Und dann gab es noch diese seltenen merkwürdigen Versuchsklone: F, G, H, A-2, I-1 bis I-5 und so weiter – manche machten eine Wissenschaft daraus, jedes dieser Klone sofort an seinem Äußerem zu erkennen. Aber wofür sollte das gut sein? Die Gemeinschaft hatte in den letzten Jahren sogar zugelassen, versuchsweise mehrgenetische Klone zu erzeugen: AF, DE zum Beispiel. Sonderlinge waren das, die meisten von ihnen chancenlos, sich jemals reproduzieren zu dürfen.
Blieben noch die Xe. X-Klone hatte es an der Schule nicht gegeben, zum Glück. Sie waren so schrecklich groß und oft sehr aggressiv. Man behauptete, sie lebten in eigenen Häusern und würden auch dort unterrichtet. Aber tatsächlich wusste praktisch niemand etwas über sie. Nie hatte irgendwer, den Aurun kannte, jemals ein junges X-Klon gesehen. Gertran behauptete, sie seien erst vor gut fünfzig Jahren plötzlich wie aus dem Nichts aufgetaucht und sie seien die wirklichen Herrscher, sie seien jetzt die Führer der Gemeinschaft der Kleinen Leute, nicht mehr der Oberste Rat, nur sollte das niemand wissen, aus welchem Grund auch immer.
Ich bin doch eigentlich ganz froh, dass ich ein E bin, dachte Aurun. Warum reicht mir das nicht? Was ist das in meinem Kopf, das immer ruft: mehr, mehr? Ich könnte ein gutes Leben haben, eine gute, saubere Arbeit, könnte Preklon werden, ein Kleines aufziehen. Warum reicht mir das nicht?
Wie kann in mir etwas entstehen, das nicht in meinem Bauplan stand? Warum bin ich nicht wie Elbon. Elbon hat noch nie geweint.
Aurun saß noch immer auf der alten Bank, sah hinauf in den Himmel. Schon Stunden saß sie jetzt dort oben und versuchte ihre Gedanken zu ordnen.
Und gelacht hat Elbon auch nie, dachte sie, ganz anders als Gertran.
Du kannst gar nicht das Leben von Elbon leben, das weißt du. Sie würden dir nie erlauben, ein Subklon aufzuziehen. Denn du bist anders – deswegen bist du ja separiert. Also, was willst du tun mit deinem Leben, Aurun Ebanan?
Fliehen?
Wohin kam man, wenn man hinausging aus dieser Stadt? Weiter wegginge, als man von diesem Dach aus sehen konnte, immer entlang dieser Küste, zu der sie einmal allein aufgebrochen war. Wo die riesigen Wellen sich an uralten Betonmauern brachen. Hinaus und noch weiter am Meer entlang – wohin kam man dann? Auf wen traf man? Auf Klone? Auf Megamenschen?
Die Erde war eine Kugel, nichts als ein kleiner Planet des Sterns Sonne, das hatten sie ihnen beigebracht. Nur was darauf lebte, wer darauf herumlief, was es noch gab und gegeben hatte, außer dieser riesigen Stadt, davon war nie die Rede gewesen.
Gertran hatte ihr gestern erzählt, das ganze Wissen um die Erde, ihre Entstehung, das Leben darauf, all das sei angeblich einst in riesigen Büchern der Megahomos festgehalten worden. Sie hatte sogar behauptet, dass es Klone gäbe, die deren Schrift noch entziffern könnten. Nur niemand wisse, wo alle diese Bücher jetzt wären, ob es sie überhaupt noch gäbe, jemals gegeben habe. Vielleicht nur ein weiteres Gerücht wie das heilige Bottom, wie so vieles, was erzählt wurde, aber nirgendwo geschrieben stand, nirgendwo festgehalten war, weil sich niemand mehr dafür interessierte.
Die Sonne ging unter und Aurun saß noch immer auf dem Dach. Schnell wurde es dunkel über der Stadt. Lichter gab es fast keine. Die letzten Geräusche verstummten, es wurde so still dort oben, dass Aurun ihren Herzschlag hörte und beim Atmen das leise Rauschen der Luft in ihrer Kehle. Sie legte sich auf die Bank, starrte in den dämmrigen Himmel, wartete auf die ersten Sterne.
Unzählige kamen. Unzählige Sonnen, unzählige Planeten um sie herum. Unzählige Geheimnisse. Und niemand interessierte sich dafür.
Ich , dachte Aurun dann trotzig. Ich interessiere mich doch dafür. Ich bin nicht niemand. Wenn ich hier bleibe, bis auf weiteres, fünfzig Jahre, für immer, dann bin ich ein Niemand, erst dann.
Eine Sternschnuppe flammte auf, zog heroisch über den Himmel und starb.
Ein kurzes Leben, aber immerhin. Immerhin gelebt. Nicht dumm am Himmel rumgestanden wie die Millionen anderen Lichter. Etwas erlebt, quer über den Himmel gerast – und gestorben, wenigstens das.
Sie griff in ihre Tasche und fand die Sanduhr. Konnte sie nur fühlen, nicht sehen, dazu reichte das Sternenlicht nicht. Sie drückte sie sich gegen das Ohr, war sich nicht sicher, ob es das Rauschen der Sandkörnchen war, was sie hörte, oder nur das Rauschen ihrer eigenen Gedanken.
Als sie die Augen wieder aufschlug, saß Gertran neben ihr. Der Himmel im Osten war schon blutrot, noch ein paar Minuten und die Sonne würde ihren ersten gleißenden Strahl auf die Stadt werfen. Wieder ein neuer Tag, wieder eine neue Chance.
Gertran hatte bemerkt, dass Aurun aufgewacht war. Vorsichtig streichelte sie ihr über das kurze blonde Haar.
„Guten Morgen, Aurun!“, sagte sie. „Klingt das nicht schön? Viel schöner als unser dummes ‚Gegrüßt!‘ Dieser Gruß stammt aus einer der seltsamen Geschichten, die mein Preklon mir früher erzählt hat: Guten Morgen!“
Aurun versuchte ihre Augen ganz zu öffnen, sah die alte Klonin lange an.
„Was muss ich tun, Gertran?“, fragte sie schließlich.
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