„Ich weiß, ich bin ja schon froh etwas zu helfen.“
Ihre Verbitterung war nicht zu überhören. Sie nahm nochmal das Schreiben zur Hand.
„Du wirst dich bei diesem Verleiher vorstellen müssen, sonst wird dir dein Arbeitslosengeld gestrichen. Die sind sofort bei der Hand, wenn es um Einsparungen geht.“
Das Büro des Verleihers war äußerst modern, Karl wunderte sich, wie die Herrschaften residierten. Eine junge Frau, im eleganten Outfit, nahm ihm sein Schreiben ab, ließ ihn einen langen Fragebogen ausfüllen und führte ihn in ein Büro. Er war der einzige Besucher und trotzdem sollte er noch warten. Das gehört wohl dazu, dachte er. Endlich brachte die Dame ihn in einen Raum. Hinter einem metallenen, modernen Schreibtisch saß ein Mann, dunkler Anzug, Krawatte und Lackschuhe. Der Typ hat mein Alter dachte Karl und schaute ihn leicht amüsiert näher an. Der sah auf den Fragebogen und meinte: „Wo haben Sie die letzten zwei Jahre gearbeitet?“
„Im Knast“, sagte Karl und wartete gespannt auf die Reaktion des Mannes.
Der schaute kurz auf, machte einige Notizen auf dem Fragebogen und sagte: „Ich suche eine kräftige Hilfskraft für eine Maschinenfabrik. Sie haben eine kaufmännische Ausbildung und Büroarbeit gemacht, ist das richtig?“
Er wartete die Antwort nicht ab und meinte: „Was Sie verbrochen haben interessiert mich nicht. Ich erwarte Pünktlichkeit und Fleiß. Haben Sie einen Führerschein, ein Auto?“
„Fahrerlaubnis ja, Auto kann ich mir nicht leisten.“
„Was nicht ist, kann ja noch werden.“
Er stand auf, gab Karl die Hand.
„Morgen früh um sechs Uhr sind Sie am Arbeitsplatz. Sie bekommen eine Karte für den Meister im Betrieb. Ein Herr Herms wird Sie einweisen. Sie arbeiten als Schleifer an großen Metallteilen. Über Ihren Lohn haben wir ja gesprochen. Es steht alles in Ihrem Arbeitsvertrag, den Sie in einem Exemplar für uns unterschreiben. Das andere ist für Sie. Frau Lins, unsere Sekretärin, wird Ihnen alles erklären und das Nötige aushändigen.“
Tatsächlich war über den Stundenlohn nicht gesprochen worden. Es war ein sehr bescheidener Betrag, von dem unter dem Strich nicht viel übrig blieb. Er war offensichtlich über den Tisch gezogen worden und hatte es erst bemerkt, nachdem er unterschrieben hatte.
„Sie brauchen einen Blaumann, feste Arbeitsschuhe und passende Handschuhe“, sagte die Bürolady, gab ihm den Vertrag, einen Zettel mit den Personalien und Verwendungszweck.
Vor dem Büro saßen noch Männer, die ihre Fragebögen ausfüllten. Vom kaufmännischen Angestellten zum schlecht bezahlten Hilfsarbeiter, welch ein Absturz, dachte Karl verbittert, als er mit der Straßenbahn zu Lena fuhr.
Er schaute auf die Uhr und vergewisserte sich, dass sie zu Hause sein müsste. Er hatte keinen Schlüssel, sollte aber einen bekommen. Prima, sie war da und machte gerade Abendbrot. Sie begrüßte ihn in ihrer fröhlichen Art. Karl ging ins Wohnzimmer und las im Arbeitsvertrag endlich das Kleingedruckte. Was ihn gleich erboste war die Klausel, in der angedroht wurde, dass bei Fehlverhalten des Vertragspartners eine Geldstrafe bis zu einer Höhe von vierzehn Arbeitstagen einbehalten wurde. Was sind das nur für Schweine, dachte Karl und das sagte er auch. Lena deckte den Tisch und sah neugierig auf Karl und den Arbeitsvertrag.
„Lass uns erst essen, dann reden wir darüber.“
Karl schaute böse.
„Ich habe keinen Hunger mehr, ich fühle mich beschissen. Ich muss Geld verdienen, es muss doch einen vernünftigen Anfang geben. Warum wird mir alles so schwer gemacht? Allein das Berufsverbot, es ist ein Berufsverbot, wenn man ein polizeiliches Führungszeugnis braucht, um als Kaufmann zu arbeiten. Soll ich als Hilfsarbeiter durchs Leben gehen?“
Er sah hilfesuchend zu Lena, bis er ihre warme Hand spürte und sich etwas beruhigte.
„Komm, iss etwas, lass uns gleich beraten, was wir machen können. Du brauchst Arbeitsklamotten. Wir fahren ins Büro und ich werde sehen, ob ich im Lager fündig werde.“
Sie fuhren zu Lenas Arbeitsplatz. Im Büro war niemand. Lena hatte alle Schlüssel und im Keller war einiges, was nach Arbeitskleidung aussah. Nur Arbeitsschuhe gab es nicht, es mussten Winterschuhe herhalten. Wieder draußen wurden Sie von einem heftigen Regenguss überrascht. Es waren die ersten Zeichen des Herbstes, der Sommer verschwand bis zum nächsten Jahr.
Karl musste früh raus, um pünktlich zur Arbeit zu kommen. Bepackt mit seinen Sachen und Broten musste er nach längerer Straßenbahnfahrt noch ein gutes Stück zu Fuß gehen. Das stank ihm schon. Es war sein erster Arbeitstag in einer Fabrik, ein seltsames Gefühl. Es gab zwei große Produktionshallen und ein modernes Verwaltungsgebäude aus Metall und Glas. Es wurden Rohre für Großprojekte gefertigt. Sie stapelten sich in allen Längen und Durchmessern. Der Pförtner, nahm Karls Zettel, setzte einen Stempel mit Uhrzeit und gab ihn zurück.
„Siehst du die rote Tür an der Halle?“, er zeigte in die Richtung. „Da gehst du rein, zeigst dem Meister Weißbrot den Zettel, der weist dich ein. Er ist der große Mann im grauen Kittel und weißem Helm.“
Karl ging zur roten Tür, ein ohrenbetäubender Lärm und der Geruch von Rost schlug ihm entgegen. Große Kräne transportierten gestapelte Rohre an massiven Haken über die Köpfe der Arbeiter. Ein Glaskasten mit steiler Treppe war die Meisterbude. Karl sah einen Mann mit weißem Helm am Schreibtisch. Wenn er den Kopf hob, konnte er die gesamte Halle überblicken. Der Meister nahm ihn abschätzend in Augenschein.
„Was haben Sie früher gemacht?“, fragte er gelangweilt.
Bevor Karl antworten konnte, meinte er: „Ach lassen wir das. Sie haben einen Tag, um sich zurecht zu finden. Wenn Sie morgen noch da sind, erwarte ich volle Leistung. Er nahm den Zettel, bestätigte, dass Karl bei ihm angekommen war.
„Sie sind der sechste, die anderen haben nur einen Tag ausgehalten, dann das Handtuch geschmissen. Bin gespannt, wie lange es bei Ihnen dauert.“
Er stand auf.
„Ich zeige Ihnen den Umkleide- und den Pausenraum, dann Ihren Arbeitsplatz.“
Die Räume waren ausreichend. Es dauerte bis Karl all das erhielt was er brauchte, um mit der Arbeit anzufangen. Eine Schutzbrille und einen Seitenschleifer, um abstehende Grate zu entfernen. Die ungewohnte Arbeit war schwer. Der Lärm, der Metallstaub und der Rost waren alles andere, nur nicht gesund. Den Lärmschutz und die Staubmaske musste er sich selbst besorgen. Die betriebseigenen Leute hatten alle Schutzhelme, die Leiharbeiter liefen in Räuberzivil. Sie machten die Drecksarbeit und das bei mieser Bezahlung. Das war der Leitung und dem Meister völlig egal. Das war moderne Sklaverei.
Nach zirka einer Stunde tippte ihm jemand von hinten auf die Schulter. Vor ihm stand ein drahtiges Kerlchen im Blaumann und roter Mütze.
„Ich bin der Vormann der Leiharbeiter und kümmere mich um eure Belange.“
Karl gab ihm die Hand und meinte: „Wer hat dich als Vorarbeiter eingesetzt?“
„Das hat der Weißbrot veranlasst, eigentlich sorge ich für den Unfallschutz und habe dir Handschuhe und Mundschutz mitgebracht.“
Er gab Karl die Sachen.
„Wie viele Fremdarbeiter gibt es hier?“
Das Wort Fremdarbeiter wurde von Karl extra betont.
„Na, so etwa 25, von mehreren Verleihern. Ich muss an die Arbeit, ich bin Hugo Randschein, wenn was ist, ich arbeite hinter dir.“
Karl dachte, der Weißbrot wird sicher die Männer aushorchen. Seine Vermutung wurde schon bald bestätigt. Die ersten Tage waren die Schlimmsten. Zu Hause beklagte er sich bitter bei Lena, die am wenigsten dafür konnte. Sie behandelte ihn schon wie ein rohes Ei, sprach ihm gut zu und verteilte Streicheleinheiten.
14 Tage später, kurz vor Feierabend, gab es in Karls Nähe eine laute Auseinandersetzung. Ein Mitarbeiter, auch von Karls Verleihfirma, hatte sich bei Weißbrot beschwert, weil ihm für sechs Minuten Verspätung 30 Minuten von der Arbeitszeit abgezogen worden waren. Das war natürlich unverhältnismäßig viel. Der gute Randschein stand dabei und unterstützte den Meister. Seine Aufgabe wäre, vermittelnd einzugreifen. Doch Weißbrot machte Nägel mit Köpfen und setzte den Mitarbeiter vor die Tür. Er mochte ihn wohl auch nicht. Für Karl war klar, der Randschein war eine schlappe Titte, sonst nichts. Letztlich war er der typische Arschkriecher.
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