„Schön, schön, das Recht haben Sie“, sagte der Ältere und versuchte vergeblich sein Hemd in die Hose zu stopfen, aber seine Wampe war ihm im Weg.
„Wie kommen Sie dazu, mich dauernd zu duzen?“, fragte er den Kripomann, der immer noch am Fenster hing und sich langweilte.
„Du bist für uns ein kleiner gewalttätiger Dummkopf und sonst nichts.“
„Und du bist für mich ein beschissener Bulle, der den Arsch auf hat.“
Der Mann am Fenster kam auf Karl zu und er hätte zugeschlagen, wenn es nicht an der Tür geklopft hätte. Lena und ein älterer, korpulenter Mann betraten den Raum. Von seinem Äußeren machte er den Eindruck eines freundlichen, gut gelaunten Onkels. Der Mann stellte sich vor: „Ich bin Rechtsanwalt Müller und vertrete Herrn Hent. Meine Begleiterin ist die Verlobte von ihm.“
Karl dachte, was ist sie doch für ein Pfundskerl, wo hat sie nur so schnell den Rechtsanwalt her? Das er ihr Verlobter war, dagegen hatte er nichts. Karl unterschrieb sofort eine Vollmacht für den Müller. Die Polizisten hatten noch nichts gesagt, aber ihre Gesichter erinnerten an Leute, die bei einer Dummheit gestört wurden.
„Wir kennen uns doch“, meinte der ältere Beamte.
„Sie haben vor drei Jahren den Fall Schneider verteidigt und verloren, liege ich da richtig?“
„Sie liegen richtig“, sagte Müller, „nach der Beweislage hätte man Sie und einige Ihrer Kollegen einsperren sollen“ und fragend ironisch ergänzte er: „liege ich da richtig? Sie haben es geschafft den Staatsanwalt für sich einzunehmen. Der Richter, ein alter Mann, hat Ihnen geglaubt. Heute bin ich gekommen, um Herrn Hent aus Ihren Klauen zu befreien.“
Der Beamte, der Karl fast geschlagen hätte, sagte: „Ihr Verhalten und Ihre Beschuldigung ist für uns eine einzige Zumutung, Sie sollten sich zurückhalten, Herr Rechtsanwalt Müller.“
Das Wort Rechtsanwalt betonte er in einer Weise, die den Menschen Müller in Frage stellte. Karl verfolgte alles amüsiert, hoffte aber hier bald raus zu kommen. Lena saß neben Karl auf einem Stuhl.
„Ich kenne Herrn Müller als Pflichtverteidiger für Menschen, die wegen kleiner Delikte vor den Strafrichter sollen. Nun Karl, was ist los? Du bist mir wohl eine Erklärung schuldig.“
„Ich hatte doch gar keine Zeit mit dir zu reden, du weißt doch selbst, was die Bullen in deiner Wohnung mit mir abgezogen haben.“
Etwas leiser, zu ihr gebeugt: „Ich habe Scheiße gebaut, das muss ich dir leider beichten.“
Müller war sich sicher, dieser Franz Teefen, der Leiter des Kommissariats, hatte mal wieder die Sau raus gelassen und ohne ausreichende Gründe den Karl Hent nach Stasi Manier festgenommen. Es lag wohl eine Strafanzeige wegen Körperverletzung vor, aber dieser Einsatz war völlig überzogen. Müller dachte, irgendwann finde ich Beweise gegen diese Type, dann darf er, wenn er Glück hat, wieder Streifendienst schieben.
„Herr Teefen, haben Sie stichhaltige Beweise gegen meinen Mandanten, die eine längere Festnahme rechtfertigen?“
„Wir haben die Anzeige und jede Menge Zeugen, glaubwürdige Zeugen.“
„Haben Sie Vernehmungsprotokolle der Zeugen? Haben Sie am Tatort genaue Untersuchungen gemacht?“
„Wir sind dabei“, sagte Teefen. „Kollegen der Spurensicherung haben ihre Arbeit aufgenommen.“
Er spürte, dass er diese Runde verlieren würde, dafür war dieser alte Fuchs von Rechtsanwalt viel zu schlau.
„Mit diesen dürftigen Fakten werden Sie keinen Haftbefehl bekommen. Sie können Herrn Hent nicht länger festhalten und das wissen Sie auch. Für Vernehmungen steht Herr Hent jederzeit zur Verfügung, nicht wahr Herr Hent?“
„Natürlich“, sagte Karl und war sicher, mit Lena nach Hause gehen zu können.
Müller hatte sich mächtig ins Zeug gelegt. Er löste den oberen Knopf seines Hemdes, um sich etwas zu erleichtern, nahm seine Aktentasche und wartete, bis Karl seine Sachen bekam, Geldbörse, Zigaretten und den neuen Personalausweis. Als sie auf der Straße standen, überlegte RA Müller einen Augenblick und sagte: „Ich lade Sie zum Kaffee ein, ich kenne ein nettes, kleines Bistro.“
Sie saßen an einem Fensterplatz mit Blick auf die lebhafte Fußgängerzone. Die Einladung hatte natürlich einen Grund. Müller wollte diesen Karl Hent näher kennen lernen, ihm behutsam auf den Zahn fühlen. Im Übrigen fühlte er sich in väterlicher Art der Lena Don verpflichtet. Er kannte ihre mühevolle Arbeit mit den Armen dieser Stadt. Er bat Karl, ihm doch die Hintergründe ehrlich zu schildern, so wie es wirklich war. Karl wollte ihm nichts verschweigen, er hoffte Verständnis für seine Tat zu finden. Müller hörte sich alles in Ruhe an, ohne Karl zu unterbrechen. Nachdem alles gesagt war, gab es eine längere Pause. Müller lehnte sich zurück und sagte: „Sie haben zwei Möglichkeiten: Sie bekommen eine Vorladung, werden zur Straftat vernommen und als Wiederholungstäter verurteilt. Auch wenn die Gründe verständlich sind, bei schwerer Körperverletzung wird die Strafe nicht milde ausfallen. Oder Sie tauchen ab, mit der Folge, dass Sie zur Fahndung ausgeschrieben werden und über kurz oder lang der Polizei ins Netz gehen. Sollten Sie es schaffen sich ins Ausland abzusetzen, bis zum Ablauf der Verjährungsfrist dort überleben, könnten Sie als freier Mann zurückkommen. Aber es dürfte nicht einfach werden.“
Müller bot Karl eine Zigarette an, er selbst wollte mit dem Rauchen aufhören. Karl hatte sich alles angehört, zog mit Genuss an der Zigarette und ließ den Rauch tief durch die Lunge ziehen. Der Mann hat ja Recht dachte er. Er wollte den weiteren Weg mit Lena besprechen. Für RA Müller war der Fall Hent vorerst erledigt. Die Zukunft dieses jungen Mannes sah nicht rosig aus. Er ging davon aus, dass Hent untertauchen würde. Er hatte oft versucht junge Menschen vor langen Haftstrafen zu bewahren. Im Fall Hent stand die Karre voll im Dreck. Sein Jähzorn, der ihn immer wieder beherrschte und meist mit brutalen Schlägen endete, würde ihn noch in manche Schwierigkeit bringen.
Müller erhob sich, nahm seine Aktentasche, verabschiedete sich und ging. Lena und Karl gingen zu Fuß nach Hause. Ein kalter Ostwind kündete den Winter an und beide freuten sich auf die warme Wohnung. Wie sollte es nur weitergehen, was würde aus ihrer Beziehung, wenn Karl untertauchen musste? Lena wusste nicht, wie sie sich verhalten sollte. Sie war böse auf Karl, aber es tat weh, die Verbindung einfach wegzuwerfen. Sie konnte verstehen, dass Karl dem Lumpen von Arbeitsverleiher eine verpasst hatte, aber ihn gleich halb tot zu schlagen, dann noch vor Zeugen, was für eine verfahrene Situation, eine ausgemachte Scheiße.
„Hör zu, wenn du untertauchen willst, brauchst du Geld und auch einen gut gefälschten Reisepass.“
Karl meinte: „Das hört sich an, als wäre es ein Kinderspiel.“
„Lass mich mal machen, es ist ein Versuch, aber es könnte klappen.“
Die nächsten Tage verbrachte er in der Wohnung. Er hatte Zeit, über seine Lage nachzudenken. Kein Geld, keine Arbeit und die Polizei saß ihm im Nacken. Das gefiel ihm gar nicht. Es war zum Verzweifeln. Seit Wochen lebte er von Lenas Geld und das war auch nicht viel. War das eine Grundlage für eine feste dauerhafte Beziehung? Wohl kaum.
Lena war unterwegs, einen falschen Pass für Karl zu besorgen. Sie betrat das jugoslawische Restaurant, bestellte sich einen Kaffee und wollte den Inhaber sprechen. Es dauerte nicht lange und der Geschäftsführer, ein schlanker Mann mit Hakennase, dunklem Haar, kam zum Tisch, um nach den Grund zu fragen.
„Herr Salowitsch ist nicht im Hause, kann ich Ihnen helfen?“
„Ich kann mein Problem nur mit Herrn Salowitsch besprechen. Es ist nett, dass Sie mir helfen wollen. Ich komme heute Abend wieder. Sagen Sie Herrn Salowitsch, Lena Don möchte Ihn sprechen.“
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