monate ausgekommen; ohne Leute vom Schlage eines Gallas hätte er einpacken müssen. Deshalb hörte Koblenz immer auf Gallas Ratschläge. Schon in der Vorplanungsphase hatte Koblenz ein Betonwerk an Ort und Stelle für das wichtigste gehalten. Daß ihm der Baupraktiker Gallas, ohne es zu wissen, auf diesem Weg seiner Gedankenkette gefolgt war, bestärkte ihn nur in seiner Meinung, alles müsse operativ, also weniger umständlich gelöst werden. Hinzu kam noch, daß Koblenz sich auf Baustellen auskannte, er haßte Schlamperei, und er sah bei Gallas die Arbeit, die er selbst für vorbildlich hielt.
9
Gallas arbeitete mit der Gruppe an einem der wichtigen Objekte, dem Komplexgebäude, das später die stromerzeugenden Maschinen und Steueranlagen aufnehmen sollte. Noch waren sie mit dem Legen des Fundamentes beschäftigt. Überall ragte Armierungseisen aus schon gegossenem Beton. Ein dichter Wald oben umgebogener Eisenstangen erhob sich; gerade, kreisförmig, alles noch unterhalb der Erdoberfläche. Um den Bau herum zog sich ein breiter Plattenweg, auf dem sie jetzt die Schienen für den Turmdrehkran befestigten. Der Kran stand noch umgelegt in Nähe des Objektes. Ein kleinerer Mobilkran, von einem Tieflader mit Betonplatten gefolgt, verlegte immer noch andere Platten, rollte auf der von ihm selbst verlegten Grundlage weiter vor. Weichand und einer von den neuen Leuten, Bleuel, arbeiteten daran. Es ging zügig voran. Hinter ihnen montierten Vogt und zwei andere Schienen, auf denen der Turmdrehkran später laufen sollte.
Gallas, Fouché und Kachulla verflochten die Armierungseisen, warteten auf die nächste Betonlieferung. Der Bau fraß eine ungeheure Menge Beton, der, naß geschüttet, mit dem elektrischen Rüttler verdichtet wurde. Die Männer trugen hohe Gummistiefel, deren obere Ränder umgekrempelt waren und einen breiten hellen Streifen sehen ließen. In die Gummistiefel steckten sie die Hosenbeine. Die blauen Wattejacken schützten vor der Witterung, der weiße Helm den Kopf. Überall war der Boden um den Komplexbau herum zu glitschigem Lehm geworden. Zeigten sich irgendwo ein Streifen Sand oder noch Mutterboden, so sproß an diesen Stellen helles Grün, Melde, Gras, Unkraut. Auf dem festen Boden am Rande des Bauwerkes standen mehrere Biege- und Schneidegeräte, mit denen sie die Armierungsrohlinge in die für den Augenblick richtige Form schnitten und bogen. Dort hielten sich jetzt Gallas, Fouché und Kachulla auf. Sie schätzten die Zeit, bis mit der Montage der Fertigteile begonnen werden konnte. Fouché meinte, daß sie noch drei Wochen Fundament schütten würden. Kachulla hielt diese Spanne für zu kurz. «Im Jejenteil», Fouché erläuterte, wie sich die Arbeit entwickeln müsse, aber Gallas unterbrach ihn trocken: «Sechs Wochen.»
«Wer kommt auf den Kran?»
Kachulla hatte den Berechtigungsschein, aber auch Weichand und Gallas hatten ihn.
Fouché sagte, Kisko wolle Bleuel auf den Turmdrehkran setzen. Gallas zündete sich die Zigarette an, die er schon eine Weile in der Hand hielt, schickte einen höhnischen Blick in Richtung Bleuel und sagte: «Wenn diese Pfeife auf den Kran kommt, dann werdet ihr nicht das Salz aufs Brot verdienen.»
Über den Weg, eine aufwärts führende Rampe, rollten zwei Betonfahrzeuge.
«Da kommen die Kipper», sagte Gallas rasch. Er warf die eben angerauchte Zigarette weg. «Los, dalli, dalli.»
Bis zur Pause hatten sie zu tun, dann gab Gallas das Zeichen, und sie gingen zum Verpflegungszelt, empfingen in Plastbeutel abgepackte Rationen und Tee. Die gesamte Brigade, zwölf Mann, blieb, auch während der Frühstückszeit zusammen. Gallas riß den Beutel auf, entnahm ihm eine Knackwurst und Brot, er begann zu essen. Sie saßen auf Holzbänken an langen Tischen, die von Zimmerleuten grob zusammengefügt waren. Gallas gegenüber saß Bleuel, er redete mit Neumann. Gallas hörte zu.
«'ne verrückte Schinderei», sagte Bleuel, «und ganz nutzlos. Der Boden ist nicht fest genug. Ich will dir mal was sagen, ich habe oben bei den Fischköppen schon mal solche Straßen gebaut, die haben kein Jahr gehalten. Das Zeug rutschte einfach weg.»
Neumann zerschnitt einen Apfel in vier Teile, mit einem Blick zu Gallas sagte er: «Beton kommt auch nicht genug ran.»
Gallas sagte bloß: «Seht mal zu, daß ihr heute fertig werdet mit euren Platten: Ich brauche euch morgen am Fundament.» Antwort wartete er nicht ab, er stieg über die Holzbank, und mit einem kurzen «Mahlzeit» ging er rasch in Richtung Baracke. So hörte er auch nicht, wie Bleuel fragte: «Wer hat den denn Galli getauft? Gut gesehen, muß ich sagen, solange ich hier bin, hat der noch nie gelacht.»
Die Jüngeren grinsten, und Kachulla sagte stolz: «Das war ich. Und was das Lachen betrifft, sehn dich nicht danach, daß Gallas mal lacht.»
Leicht gereizt war die Stimmung. Der friedfertige Weichand bemerkte: «So'n miesen Verein haben wir noch nie gehabt.»
Eine Weile schwiegen sie, mit Essen beschäftigt.
«Kann schon sein, daß euch früher die Wunderkinder nur so ins Haus flogen», sagte Bleuel gelassen, der Zustimmung durch die Jüngeren sicher, «Ich Idiot habe geglaubt, in so'ner Mannschaft geht es nicht ohne Kameradschaft. Die haben uns ja auch erzählt, was für Helden sich hier einfinden werden. Damit ihr Mal klar seht, ich laß mich von keinem rumkommandieren, auch nicht von Gallas.
«Jetzt hast du die große Schnauze», Fouché schaltete sich ein, «wo Gallas nicht da ist. Hier kommandiert ja auch keiner, wir haben was zu verlieren, ihr nicht.»
«Sollte mich wundern, was ihr zu verlieren habt», sagte Bleuel herabgestimmt.
Sie saßen noch eine Weile, steckten sich Zigaretten an und gingen in Gruppen zum Fundament zurück.
10
Gallas holte sein Rad, prüfte mit dem Daumen den Reifendruck und schwang sich in den Sattel. Die Entfernungen waren groß genug, daß sich Räder bezahlt machten. Mit einem Rad kam man überall durch, zur Not konnte es über besonders unpassierbare Stellen getragen werden. Mopeds oder Motorräder hätten den Aufwand nicht gelohnt. Ein paar Minuten lang folgte Gallas den Fahrspuren, dann umrundete er die Standplätze der Kühltürme. Bis jetzt war hier noch nicht begonnen worden. Auch am Schornsteinfundament - wie es hieß, sollte er der höchste Europas werden - war Totentanz. Gallas fand sich ausgezeichnet zurecht in dem Gewirr von Wegen, Baugruben und begonnenen Bauwerken. Den Plan der gesamten Kraftwerkanlage hatte er im Kopf, die Größe des Vorhabens imponierte ihm. Hier war endlich mal eine Chance, was Sichtbares hinzustellen, nicht bloß Gräben auszuheben, Trassen zu legen und Ähnliches, sondern ein mächtiges Werk. Es war auch eine persönliche Chance. Gallas trat instinktiv in eine Beziehung zu diesem Giganten. Es hätte ruhig etwas passieren können, etwas Aufrüttelndes, in dem verschlafenen Einerlei der Tage. Gallas haßte diese Arbeit plötzlich, haßte dieses im Entstehen begriffene Werk, das ihn eines Tages wieder ausspucken würde, wenn er das Seine dazu getan hatte,
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