»Fertig«, unterbrach der Junge ihre sentimentalen Gedanken und hob ihr das Papier entgegen. Sie nahm es.
Konnte das möglich sein? Als blicke sie in einem dämmrigen Raum in den Spiegel. »Fein«, brachte sie endlich hervor, griff in ihre Geldbörse und fischte ein paar Münzen heraus.
»Ist das genug?«, fragte sie.
Der Junge starrte auf ihre Handfläche und pfiff. Dann blickte er sie an. »Leg es mir in die Hand«, wies er sie an. »Oder willste schwarze Pfoten wie icke«.
Eleonore lächelte. Die Hände des Kindes waren schwarz von der Kohle.
»Ich danke dir«, sagte sie zum Abschied.
Es ist doch was anderes, Elend zu sehen als davon zu lesen , dachte sie. Beim Weitergehen kam ihr der unvollendete Brief an Frau von Arnim wieder in den Sinn. Wie sollte sie es anstellen, mit ihr Kontakt aufzunehmen? Gerne hätte sie ihren Vater gefragt, doch den würde ihr Interesse an Frau von Arnim wundern. Nach wenigen Schritten blieb sie abrupt stehen. Da gab es eine Möglichkeit. Ihr wurde heiß. Konnte das gutgehen? Sie überdachte das Für und Wider, gab sich endlich einen Ruck und ging zurück.
Der Junge bemerkte sie erst gar nicht. Eine Schar Kinder lungerte um ihn herum und bestaunte die Münzen, die er immer noch in der Hand hielt.
»Kannst du auch Häuser malen?«, fragte Eleonore den Zeichner.
»Klar.«
»Dann mal mir das hier.« Eleonore zeigte auf das Familienhaus.
»Det Papier ist alle«, sagte er.
»Mal es auf die Rückseite«, bat Eleonore. »Ich gebe dir noch mal so viel wie eben.«
Wieder pfiff der Junge. Die anderen wichen ein Stück zurück, als er wieder die Pappe als Unterlage ausbreitete. Sie reichte ihm das Papier.
Sofort ging der Junge ans Werk. Die anderen Kinder bestaunten, wie auf dem Blatt ein Haus entstand. Eleonore blickte ebenfalls gebannt auf die Hand des Jungen, die flink hin und herfuhr. Ein wahres Talent.
Eleonore zählte schnell die Münzen und gab sie dem Jungen, als der ihr das fertige Werk reichte.
»Hat einer von euch einen Stift?«, fragte sie.
Der Junge griff in seine Jacke und fischte einen winzigen Stummel eines Bleistifts hervor.
»Hat jemand weggeworfen.« Er reichte ihn Eleonore.
Sie schrieb auf den unteren Rand: »Dies Bild zeigt nur die Fassade, Ihr habt uns einen Einblick gewährt, der uns mahnt, nicht untätig zu sein.« Darunter setzte sie ihren sowie den Namen ihres Hotels.
Sie blickte um sich.
»Jetzt brauche ich noch einen Boten.«
»Icke«, rief ein Kind. »Jaaa«, ein anderes. Alle traten ihr näher.
Der Zeichner hob eine Hand. »Den sollste haben«, sagte der Junge, steckte zwei Finger in seinen Mund. Ein lange anhaltender, durchdringender Pfiff ertönte. Gleich danach kam ein blondhaariger Junge aus dem Haus geeilt.
»Lasst ihn in Ruhe«, knurrte er und stellte sich schützend vor den Maler.
»Ist das dein Wachhund?«, fragte Eleonore.
»Keine Gefahr«, erklärte der Zeichner seinem Freund. »Die Magd hier benötigt einen Boten.«
»Bist du flink?«, fragte Eleonore den Blondschopf.
»Klar«, sagte der. »Wohin soll‘s denn gehen?«
Eleonore nannte ihm die Adresse der Frau von Arnim. »Kannst du ihr das Bild bringen?«
»Das ist aber ‘ne Ecke weg«, klagte er. »Und icke will ihn«, er deutete auf den Zeichner, »nicht alleene lassen.«
»Ist es für einen Silbergroschen möglich?«, fragte sie. »Ich werde hier inzwischen deinem Freund Gesellschaft leisten.«
»Bin schon unterwegs«, sagte der Junge, nahm die Münze, die sie ihm entgegenhielt und flitzte los.
Sie sah ihm nach, straffte ihren Rücken. Würde Frau von Arnim die Nachricht entgegennehmen? Würde sie antworten? Ein Versuch war es wert.
Sie blickte zu dem Zeichner. »Wo hast du malen gelernt?«, fragte sie.
»Ick kann es eben«, gab er eine knappe Antwort.
»Fritze ist ein Naturtalent«, sagte ein anderer.
»Wenn wir jetzt Papier hätten, dann würde ich euch alle zeichnen lassen«, sagte Eleonore.
»Kriegste da keinen Ärger, wenn du das ganze Geld deiner Herrschaft ausgibst«, fragte ein anderes Kind.
»Die haben genug«, sagte Eleonore. »Die merken das gar nicht.« In das Lachen der Kinder hinein blickte sie die Straße hinunter. Ihr Bote war längst verschwunden.
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