« How is the physical relationsship before marriage? »
Ich denke mir schon lange, dass die Iraner Komplexhaufen sein müssen was ihre Sexualität betrifft. Wenn der Knoten meines Kopftuches manchmal nicht mein ganzes Dekolleté bedeckt, wird das bisschen Haut, das ich zeige, angestarrt wie in Europa nur den kürzesten Minijupes nachgeschaut würde. Ich werde jetzt also meine Fragen stellen:
«Wer von euch ist verheiratet?», frage ich in die Runde. Niemand meldet sich oder antwortet, alle scheinen ledig zu sein. Jetzt will ich sie alle an die Wand nageln: «Wer noch Jungfrau ist, soll bitte aufstrecken!». Der Talkmaster übersetzt, Astrid und ich halten die Luft an und – es ist kaum zu glauben und wir sind total erstaunt – fast alle strecken einen Arm in die Höhe!
«Wollt ihr gerne hier leben?», werden wir später gefragt. Wir verneinen, weil die Frauen nicht viel zu sagen hätten und sich so unbequem verkleiden müssten. Viele Männer geben zu, dass sie gerne Frauen in Minijupes sehen, aber ihrer eigenen Frau würden sie nie erlauben, so unverhüllt herumzulaufen. Ich erinnere mich daran, dass mein Ex-Freund früher manchmal zu mir gesagt hat, der Ausschnitt meiner Bluse sei ein bisschen zu tief fürs Büro. Es störte ihn, dass andere Männer zuviel von seiner Freundin sahen. Im Iran ist es genau das Gleiche, die Grenze ist einfach anders angesetzt. Mit Toleranz sind die Sitten Irans zu begreifen und zu verstehen, anstatt nur über sie zu lästern, wie es so oft im Westen geschieht. Viele Frauen wollen sich auch freiwillig verhüllen, wie ich schon im Damaskus-Kapitel beschrieben habe. Der Iran ist das Land mit den tolerantesten Touristen! Hierher kommen keine Tussis, die abschätzig sagen: „Ich zieh doch kein Kopftuch an in den Ferien!“. Klar ist es offiziell erlaubt, in Marrakesch oder in Dscherba mit Shorts und Tanktop durch den Basar zu spazieren. Aber machen Sie das mal! Ich war in Marokko, Tunesien, Libyen, Ägypten, im Oman und im Jemen, es würde mir nicht im Traum einfallen, dort im Minijupe und nackten Schultern umherzuschlendern! Es gehört sich einfach nicht! Auch wenn es erlaubt wäre. Hier ist es halt verboten. Dafür hats keine Tussis. Im Iran reist nur, wer wirklich an Kultur und Menschen interessiert ist und sich darauf auch vorbereitet hat. Keine Last-minute -Pauschaltouristen. Super!
Wir fahren zum Manar Jomban, dem «Zwillingsminarett« oder den «schüttelnden Minaretten» aus dem 14. Jahrhundert, zum «Kamelminarett», das noch zweihundert Jahre älter ist und schauen uns das «Minarett der 40 Töchter» an. Dann klettern wir auf einen steilen Hügel, auf dem sich die Ruinen eines weiteren Zoroastriertempels oder Totenturms befinden und besichtigen eine armenische Kirche.
Der Höhepunkt des Tages ist aber der Besuch der Masdsched-é Dschamé , der Freitagsmoschee, die neben den zwei am Imam-Platz die schönste Moschee der Stadt ist. In vielen verschiedenen Perioden oder Epochen gebaut, restauriert oder angebaut bildet sie darum fast ein Museum, das diverse islamische Architekturrichtungen aufzeigt. Sie wurde im Jahre 771 gegründet, im 11. und 12. Jahrhundert sind Inschriften von den Seldschuken hinzugefügt worden. Wir befinden uns in einem Puzzle von meisterhafter Kunst und Schönheit: Ein Mihrab ist vom 14. Jahrhundert, ein Saal aus der Timuridenzeit. Der Mihrab von Sultan Oldschaitu Khodabendeh stammt aus dem Jahre 1310 und ist sehr bekannt, ich schätze 20 mal 8 Meter gross und mit äusserst kunstvollen Arabesken mit Weinbeeren, Blättern, Lotusblumen und Kalligraphie auf Stuck verziert. Auch der daneben stehende Minbar (die Kanzel) ist aus dem 14. Jahrhundert. Der ganze Moscheenkomplex ist einfach atemberaubend. Wir können uns einer französischen Touristengruppe anschliessen, weil die Moschee heute geschlossen ist, aber für diese Gruppe geöffnet wird. Mansur grinst uns an, weil er genau weiss, dass wir nicht auf solche Gruppentouren stehen. Der französische Reisebegleiter scheint alles besser zu wissen als der iranische Reiseführer, und von der Gruppe hört sowieso nur die Hälfte zu.
Am Abend gehen wir ins sagenhafte Schah Abbasi Hotel, um im grandiosen Speisesaal unter Kronleuchtern zu dinieren. Wir haben uns mit Ali verabredet, dem Guide, den wir in Kerman kennen gelernt haben. Wieder bestelle ich augenzwinkernd vergeblich einen Gin-Tonic zum Apero. Wir suchen das Teuerste von der Speisekarte aus, um dem Reisebüro nicht zuviel Geld übrig zu lassen: Chateaubriand mit Sauce Bearnaise für umgerechnet fünf Dollar. Ich frage ohne mit der Wimper zu zucken nach einem Saint-Émilion, kriege aber natürlich nur ein iranisches Cola. Und spiele die Verzweifelte.
Am dritten Tag gehen wir wieder zum symbolischen Zentrum der Safawiden-Dynastie, dem von Arkaden und Basarläden umgebenen Imam-Platz, und statten dem Ali Qapu Palast einen Besuch ab. Er wurde in der Timuridenzeit (14. Jh.) gebaut, von Schah Abbas umgebaut und vergrössert und bildete das Eingangsmonument für seinen königlichen Palast. Von der Terrasse, wo sich der Thronsaal befand, wurden wie schon erwähnt, Polospiele verfolgt. Der Palast ist sechs Stockwerke hoch und alle Wände sind mit Fresken geschmückt. In der obersten Etage befindet sich das berühmte Musikzimmer. Es ist wunderschön dekoriert und seine Wände und Nischen sind mit einer Membran aus Holz und Gips überzogen, in die man, um die Akustik zu verfeinern, kunstvoll geformte Auskehlungen in der Form von Musikinstrumenten geschnitten hat.
Gleich gegenüber auf der östlichen Seite steht die Masdsched-é Sheikh Lotfollah , die Moschee des Scheichs Lotfollah, mit der wohl vollkommensten Fayence-Kuppel der ganzen Welt. Auf dem Wasser des Springbrunnens spiegelt sie sich. 17 Jahre wurde an ihr gearbeitet, bis sie ab 1618 für die Familie von Schah Abbas bereit stand. Das ist auch der Grund, wieso sie über kein Minarett verfügt, um die Gläubigen zum Gebet zu rufen; sie diente als Privatmoschee der Herrscherfamilie. Ihre Farben, Musterung, Architektur und Dekor verschmelzen zu einer vollkommenen Einheit. Das einem Habibianteppich ähnliche Muster mit runden Bögen und Arabesken aus Türkis, Gold und Schwarz ist auf einen crèmefarbenen Hintergrund auf Fayencen gemalt und steht auf einem mit Kalligraphie bemalten Grundturm. Darunter sind die Muster in Türkis und Blau verziert. Der Eingangsiwan glänzt mit blauen Kacheln. Die Kuppelverkleidung innen ist an Schönheit schlicht nicht mehr zu überbieten. Vollkommenheit islamischer Keramikkunst. Ich erinnere mich, dieses Muster einmal auf einer Versteigerung auf einem Teppich gesehen zu haben. Ich muss diesen Teppich wiederfinden!
Die Masdsched-é Schah , neuerdings Imammoschee genannt, ist ein Meisterwerk der Schönheit und Grösse. Auf einem Touristenprospekt wird sie als das « everlasting masterpiece of Islamic architecture in Safavi era » angepriesen und verdient diesen Superlativ auch. Zwischen 1611 und 1638 wurde daran gebaut, 18 Millionen Ziegel wurden verarbeitet und 50’000 Kashi haftrang , siebenfarbige, im Grundton jedoch vorwiegend blaue glasierte Kacheln. Die ganze Moschee ist innen und aussen mit diesen blauen Mustern verziert. Das imposante Eingangsportal ist 30 Meter hoch und wahrhaftig ein Meisterwerk der Kachelarbeit, Kalligraphie-Verzierung und Stalaktitengewölbe. Die vier Minarette sind 50 Meter hoch, die Kuppel hat einen Durchmesser von 54 Metern und eine Höhe von 52 Metern. Wenn man im Hof im Schatten sitzt und in allen Windrichtungen nur noch wunderbare, blaue, gebrannte Kacheln im unvergesslichen persischen Design sieht, ist das einfach zum Abheben! Es macht mich sehr glücklich, an einem solch grandiosen Ort sein zu können und so zu empfinden!
Etwas stimmt mich trotz der Euphorie allerdings doch etwas traurig: Dass in einer so grossartigen Stadt die Frauen nicht in schönen Sommerkleidern flanieren, sondern als Geister verkleidet auf die Strasse gehen müssen. Schade! Wenn die Stimmung, Atmosphäre und das ganze Drum und Dran im Iran auch so lieblich, gastfreundlich, herzlich und vor allem frei wäre wie in Usbekistan, würde ich behaupten, dieser Komplex stellt den Registan-Platz in Samarkand glatt in den Schatten. Leider müssen wir diese Moscheen hier im langen Mantel und mit Kopftuch besuchen. In dieser Sauhitze! Solange diese Kleidervorschriften noch herrschen, bleiben Buchara und Samarkand meine Lieblingsstädte…
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