2Turkmenistan ist zwölf Mal grösser als die Schweiz, hat aber nur vier Millionen Einwohner. Neun Zehntel der neuen unabhängigen Republik bestehen aus der grossen Sandwüste Kara Kum (Kara = schwarz), die sich im Norden bis zum Aralsee ausbreitet und im Westen zum Amudarja, einem ungefähr 2620 km langen Fluss, der als Oxus in die Geschichtsbücher eingegangen ist. Er bildet über lange Strecken die natürliche Grenze mit Usbekistan.
Die südliche Seidenstrasse aus Afghanistan und Indien trifft hier auf die nördlichen Karawanenrouten: Nach Osten führten die Wege nach Merv, Samarkand und Kashgar, nach Westen über Bagdad nach Palmyra und Aleppo in die Levante.
Die einzige Erhebung in diesem flachen Wüstenstaat ist das Kopet Dag-Gebirge im Süden. In den von Nordwinden geschützten Tälern herrscht subtropisches Klima. Es wachsen Mirabellen-, Granatäpfel-, Mandel- und Feigenbäume, Olivenhaine und Dattelpalmen.
Die Hauptstadt Aschkhabad wurde während der Sowjetzeit nach einem Arbeitskommissar Poltoratsk genannt. Ein schweres Erdbeben zerstörte 1948 die ganze Stadt. Der Wiederaufbau wurde nach einem neu erarbeiteten Generalbebauungsplan gestaltet. Aschkhabad glänzt heute nicht mehr mit typischen orientalischen Altstadtvierteln. Der Name bedeutet «Stadt der Liebe». Für mich ist sie das auch, denn ich bin am neuen und modernen Flughafen und warte auf meinen Liebsten. Es ist kurz nach 20 Uhr. Plötzlich sehe ich Kurt mit seinen langen Haaren. Wir winken uns zu. Ein korrupter Zöllner knöpft ihm zehn Dollar für die Durchsuchung seines Rucksacks ab, aber ich setze mich sofort auf Russisch für Kurt ein. Prompt gibt ihm der Uniformierte das Geld zurück. Wir fallen uns überglücklich um den Hals, sodass sich alle Leute im Gebäude nach uns umdrehen!
Ich hatte mir für unser Wiedersehen eigentlich ein romantischeres Hotelzimmer als ein hässliches Kämmerlein im «Hotel Turist», einem Betonbunker der Sowjets, gewünscht, aber wenn ich ehrlich bin, habe ich eigentlich nichts Besseres erwartet. Die Türken, die sich auf der wirtschaftlichen Ebene sehr um die Gunst der Turkmenen bemühen, haben unterdessen zwar ein Fünfsternehotel mit Casino gebaut, aber das entspricht nicht unserem Budget.
Irgendwie gefällt mir Aschkhabad. Diese Stadt besitzt einen gewissen Charme, vielleicht weil sie ein paar Jahrzehnte verpasst zu haben scheint. Es gibt keine schöne Stadt in der ehemaligen Sowjetunion; die Architektur der Sowjets ist zu hässlich. Die Bauten sind meist aus grossen Betonklötzen, monumental und kolossal hässlich. Aus Holz jedoch bauen die Russen hübsche Datschas, Wochenend- und Ferienhäuschen. In sibirischen Städten gibt es sogar niedliche hölzerne Wohnhäuschen. In Aschkhabad wurde nur Beton verarbeitet und ausserhalb der Innenstadt strotzt es nur so von Mikrorayons , mehrstöckigen Plattenbauten, riesigen Siedlungen, in kommunistischen Zeiten für die Menschen entstanden, die ja alle so gleich waren.
Aschkhabad ist allerdings wie die meisten Städte des ehemaligen Sowjetreiches sehr grün, mit vielen Parks und Strassencafés, breiten baumbestandenen Boulevards und einem überaus farbenfrohen Basar . Die Frauen sind ausserordentlich schön und bunt gekleidet mit ihren traditionellen langen Kleidern, deren Ausschnitte mit bestickten Bordüren verziert sind. Unter dem fast knöchellangen Rock tragen sie lange Hosen, die wiederum mit einer meist selbstgemachten bestickten Bordüre eingefasst sind. Die Damen verkaufen Äpfel, Aprikosen, Erdbeeren, Melonen und viele andere Früchte aus ihren Gärten und Plantagen oder unterdessen privatisierten Kolchosen . Auch an Gemüse wird fast alles feilgeboten, was man sich nur vorstellen kann. In einer anderen Ecke des überdachten, sonst aber offenen Basars sind Gläser mit Honig zu Bergen aufgetürmt, ist Joghurt, Rahm, Butter, Milch und Quark zu kaufen. Durch alle Produkte hindurch leuchten die violetten, erdbeerroten, grünen, rosaroten und gelben Stoffe der Frauenkleider. Die farbigen Kopftücher werden wie in ganz Turkestan im Nacken geknotet. Wie malerisch ist hier das Strassenbild – im Gegensatz zum Iran mit seinen «schwarzen Geistern»! Alle Leute sind sehr freundlich, lachen uns zu. Immer wieder kriegen wir etwas Essbares zum probieren. Das Gold ihrer Zähne blitzt in der Sonne. Im ganzen russischen Orient gelten Goldzähne als grosses Statussymbol; man will zeigen, was man sich leisten kann.
Die Athmosphäre ist äusserst friedlich, entspannt und zwanglos. Wir dürfen uns jedoch nicht darüber hinwegtäuschen lassen, dass der turkmenische Präsident ein Diktator und die Wirtschaft des Landes völlig im Eimer ist. Saparmurad Niyasov und seine sogenannte Demokratische Partei sind aus der früheren Kommunistischen Partei hervorgegangen. Nach dem Putsch in Moskau änderte Niyasov einfach von einem Tag auf den anderen den Namen seiner Partei und liess Kritiker und Oppositionelle ins Gefängnis werfen. Wenn ausländische Politiker nach Turkmenistan kommen, kriegen die wenigen verbliebenen Oppositionsführer Hausarrest.
Unterdessen nennt sich Niyasov « Turkmenbaschi » - «Vater der Turkmenen». Seine Persönlichkeitsverehrung und sein Grössenwahn zeigen sich sogar auf den Banknoten. Nicht einmal Stalin hat sein Porträt auf Noten drucken lassen. Parks, Kolchosen , Strassen, Schulen und der Flughafen wurden entweder in «Saparmurad», «Niyasov» oder «Turkmenbaschi» umbenannt. Eine Turkmenin meint, Touristen fänden sich hier ja nicht mehr zurecht, weil alle Namen so irreführend seien… Schon vor der Unabhängigkeit Turkmenistans wurde der Präsident mit 98,3% der Stimmen gewählt. Er war allerdings der einzige Kandidat, der sich zur Wahl stellte. Später wurde er sogar mit 99,6% bestätigt, war aber immer noch der einzig Wählbare. Bescheiden fragte er sein Parlament, ob man seine Amtszeit bis ins Jahre 2002 verlängern könne. Natürlich wurde auch dieser Vorschlag angenommen. 1994 wurde ein Referendum durchgeführt, das mit einer 100%igen Stimmbeteiligung des Volkes Niyazov mit 99,9% bis 2002 bestätigte. Nur 212 Turkmenen fanden es keine gute Idee, die Amtszeit des Präsidenten so lange laufen zu lassen. Als Dank für die Treue seiner Bevölkerung schenkt er ihr gratis Wasser und Elektrizität.
Wirtschaftlich träumt Turkmenbaschi , ein «zweites Kuwait» oder «Kuwait von Zentralasien» zu werden. Turkmenistan hat riesige Gasreserven; die viertgrössten der Welt. Es ist das an Bodenschätzen reichste Land Zentralasiens und hat dazu eine sehr kleine Bevölkerungszahl. Mit dem Iran wurde bereits vor zwei Jahren ein Vertrag über den Bau einer 1300 km langen Gaspipeline in die Türkei vereinbart, von wo eine andere Pipeline nach Europa führt. Mütterchen Russland wird umgangen.
Im krassen Gegensatz zum Reichtum an Bodenschätzen und zum Grössenwahnsinn des Präsidenten stehen die unterentwickelte medizinische Versorgung und eine Flut an Pestiziden im Trinkwasser. Diese ist verantwortlich, dass das Land die niedrigste Lebenserwartung und höchste Kindersterblichkeit der Ex-Sowjetunion hat (55 pro Tausend, zum Vergleich: Russland 20). Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion gibt es sehr viele Arbeitslose. Für uns scheint alles sehr billig, aber sogar wer einer normalen Arbeit nachgeht, kann sich trotzdem auf dem Basar der offenen Marktwirtschaft fast nichts leisten.
Kurt und ich haben uns sehr viel zu erzählen, haben wir uns doch 52 Tage lang nicht gesehen. Als wir das Hotel am zweiten Tag verlassen, schlendern wir durch die Strassen der trotz 360’000 Einwohner zählenden recht ruhigen Stadt, besuchen den Basar und kommen zum Zoo. Einem traurigen Zoo mit kleinen und dreckigen Käfigen. Trotzdem müssen wir lachen: Wo die Ponys untergebracht sind, steht auf dem Schild «Kamel» und wo sich das Kamel befindet, ist das Schild «Pony» angebracht. Zwei junge Burschen haben den Fehler auch bemerkt und grinsen. Wir kommen ins Gespräch und verabreden uns für später mit ihnen. Sie müssen weg, wollen uns aber unbedingt wieder treffen.
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