Wir kommen zu einem anderen, noch grösseren Basar und finden dahinter ein englisches Pub! Ich hätte nie ein solch modernes Pub in Turkmenistan vermutet. Es hätte irgendwo im Westen stehen können. Wir trinken einen Cocktail auf unser Wiedersehen. Die ganzen Umstände unserer Liebesgeschichte, das Kennenlernen in der Pizzeria in Ürgüp, das Wiedersehen in Alanya und jetzt das Treffen in Turkmenistan nach eineinhalb Monaten in der Stadt der Liebe, mit der Freiheit, die wir vor uns haben, ohne an den Alltag denken zu müssen, macht uns völlig euphorisch. Wir sind im siebten Himmel!
Später treffen wir die jungen Burschen aus dem Zoo wieder. Damir ist 20 Jahre alt, halb Russe und halb Tatare, mit hohen Wangenknochen, blond mit mongolischen, aber blauen Schlitzaugen. Sein Freund Murat ist ein 19-jähriger Turkmene mit dunkler Hautfarbe, ein bisschen schräg stehenden Mandelaugen, vollen Lippen und einem Bürstenschnitt. Wir gehen zu viert in die nächste Tschai-Khana in einen Park und bestellen Schaschlyk , die traditionellen Hammelfleischspiesse vom Holzkohlengrill, die immer mit Naan , rundem Fladenbrot, serviert werden. Wenn die Fleisch- und Fettstücke gar sind, werden ein paar Tropfen Essig darüber gespritzt und Zwiebelringe dazu serviert. In ganz Zentralasien wird das Karakul- oder Fettschwanzschaf gezüchtet, an dessen Hinterteil ein grosser Fettklumpen hängt, der als Delikatesse gilt. So ist ein Schaschlyk mit gleichviel Fett wie Fleisch bestückt und roh rot-weiss gestreift, was mich ziemlich abschreckte, als ich das zum ersten Mal gesehen habe. Aber man muss die Fettstücke dazu essen, nur so kriegt man das richtige Turkestan- Schaschlyk -Gefühl! Unsere neuen Freunde wollen uns zu sich einladen, wir sagen für morgen zu.
Am nächsten Vormittag suchen wir die usbekische Botschaft auf, die im zweiten Stock einer lausigen Absteige ein schäbiges Zimmer bezogen hat. Wir zeigen dem Konsul oder was immer er ist, das Fax, das mir Willem aus Taschkent nach Isfahan gefaxt hat, mit den Daten von Kurts Reisepass, die er an das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten weiterleitete, damit Kurt ein usbekisches Visum bekommt. Ich weiss nicht, was der sture Typ eigentlich will, aber er stammelt immer etwas, dass er vom Aussenministerium zur Ausstellung eines Visums noch kein grünes Licht erhalten habe. Sogar einen Versuch unsererseits, ihn mit einer Zwanzig-Dollar-Note zu schmieren, lehnt er unglaublicherweise ab! Dank riesigem Improvisationstalent und Klagen gibt er uns schlussendlich einen Brief, damit wir in Buchara beim berühmt-berüchtigten OVIR , der für Touristen zuständigen Kontrollbehörde, ein Visum einholen können. Dort werde Kurt dann schon ein Visum ausgestellt, meint der Beamte zuversichtlich. Das heisst aber, Kurt reist ohne Visum in Usbekistan ein…
In der kirgisischen Botschaft geht gar nichts. Erstens ist der Visumstempel verloren gegangen (!) und zweitens ist die ganze Belegschaft für eine Woche nach Kirgistan verreist! Hallo? Das klingt alles so lustig, dass ich mich nicht einmal aufrege. Nichts kann uns mehr trennen, irgendwie werden wir uns schon die legalen Papiere beschaffen, um durch meine Lieblingsländer reisen zu können. Falls wir es nicht schaffen, werde ich Kurt hineinschmuggeln. Ich könnte Bäume ausreissen!
Am Nachmittag treffen wir uns wieder mit Damir und Murat und fahren wie Ölsardinen gequetscht in einem vollgestopften öffentlichen Bus zur Firusaschlucht. Leider ist das Wasser des Flusses zu schmutzig, um darin zu baden. Aber wir geniessen die Natur, und hier in den Bergen ist es nicht so heiss wie unten in der Stadt. Wir setzen uns in den Schatten der Bäume und erzählen Witze. Murat und Damir verstehen nur ein paar Worte Englisch, aber Kurt kann oft den Sinn der russischen Sätze erkennen und erraten.
Am Abend ziehen wir zu Damir, der zusammen mit seiner Schwester Sofia und seiner Mutter in einem zehnstöckigen Betonbunker der Sowjetära wohnt. Im Gegensatz zu den kleinen Stadthäuschen mit Garten bieten die Wohnungen in den Blocks grösseren Komfort. In den Badezimmern sind Waschbecken und fliessendes Wasser vorhanden, eine normale Toilette mit Spülung und eine richtige Badewanne, in die man das von einem Boiler erhitzte Wasser laufen lassen kann. Von meinen früheren Aufenthalten in Zentralasien weiss ich solchen Luxus, wie wir ihn in den westeuropäischen Ländern unbewusst gewohnt sind, sehr zu schätzen. Auf dem Land haben die Menschen nur ein Plumsklo im Garten, von fliessendem Wasser oder einer Badewanne ganz zu schweigen.
Damir und Murat verzaubern die Lebensmittel, die wir auf dem Weg zu ihnen eingekauft haben, in einen traditionellen Plov, das Eintopfgericht schlechthin in ganz Zentralasien: Risotto mit Reis, Fleisch, Zwiebeln und Karotten, und machen einen Auberginensalat dazu. Sofia spricht sehr gut Englisch, das sie in der Bibelstunde gelernt hat. So ködern die modernen christlichen Missionare heutzutage. Jeden Mittwoch wird in der Kirche Englischunterricht mit der Bibel abgehalten, gratis wohlverstanden. Weil die jungen Leute alle englisch lernen wollen, haben die religiösen Unternehmungen regen Zulauf.
Murat erzählt uns von seinem ältesten Bruder. Der will ein turkmenisches Mädchen heiraten, aber deren Eltern haben den Brautpreis auf 500 USD festgesetzt. 400 USD hat er schon gespart, aber bei einem durchschnittlichen Monatseinkommen von vielleicht 20-30 USD ist das Sparen sehr mühsam! Der heiratswillige, verliebte Bruder hat geäussert, wenn er seine Auserwählte nicht bekäme, würde er kein anderes Mädchen heiraten: Nur die oder keine. Das klingt zwar romantisch, aber die turkmenischen Bräuche verbieten den jüngeren Brüdern zu heiraten, wenn der Älteste nicht verheiratet ist! Murat und seine anderen Brüder arbeiten zur Zeit also alle nur für die Heirat ihres ältesten Bruders. Murat studiert noch, aber manchmal hilft er abends in einer Tschai-Khana oder anderswo aus, um Geld für seinen Bruder zu sammeln. Es ist ein Wettlauf mit der Zeit, weil die Eltern des Mädchens sie unterdessen auch einem anderen «verkaufen» könnten!
Gegen Mitternacht kommt Damirs Mutter von ihrer Arbeit nach Hause, setzt sich zu uns und wir leeren zusammen eine Flasche Schampanskoje . Kurt hat ein kleines Fotoalbum mit Fotos von seinen Eltern, Grosseltern, ein paar Freunden, seinem Haus und der Umgebung, in der er wohnt, mitgenommen, um mir das alles zu zeigen. Um das Album zu füllen, hat er noch ein paar Fotos von seinem Indien-Trip, von Wanderungen in Spanien und Italien hineingesteckt. Wir haben das kleine Album ein bisschen umgestaltet und mit Fotos von meinen Eltern, meiner Schwester und Schweizer Berglandschaften ergänzt. Jetzt zeigen wir unseren neuen Freunden diese Bilder und sie schauen sie sehr interessiert an. Auch an den Schweizer Postkarten, die ich dabei habe und schon vielen Leuten in Jordanien, Syrien, der Türkei und im Iran herumgezeigt habe. Auch sie zeigen uns nun ihre Familien-Fotoalben und wir bleiben bis spät in die Nacht auf.
Grandiose Bauwerke gibt es in Turkmenistan nicht, auch keine atemberaubenden Landschaften. Die Menschen sind die Perlen dieses Landes. Gerne hätten wir jetzt ein bisschen mehr Zeit und wären in die Wüste zu den Nomaden gefahren, die in Jurten, den traditionellen runden Filzzelten, wohnen und mit ihren Nutztieren umherziehen.
Wir stehen früh auf, Damir kocht Frühstück für uns und zusammen stressen wir anschliessend alle zum Bahnhof. Doch alle Züge in den Osten sind schon voll! Murat macht für uns eine Reservation für morgen, wir packen unsere Badesachen ein und gehen zu einem See ausserhalb der Stadt. Unterwegs zeigen sie uns den Kara Kum-Kanal, die Lebensader des Landes und gleichzeitig den längsten Wasserkanal der Welt. Er kommt aus dem Amudarja und führt 1100 Kilometer durch die Wüste Kara Kum bis ins Kaspische Meer.
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