In diesen Jahren prägt sich der Charakter Bernhards weiter aus. Bernhard kann alles, weiß alles, braucht nichts mehr zu lernen. Der sehnige kräftige Junge erträgt keinen Widerspruch, und der alte Gallas bestärkt seinen Jüngsten noch: Laß dir nischt gefallen, Junge, schlag zurück oder schlag zuerst. In der Schule lernt Bernhard schlecht, schuld sind die neuen Lehrer: Die wissen ja auch nicht viel mehr als die Bengels.
Unter den Jungen gilt Bernhard unumstritten als Anführer. Anfang 1948 kehrt der älteste Bruder zurück, in olivgrünen Sachen, mit einem amerikanischen Seesack. Er sitzt in Vaters Küche, pellt einen Kaugummi aus dem bunten Papier, schiebt ihn in den Mund, reißt eine Packung Camel an, raucht, sieht sich in der Küche um. Sein Kopf ist bis auf einige Zentimeter geschoren, ein Ami.
Ja, mein Junge, an deiner Stelle wär ich gar nicht mehr hergekommen. Es sieht nicht so aus, als ob die Iwans bald abhauen. Die haben hier abmontiert, was nicht niet- und nagelfest war. Macht einer das Maul auf, wandert er nach Sibirien. Den Krieg hätten wir nicht anfangen sollen, oder wir hätten ihn gewinnen müssen. Ach, Scheiße.
Der Sohn, vier Jahre Arizona: Schlecht ist es uns nicht gegangen, wir hatten genug zu fressen, aber vier Jahre, die machen einen fertig.
Was willst du denn nun anfangen? Dein Bruder hat sich einwickeln lassen mit der Neubauernstelle - wenn es mal anders kommt.
Erst mal hierbleiben, Vater.
Diese Hunde bluten uns weiß, mein Junge. Alles. Schwindel von den Lagern und den Juden, das haben die nachher aufgebaut.
Na, na, wir haben ja auch was gesehen, nicht?
Dieser Sohn kommt nicht nur aus einer anderen Welt, er ist auch anders geworden. Zunächst tut er nichts, gibt sich aber viel mit dem jüngeren Bruder ab, geht auch zu dem Einarmigen, hört sich das an, sieht sich das an, sagt nichts dagegen, schweigt. Schließlich sagt er: Laß dich nicht scheu machen, Boy. That's so. Und zu Bernhard: Hör mal, Kleener, noch ist Zeit zum Lernen. Maurer willst du werden, gut, ist nicht schlechter als anderes. Der Alte, er meint den alten Gallas, setzt dir mit seinem Rochus auf die Iwans einen verdammten Floh ins Ohr, fürchte ich. Vielleicht ist hier nicht alles schlecht, vielleicht doch. Jedenfalls mußt du hier leben.
Wie ist das denn nun mit den Cowboys?
Alles Quatsch, Kleener, ich will dir mal was sagen, so was hat es vielleicht mal gegeben, jetzt nicht mehr. Was ist überhaupt mit dieser verdammten Kuhbläke hier los? Sind die alle verrückt geworden?
Gallas Ältester bleibt nicht lange, er zieht nach Magdeburg, wieder als Bauarbeiter.
Bernhard beendet die Schule mit vierzehn. Der alte Gallas arbeitet längst nicht mehr. Eines Tages fährt er mit seinem Jüngsten in die Kreisstadt, um Bernhard dem Besitzer des alten Baubetriebes vorzustellen: Du antwortest nur, wenn du gefragt bist, verstehst du? Herr Willich ist ein alter Bekannter von mir. Deine Zeugnisse sind nicht gerade die besten. Aber er wird dich nehmen.
Herr Willich sitzt in einer kleinen Bude mit zwei Schreibtischen, einem Telefon; eine Schreibmaschine steht auf einem Tisch, an der Wand ein Aktenschrank. Auf dem Hof tuckert ein Lanz-Bulldog, lagert Baumaterial.
Ja, Gallas, schön, Sie mal wiederzusehen. Nehmen Sie eine Zigarre? Das ist also der Bernhard. Tag, mein Junge.
Herr Willich, der Bernhard ist jetzt soweit, er will Maurer lernen.
Und da kommen Sie zu mir? Haben Sie eine Ahnung, wie lange ich den Betrieb noch behalten darf? Einem anderen was wegnehmen ist noch immer die leichteste Art, zu was zu kommen. Geben Sie den Jungen lieber in so einen volkseigenen Saftladen.
Wenn es mal anders kommt, Herr Willich?
Ja, wenn. Es kann lange, sehr lange dauern, bis es soweit ist.
Da können wir alt und grau werden. Man hofft ja immer. Die ruinieren ja alles. Wenn es wirklich mal anders kommt, Gallas, soviel Bäume gibt es gar nicht und soviel Stricke. Da will ich dabei sein, da mach ich mit.
Wird auch nötig sein. Was mach ich denn nun? Die Zeugnisse von dem Jungen sind nicht gerade besonders, Herr Willich.
Ach, Zeugnisse, arbeiten soll er, ein tüchtiger Kerl werden, ein Fachmann. Haben wir denn all die Jahre schlecht gebaut? Sagen Sie, Gallas, sind unsere Häuser schlecht? Na, sehen Sie. Ich habe ja keine Lehrlinge mehr, ich bau hier ein bißchen ab; ich kann es Ihnen nicht so erklären. Nicht auffallen, denke ich. Hier lernt er was, hier lernt er noch einen sauberen Verband mauern, Fugen, eine wie die andere. Sehen Sie sich doch mal an, was die heute hochklatschen. Wird ein Brettchen gebraucht, zerschneidet man eben eine Bohle, kostet ja nischt. - Na gut, um mal zum Ende zu kommen, ich werde Ihren Jungen nehmen. Ich mache Ihnen den Lehrvertrag fertig, kommen Sie bei Gelegenheit vorbei.
Bernhard Gallas beginnt zu lernen, aber sein soziales Erbe macht sich bemerkbar; wie gute und schlechte Maurerarbeit aussieht, hat Bernhard vom Vater und den Brüdern schon vor Jahren abgeguckt. Er schwankte auch nie, ein anderer Beruf kam nicht in Betracht. Kurz vor Ende der Lehrzeit gibt der Lehrherr seinen Betrieb auf, das heißt, er setzt sich ab. Ein Treuhänder übernimmt den Baubetrieb. Für Bernhard ändert sich nichts, er legt ordentlich die Gesellenprüfung ab, besteht sie mit sehr gut. Danach kündigt er. Manchmal treffen sich die drei Brüder im Hause des alten Gallas. Da brechen die Gegensätze auf.
Herr Willich hat drüben in Westberlin wieder einen Baubetrieb, ich soll zu ihm, was soll ich machen?
Hör mal, Boy, mach das nicht. Ich kann dir nicht mal sagen, warum du es nicht machen sollst, ich bin bloß der Meinung, man geht irgendwie vor die Hunde, mich erinnert das immer ein bißchen an Amerika, aufgeblasen, großschnauzig, immer ein großes leeres Haus, ich weiß nicht.
Bernhard ahnt wohl, daß der Große, den er stets bewunderte, eine Menge erlebt hat, aber er will seinen eigenen Weg gehen. Quatsch mir nicht rein, ich mach, was ich will.
Der Einarmige: Du, mir gefällst du schon lange nicht mehr, Kleener. Ich kenne doch Willich, wir haben doch alle da gelernt. Du bist nichts Besonderes, Kleener, bloß ein einfacher Maurer, vielleicht ein guter, aber in deinem Kopf sieht es schlimm aus, du siehst nur Geld, kennst nur den Augenblick.
Der alte Gallas: Wenn es mal anders kommt?
Der Einarmige: Mensch, Vater, es kommt nicht anders, und ich frage dich, was willst du denn? Willst du die Nazis wiederhaben? Und was heißt, es kommt anders? Anders kommen heißt Krieg. Ich hab einen Arm verloren, mir reicht das. Mach den Kleenen nicht verrückt.
Richtig, Boy. Vater, überleg mal, war das früher wirklich so schön? Wir sind einfache Leute, uns geht es überall beschissen, mit uns machen sie immer, was sie wollen.
Der alte Gallas: Nun will ich euch mal was sagen, ihr Schlauberger, ich weiß längst, was die Glocke geschlagen hat. Du, zu dem Einarmigen, kriechst den Iwans hinten rein, mit deiner Neubauernstelle. Jetzt machen sie ihre Kolchosen. Paß nur auf, dich kriegen sie auch noch, dann war alles Schindern umsonst, dann stehst du da. Dann komm nicht zu mir und jammre. Und du, zu dem Ami, du spielst dich auf als Brigadier. Brigadier, russische Moden, wenn ich das schon höre. Du fällst auch noch auf die Schnauze, immer schrubbe, du kriegst die Quittung.
Ungewiß ist die Zukunft, sie spüren es.
Denkt mal an letzten Sommer, sagt der alte Gallas, da hat es doch an einem Haar gehangen, nicht wahr, dreiundfuffzich, beinahe. Was wär denn passiert, wenn die Iwans nicht mit den Panzern nach Berlin gekommen wären? Nee, noch weiß keiner, wie das ausgehen wird, Jungens. Und ich will euch noch was sagen, es waren Bauarbeiter, die gestreikt haben. Darauf bin ich stolz.
Du, stolz? Du bist doch nie organisiert gewesen, Gewerkschafter sind für dich immer so was wie Zuchthäusler gewesen. Jetzt spielst du dich auf? Daß ich nicht lache. Herr Willich vorne, Herr Willich hinten, den hast du am Arsch geleckt, nee, Boy.
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