Zögernd setzte sich die kleine Gruppe in Bewegung. Nur Moritz nahm sofort an einem Tisch Platz, von dem er gut aus dem Fenster sehen kann. Marit wählte den Schreibtisch rechts von ihm. Daneben möchte Valerie sitzen. Johannes entschied sich für den Tisch links von Moritz, dann kommt Gino und neben ihm Leyla. Der Lehrertisch steht also zwischen Valerie und Leyla.
„Ich denke, ihr habt alle eine gute Wahl getroffen, wenn nicht, könnt ihr auch jederzeit die Plätze tauschen. Dann beginnen wir mal. Also ich bin Klaus Ferber, euer Klassenlehrer und für dieses Jahr auch als Vertrauenslehrer der ganzen Schule gewählt, das habt ihr ja schon gehört. Die Fächer, die ich unterrichte, sind euch aus den Unterlagen bekannt. Wie Frau Kern schon erwähnte, wohne ich hier im Haus und bin für alle sozusagen Tag und Nacht zu sprechen. Nachts natürlich nur in wirklichen Notfällen, da bitte ich um euer Verständnis.“ Während er schelmisch in die Runde blickte, konnten sich Marit und Valerie ein hintergründiges Lächeln nicht verkneifen. Ferber registrierte es amüsiert. „Habt ihr Lust, euch auch ein wenig vorzustellen?“
Alle nickten mehr oder weniger erfreut und die Hand des Lehrers wies einladend auf Johannes. Der begann zögernd zu sprechen: „Also ich bin der Johannes und komme aus Stuttgart. Ich bin 15 Jahre alt. Meine Eltern sind beide sehr beschäftigt, deshalb haben sie nicht genügend Zeit, sich um mich zu kümmern, sagen sie, und darum bin ich hier. Ich konnte unter 3 Internaten aussuchen und habe mich für dies hier entschieden, weil ich den Bodensee von den Ferien her kenne und ihn sehr mag.“
Johannes blickte hinüber zu Moritz und der sagte: „Ich bin Moritz und komme aus Berlin. Meine Mutter ist vor langer Zeit gestorben, als ich noch klein war, mein Vater ist Flugkapitän. Ich wohnte allerdings bei einer Tante von mir, das war bisher eigentlich ganz o.k., doch die wird jetzt nach Kanada versetzt und naja, darum bin ich hier.“
Dann schaute er fragend zu Leyla hinüber. Die verschränkte angespannt ihre Finger ineinander, atmete tief durch und fing leise an zu sprechen: „Ja, ich bin also die Leyla, wir wohnten zuletzt in Freiburg. Meine Eltern sind viel unterwegs und darum musste ich ständig die Schulen wechseln. Das fand ich nicht so gut, außerdem sind meine Zensuren dadurch auch nicht so besonders. Ich will aber ein gutes Abitur machen und deshalb möchte ich für die nächsten Jahre hier bleiben.“
Nachdem Gino seine Geschichte erzählt hatte, ermunterte Herr Ferber auch Valerie kurz etwas über sich zu sagen. „Ich komme aus München. Meine Eltern leben nicht mehr zusammen und ich war es leid, andauernd zwischen den beiden hin und her zu pendeln. Außerdem konnte ich ihre ständigen Streitereien nicht mehr ertragen. Ich habe deshalb selbst darum gebeten, in ein Internat gehen zu dürfen. Und wie Johannes kannte ich den Bodensee auch aus den Ferien. Die Gegend hier gefällt mir sehr.“
„Und Marit?“ Aufmunternd und neugierig blickte der Lehrer auf das Mädchen mit den kurzen blonden Haaren. „Ich komme aus Kiel, aus der Sicht meiner Eltern hatte ich dort die falschen Freunde kennengelernt und deshalb sollte ich von da weg. Mir fällt es nicht leicht, hier zu sein, so weit weg von Zuhause, das merke ich jetzt schon, aber ich will mir Mühe geben, mich einzuleben.“ Man merkte dem Mädchen deutlich an, dass es sich kurz fassen wollte.
„Och, das wird schon, da bin ich mir sehr sicher“, sagte Herr Ferber freundlich und auch die anderen Fünf nickten Marit aufmunternd zu. „Habt ihr im Moment noch Fragen?“ Als sich keiner meldete, fuhr Herr Ferber fort: „Wie ihr bemerkt habt, liegt auf jedem Schreibtisch ein Notebook. Das ist von jetzt an euer Begleiter für die Unterrichte. Wahrscheinlich schon gegen Ende dieses Jahres werden wir auf Tablets umstellen, denn es sind viele interessante und nützliche Apps bereits vorhanden und weitere in der Entwicklung, die uns das Lehren und euch das Lernen mit toller Software stark vereinfachen können und eins kann ich euch jetzt schon versprechen: Der Spaßfaktor beim Lernen wird steigen. Herkömmliche Schulbücher werden wir dann kaum noch brauchen, aber auf Block und Bleistift werdet ihr nicht verzichten können.“
Dann begann der Lehrer mit einer kurzen Einweisung in den Gebrauch der Computer. „Falls euch irgendetwas nicht klar ist oder ihr Hilfe braucht, um die Geräte richtig zu bedienen, fragt bitte gleich, dann klären wir das sofort hier im Unterricht. Scheut euch aber nicht, eure Mitbewohner, die ja auch eure Paten sind, auszufragen. Normalerweise müsste denen ziemlich alles bekannt sein, was man braucht, um damit klar zu kommen. Sie wissen, dass das Prinzip der Hilfsbereitschaft hier unser Programm ist, ich kenne sie alle und ich bin sicher, dass sie euch gerne helfen werden.“ Neugierig und gespannt sitzen die sechs nun vor den aufgeklappten Notebooks. Als Gino zu Leyla hinüber blickte, sah er sie mit rotem Kopf vor dem Gerät sitzen. In der ersten Pause sprach er sie deshalb an: „Ich helfe dir gerne, wenn du mit dem Computer Schwierigkeiten hast.“ „Das ist ganz lieb von dir, Gino, denn ich habe wirklich kaum einen Schimmer von so einem Gerät.“ „Wir setzen uns jeden Abend eine Stunde zusammen o.k.? Dann schaffen wir das schon.“ „Aber wir wollen uns doch auch um den Garten kümmern!“ „Das mit dem Notebook ist jetzt erst mal wichtiger, dann kommt der Garten, alles klar?!“ Das Mädchen nickte jetzt sehr erleichtert.
Als die Pause beendet war, erklärte Herr Ferber: „Leute, ihr habt ja gehört, dass Leyla mit ihren Eltern sehr viel auf Reisen war. Da musste der Umgang mit dem Computer ja einfach auf der Strecke bleiben, ist doch klar. Deshalb biete ich dir, Leyla an, dich direkt neben einen der anderen zu setzen, um erst einmal zusammen zu lernen, willst du?“ Leyla lächelte dankbar, nahm ihr Notebook und rückte mit ihrem Stuhl hinüber an Ginos Schreibtisch. Als die anderen Schüler nach dem Unterricht zum Mittagessen hinunter gingen, blieb Leyla noch im Klassenraum und sagte: „Danke, Herr Ferber, das ist sehr freundlich von ihnen gewesen.“ „Das ist doch selbstverständlich, aber sag mir auch, wenn es mal ein Problem gibt, von dem ich nichts mitbekommen habe, o.k.?“ Leyla nickte froh und folgte dann den anderen nach unten in das Casino. Dort setzten sich die neuen Schüler zusammen an einen der größeren Tische. „Der Ferber ist ja irgendwie cool, oder?“, fragte Marit in die Runde. „Ja, er scheint ganz witzig zu sein“, erwiderte Valerie, „ich bin ja mal gespannt auf die anderen Lehrer.“
Die Jungs tauschten sich inzwischen aus über die technischen Ausstattungen der PC`s, über die neue Lernsoftware und natürlich über die angesagtesten Computer-Spiele. Mit diesem ersten Tag schienen alle sehr zufrieden zu sein. Gino und Leyla verabredeten sich für abends um 7 Uhr zu ihrem Treffpunkt, der Bank hinter dem Geräteschuppen.
Als sie sich zur vereinbarten Zeit dort trafen, war Gino ehrlich gesagt, ziemlich erstaunt, dass Leyla fast nichts über den Umgang mit dem Notebook weiß. Aber er stellte ihr keine großen Fragen, freute sich aber darüber, dass sie eine gute Auffassungsgabe hatte und ziemlich schnell lernte. Sie beschlossen, dass sie sich am Vorabend immer den Unterrichtsstoff für den nächsten Tag ansehen wollen. Leyla war heilfroh, dass sie so schnell einen guten und geduldigen Freund gefunden hat. Nach dem Lernen gingen sie durch den Garten. „Weißt du, was ich hier noch nicht gesehen habe?“, fragte Leyla, und sprach gleich weiter, als Gino verneinte. „Ein Beet mit Heilkräutern.“ „Was für Heilkräuter denn? So Küchenkräuter wie Schnittlauch, Petersilie, Minze und verschiedene Sorten Basilikum zum Beispiel gibt es aber da vorne irgendwo.“ „Naja, ich meine zum Beispiel solche, die gegen Erkältung helfen oder bei Verletzungen, Durchfall oder Unwohlsein.“ „Kennst denn welche?“ „Na klar, also zumindest einige. Es gab doch so Heilkundige wie Hildegard von Bingen zum Beispiel, die hat damals für viele Krankheiten das herausgefunden, was gut hilft. Man braucht nicht immer unbedingt die Chemiesachen aus der Apotheke, es wächst fast alles in der Natur. Meine Großmutter hat mir da viel beigebracht. Sie hat immer gesagt, gegen jede Krankheit ist ein Kraut gewachsen.“ „Du, das wäre ja toll, wenn du deine Heilkräuter hier anbauen könntest und ich meine Kartoffeln!“ Die beiden verabschiedeten sich später fröhlich und im Treppenhaus rief Leyla: „Gino!“ Als der sich umdrehte, sagte sie leise: „Danke!“ Dann gingen beide gut gelaunt und zufrieden mit diesem Tag auf ihre Zimmer.
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