Eingebettet in dunkelroten Samt erkannte man ein metallenes Etwas, das der Doktor nun vorsichtig mit beiden Händen heraushob und neben den Koffer auf den Tisch stellte.
‘20.57 Uhr - Er nimmt das Gerät heraus...'
Ich war enttäuscht. Diese geheimnisvolle Apparatur war ein einziges Durcheinander aus zusammengefügten Spulen, Drähten und Kabeln, aus kleinen Metallstreben und Hebeln. Irgendwo an der Seite, - oder war es vorn? - war eine verhältnismäßig große Skala angebracht, davor eine Reihe von Knöpfen und Schaltern. Es gab nichts, woraus man in irgendeiner Weise hätte darauf schließen können, wozu es zu gebrauchen war. Der Apparat war unförmig und häßlich.
"Das ist es also!" sagte Dr. Weißgerber stolz, und Prof. Riechling stand schnell auf und hielt schützend die Hände davor. Und obwohl niemand den Versuch gemacht hatte, etwas anzufassen, meinte er ängstlich: "Bitte nicht berühren, meine Damen und Herren! Es ist sehr empfindlich.”
Dr. Degenhardt lehnte sich tief ausatmend zurück, während sich Frau Dr. Ebenstreit erst einmal die Nase putzte. Herr Fröbel lachte sogar respektlos. "Das Ding habe ich mir wahrhaftig anders vorgestellt," meinte er kopfschüttelnd.
Dr. Weißgerber lächelte nachsichtig. "Wir wissen, daß es nicht sehr hübsch aussieht. Wir hielten es aber nicht für notwendig, eine Verkleidung dafür zu finden, da es sich eh’ nur um eine Zwischenstufe handelt. Es ist noch viel zu groß und zu wuchtig, inzwischen arbeiten wir bereits an einem sehr viel kleineren Modell. Die Hauptsache ist doch aber, daß es funktioniert, und daß es das tut es, meine Damen und Herren, davon werden Sie sich in Kürze überzeugen können.”
Er blickte in die Runde. "Bestimmen Sie den Gegenstand, mit dem wir experimentieren sollen. Frau Dr. Ebenstreit, wollen Sie bitte so nett sein und etwas vorschlagen?"
“Ich?” Sie tippte sich mit dem Zeigefinger an die Brust, und nachdem ihr der Doktor aufmunternd zugenickt hatte, schaute sie sich unschlüssig im Raum um, bis ihr Blick an einem marmornen Aschenbecher auf dem Schreibtisch des Doktors hängenblieb. "Nehmen Sie den da," sagte sie.
Dr. Weißgerber nahm ihn in die Hand, hob ihn hoch und zeigte ihn allen. "Diesen Aschenbecher werden wir nun also in die Zukunft schicken. Und wenn er nicht zurückkommen sollte," meinte er scherzend, "dann macht das gar nichts, ich habe nämlich zwei davon.”
An den Enden zweier Drähtchen, die aus dem Gerät herausragten, waren kleine flache Kontaktplättchen angebracht, die er nun sorgfältig am oberen Rand und an der Unterseite des Aschenbechers mit Isolierband befestigte. Er tauschte einen kurzen Blick des Einvernehmens mit dem Professor, kippte einen der Schalter nach unten, und irgendwo im Inneren des Metallgebildes leuchtete ein winziges Lämpchen auf. "So," sagte er, "jetzt ist das Gerät betriebsbereit."
Nun beugten sich die Zuschauer doch ein wenig weiter vor, um besser sehen zu können.
"Die genaue Einstellung ist noch sehr schwierig," erläuterte der Doktor. "Die Skala, die Sie hier sehen, umfaßt einen Zeitraum von etwa zwei Monaten, - einen Monat in die Zukunft und einen Monat in die Vergangenheit. Die Null in der Mitte steht quasi für das ‘Jetzt’, für die Gegenwart.”
Er drehte an einem der Knöpfe, und der Zeiger, der wie eine Nadel spitz zulief, schwenkte auf die linke Seite hinüber.
"Mit dieser Einstellung würden wir unseren Aschenbecher in die Vergangenheit schicken, meine Damen und Herren, und jetzt..." Er drehte den Zeiger nach rechts, "...jetzt verschwindet er, wenn wir es wollen, in der Zukunft. Sicher können Sie sich vorstellen, wie kompliziert es ist, nur so wenig in die Zukunft vorauszugehen, damit wir das Wiedererscheinen des Aschenbechers noch heute abend erleben. Da geht es um Millimeter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, daß wir den Zeitpunkt des Wiederauftauchens nicht auf die Minute, - ja, nicht einmal auf die Stunde genau vorherbestimmen können. Unser nächstes Modell wird sicher präziser arbeiten.
In der Zeit des Wartens werden wir Ihnen anhand von Skizzen genau erklären, wie das Gerät im einzelnen funktioniert, und selbstverständlich werden wir auch all ihre Fragen beantworten, soweit es uns möglich ist. - Bitte, Professor, stellen sie jetzt die Zeit ein.”
Prof. Riechlings Hand zitterte vor Aufregung. Er bewegte den Zeiger von der Nullstellung eine Winzigkeit nach rechts. "Ich glaube, so ist es gut," meinte er. "Wir werden den Aschenbecher in eine Zeit schicken, die etwa zwei oder drei Stunden in unserer Zukunft liegt. Gemeinsam werden wir dann hier in diesem Raum warten, bis wir selbst diesen Zeitpunkt erreicht haben, bis er also vor unseren Augen wieder erscheinen wird.”
"Genug der Vorrede, Professor! Lassen Sie ihn endlich verschwinden," sagte Herr Fröbel ungeduldig. "Das allein wäre schon Wunder genug.”
Die anderen nickten zustimmend.
Dr. Weißgerber hatte die Hand bereits am Hebelchen, das den Zeitsprung auslösen sollte. "Sind Sie soweit, Professor?” vergewisserte er sich bei seinem Partner. Dann warf er auch mir noch einmal einen raschen Blick zu. "Vergessen Sie auch nicht, mitzuschreiben, Karin?”
"Aber nein, natürlich nicht," antwortete ich schnell, obwohl ich tatsächlich Mühe hatte, es nicht zu vergessen. Ich wäre viel lieber nur Beobachter gewesen und ertappte mich immer wieder dabei, daß ich nur da saß, den mysteriösen Apparat anstarrte und gespannt wartete, was als nächstes geschehen würde.
"Alles in Ordnung," sagte Prof. Riechling laut und deutlich.
"Achtung, dann starte ich ...jetzt!"
Aber der Professor hatte die Hand noch einmal ausgestreckt, fuhr dann bei Dr. Weißgerbers “Jetzt” so heftig zusammen, daß er die Nadel versehentlich bis an den linken Anschlag versetzte. "Moment!" rief er mit schriller Stimme. "Ich habe etwas verstellt!"
Doch es war schon zu spät, seine Hand griff ins Leere. Der Doktor hatte bereits den Hebel betätigt, und in der nächsten Sekunde war das metallene Monster mitsamt des Aschenbechers verschwunden. Der leere Koffer war das einzige, was noch auf dem Tisch stand. Es war genau 21.01 Uhr.
"Was war denn los?" fragte der Doktor besorgt.
"Um Gottes Willen," murmelte der Professor. Er war noch blasser, als gewöhnlich.
Die Zuschauer staunten, denn das Gerät war ja, zusammen mit dem Aschenbecher, tatsächlich fort. Dennoch spürten sie, daß etwas schiefgegangen sein mußte.
"Ich habe den Zeiger verstellt," sagte Prof. Riechling tonlos. Er zitterte am ganzen Körper.
"Um wieviel?" wollte der Doktor wissen.
"Ich weiß es nicht. Aber ich glaube, es war ziemlich viel.”
"In welche Richtung?"
"In die Vergangenheit."
"Wie konnte das nur passieren!"
"Ich war so erschrocken, als ihr Kommando kam, da ist mir die Hand ausgerutscht. Ich verstehe das selbst nicht. - Mein Gott, daß ich mich aber auch so dumm anstellen mußte! Das ist die Aufregung, Doktor. Ich glaube, ich bin zu alt für solche Experimente. Was machen wir denn jetzt nur!"
Dr. Weißgerber überlegte. "Ich denke, letztendlich ist es halb so schlimm," meinte er dann und legte dem Professor beschwichtigend die Hand auf die Schulter. "Sie wissen doch, Professor, daß die Abwesenheitsdauer des Gerätes sicherheitshalber auf zwei Stunden eingestellt ist. Das bedeutet, daß es zwei Stunden nach dem Verschwinden automatisch wieder auftauchen wird. Wir können dann in aller Ruhe mit dem geplanten Experiment beginnen. Da es letztendlich eh' nicht genau vorherbestimmbar ist, wie lange wir heute nacht noch zusammensitzen werden, kommt es auf zwei Stunden mehr oder weniger auch nicht an.”
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