»Wenn du meinen Plan kennen würdest, wärst du zuversichtlicher«, antworte Danner.
»Wir taugen nicht zum Kämpfen. Du hast ja gedient«, wandte ein anderer ein.
Der Blonde packte den Redner am Kragen.
»Erwähne nie wieder, dass ich gedient habe. Das ist vorbei!«, knurrte er ihn an. Dann ließ er ihn los und schlug mit der Faust auf den Tisch. »Waschweiber!«, dröhnte er. »Wartet ab! Bald erfahrt ihr, was ich vorhabe. Ihr werdet staunen.«
William hätte Danner nur zu gerne nach seinem Plan gefragt. Aber dieser hielt offenbar nichts davon, andere einzuweihen. Rudolf Danner gab zweifelsohne den Wortführer dieser seltsamen Gruppe.
»Nachdem, was ich bisher gesehen habe, geht es den meisten in den Vereinigten Staaten besser«, begann William. »Aber gebratene Tauben fliegen einem dort ebenso wenig in den Mund.« Die Männer brachen in schallendes Gelächter aus.
»Du bist wohl ein Schlauer«, sagte Danner. »Ich kann lesen.«
»Er bestimmt auch.«
William fuhr herum. Da stand Clara am Tisch, direkt neben ihr ein junger, bleichgesichtiger Mann in Arbeitskleidung. Er hatte die beiden nicht hereinkommen sehen.
»Er ist Journalist.«
»Hört, hört«, sagte Danner. »Und wer bist du?«
»Ein einfaches Dienstmädchen«, antwortete Clara. Sie ging mit ihrem Begleiter an das Ende des Tisches und nahm dort Platz.
Danner wandte sich wieder an William. »Was spült dich hier herein? Und wie kommst du zu deinem Namen?«
»Ich soll berichten, wie es den Menschen hier geht. Früher hieß ich Wilhelm Euskirchen.«
Er sah wieder das Plakat vor sich, wo für den Auftritt William Lloyd Garrisons geworben wurde. An diesem Abend hatte alles angefangen.
»Garrison hat mich dazu gebracht, für die Freiheit der Sklaven einzutreten. Ihm zu Ehren trage ich den Namen«, fuhr William fort.
»Muss ein beeindruckender Mensch sein«, sagte einer der Männer. »Und ein gebildeter.«
»Er war Schriftsetzer«, erklärte William. »Heute ist er Herausgeber einer Zeitschrift und einer der bekanntesten Gegner der Sklaverei.«
»Ich bin Schriftsetzer«, platze der Junge heraus, der in Claras Begleitung gekommen war und sprang auf. Das Dienstmädchen wollte ihn zurückhalten.
Robert Danner blickte erst zu William, dann zu dem Jungen.
»Hast du einen Namen?«, fragte er diesen.
»Eduard«, antwortete Claras Begleiter.
»Willkommen im Klub«, begrüßte ihn Danner. Dann rückte er näher an William heran. »Ich kann dir zeigen, wie es um uns einfache Arbeiter steht. Vielleicht willst du dann auf unserer Seite kämpfen.«
»Meine Waffen sind Wörter«, sagte William. »Ich kann helfen, auf eure Not aufmerksam zu machen.«
»Die Zeitungen drucken nur, was denen da oben genehm ist«, zweifelte Danner.
»Für Flugblätter gibt es keine Zensur«, erwiderte William.
»Dafür sperren sie einen ein«, erwiderte Danner düster.
Sie sprachen noch eine Weile und verabredeten sich für den kommenden Abend. William stand auf, drückte dem Blonden die Hand und nickte den anderen zu. Clara und Eduard standen ebenfalls auf und traten neben ihn.
»Wir gehen auch«, sagte sie.
William suchte nach dem Wirt und entdeckte ihn am Nebentisch sitzend.
»Ich werde öfters vorbeikommen«, sagte er in seine Richtung.
Draußen wandte er sich an Clara. »Warst du in Sorge um mich?«, fragte er.
Sie deutete auf Eduard. »Er hat mir erzählt, dass sich neuerdings üble Gesellen im Bierkeller herumtreiben.«
»Ich danke euch beiden«, sagte William. »Aber um mich braucht ihr keine Angst zu haben.« Er zwinkerte Clara zu. »In den Staaten gibt es viel derbere Gesellen.«
Ein Besuch und eine Überraschung
Stuttgart, Februar 1848
August von Engel lief mit auf dem Rücken verschränkten Händen vor dem Eingang des Hoppenlaufriedhofes hin und her. Seine Handschuhe hatte er ausgezogen und schlug sie im Takt seiner Schritte gegen seinen Rücken.
Bei jeder Kehrtwende blieb er kurz stehen und blickte in Richtung der Straße. Wo blieb der Bursche? Es hatte längst fünf Uhr geschlagen.
Noch einmal lief er fünf Meter hin und zurück. Da sah er eine Gestalt die Straße hochkommen.
»Wird langsam Zeit«, knurrte August. Das Gesicht seines Burschen glänzte nass. Schwer atmend trat der ihm entgegen.
»In wie vielen Häusern war sie?«, fragte August.
»In sieben«, gab der zur Antwort. »Sie kam stets gutgelaunt heraus.«
Er strafte den Burschen mit einem bösen Blick.
»Du sollst nicht beurteilen, nur beobachten«, fuhr er ihn an.
Dass Eleonore Herbst gerne den Samariter spielte, wusste er. Aber so häufig? Das war ungeheuerlich!
»Andere Häuser als gestern?«, fragte er.
»Ja«, antwortete sein Bursche einsilbig. Ein Anschnauzen reichte ihm wohl, was ihm nur recht war.
»Was hat sie getragen?«
»Ein schlichtes blaues Kleid. Wie eine Dienstmagd.«
»Du kannst gehen«, sagte August, machte kehrt und ging die Straße voran.
Das musste ein Ende finden , überlegte er. So verteilt sie ihr Vermögen unters Volk. Kannte sie keine Standesunterschiede? Ganz ihre Mutter. Die war ebenfalls aus der Reihe getanzt.
Die Schuld lag bei Konrad Herbst. Er hatte seine Frau gewähren lassen, nun ließ er Eleonore freie Hand. Wobei er die Möglichkeit in Betracht ziehen musste, dass der Anwalt nichts wusste vom Treiben seiner Tochter. Die schlich jedes Mal davon, wenn der nicht Zuhause war. Sollte er ihn einweihen? Was würde das bringen? Es konnte gewaltig schiefgehen. Im Geiste sah er den Anwalt milde lächeln. Besser er selbst unternahm etwas. Das musste aufhören.
In Gedanken war er in Richtung des Katharinenhospitals gegangen, in die Richtung, in der Eleonore wohnte. Wenn er sie gleich besuchen würde, träfe er sie vielleicht noch in den Kleidern einer Magd an. Das konnte er dann nicht ignorieren und sie musste ihm Rede und Antwort stehen. Ja, das wollte er tun.
Mit energischen Schritten eilte er weiter. Irgendwann würde sie ihm gehören und dann musste sie seinen Anweisungen folgen. Am Eingang schlug er den Türklöppel zweimal kräftig gegen die Tür. Er trat von einem Fuß auf den anderen.
»Der Herr Anwalt isch ned Dahoim«, sagte ihm die dicke Haushälterin, als sie die Türe öffnete.
Trotzdem trat August einen Schritt vor.
»Wer ist es?«, hörte er Eleonores Stimme von oben. Und gleich danach: »Der Herr Leutnant kann hochkommen. In den Salon.«
Die Haushälterin trat zurück. Polternd stieg er die Stufen hoch. Die Tür zum Salon stand offen und er trat ein. Eleonore wandte ihm den Rücken zu und blickte auf die Straße. Sie trug ein rotes Seidenkleid. Er unterdrückte den Impuls, ihr sofort eine Standpauke zu halten und hüstelte stattdessen. Endlich drehte sie sich ihm zu, kam ihm einen Schritt entgegen. Er schloss die Lücke, trat nahe an sie heran, nahm ihre Hand und hob diese an seinen Mund.
»Bei der Kälte machen Sie den weiten Weg?«, fragte sie.
»Kein Weg zu Ihnen ist mir zu weit.« Er hielt ihre Hand fest.
»Nehmen Sie Platz. Sie sind ja halb erfroren.« Eleonore lächelte. Immerhin schien sie sein Besuch zu freuen. Er ließ ihre Hand los.
»Es ist zu kalt für ausgedehnte Spaziergänge, wie Sie einen unternommen haben«, sagte er. Nachdenklich betrachtete er ihr Kleid. Das saß makellos. Nichts verriet, dass sie vor kurzem die einfachen Kleider einer Dienstmagd getragen hatte.
Sie sah auf seine Hände.
»Haben Sie ihre Handschuhe nur spazieren getragen? Ihr habt verfrorene Hände.«
»Mir ist nicht kalt«, sagte er. »Nicht kälter als es Ihnen sein muss.«
»Da haben Sie mich ertappt«, sagte sie. »Oder besser ihr Bursche.« Klang da Ironie mit? Hatten ihre Augenbrauen missbilligend gezuckt?
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