Vier Stunden später müssen wir schon wieder aufstehen und treffen auf unseren Reiseleiter Ahmed und unseren Fahrer Mansur. Ahmed ist ein total gestresst wirkender Mann in den Fünfzigern und der geborene Touristenführer. Mansur ist um die dreissig und wirkt völlig gelassen. Leider spricht er fast kein Englisch. Ahmed kommentiert uns das ganze Frühstücksbuffet: «Das ist Fladenbrot, hier ist Butter, das ist Marmelade, hier sind Eier» etc. Hält der mich für blöd?!
Zuerst fahren wir zum Reisebüro, um den restlichen Betrag des Arrangements zu bezahlen. Die erste Hälfte haben wir vor unserer Abreise aus der Schweiz überwiesen. Dann quetschen wir uns zu fünft in den Peugeot und kurven zur Schweizer Botschaft, um Post abzuholen. Der Schweizer Botschafter ist sehr nett und lässt uns schnell in sein Büro kommen. «Wir haben noch nie von schlechten Erfahrungen von Schweizer Touristen im Iran gehört», erzählt er. Und dass er hier überhaupt keine Angst zu haben brauche, wenn seine Frau erst um Mitternacht nach Hause käme, denn die Strassen seien sicherer als in europäischen Städten. Viele Pasdaran oder «Mitglieder des Komitees» streifen in Zivil durch die Strassen und schauen nach dem Rechten. Dazu kommt, dass nie jemand betrunken auf der Strasse anzutreffen wäre. Das Alkoholverbot hat auch seine guten Seiten!
Man übergibt mir 14 Briefe und zwei Faxs und ich stürze mich darauf. Meine Eltern, meine Schwester und viele Freundinnen und Freunde haben mir geschrieben und mir mit ihren Zeilen grosse Freude bereitet. An dieser Stelle nochmals herzlichen Dank an alle SchreiberInnen.
Da es schon fast Mittagszeit ist, gehen wir in ein Restaurant. Ich habe überhaupt keinen Hunger, aber als Schäfchen eines Reiseleiters muss ich ihm halt hinterher trotten und esse einen Salat. Hoffentlich hört er bald auf, uns wie kleine Kinder zu behandeln. Er steht nicht auf die illegal organisierten Popmusikkassetten von Mansur, sondern hört klassische Musik. Astrid und ich verschmachten fast in unserem Vogelscheuchen-Outfit zu dritt auf dem Rücksitz.
Wir fahren nach Hamadan und steigen im besten Hotel der Stadt ab. Ich habe zwar gerne wieder mal ein luxuriöses Zimmer, aber die Gäste sind auch dementsprechend. Nur ältere Pauschaultouristengruppen, die alle wie junge Entlein in Einerkolonne ihrem Reiseleiter hinterherwatscheln. Wir schlagen uns die Bäuche voll mit Suppe, Salat und Steak und schliessen unser erstes gemeinsames Nachtessen mit Kaffee und Karamelpudding ab. Unser Babysitter bezahlt alles, ungefähr fünf US Dollar pro Person. Gerne hätte ich ein Glas Rotwein zum Steak getrunken…
Am nächsten Morgen sehen wir uns die Stadt Hamadan an. Ahmed erzählt viel von den Sassaniden, Safawiden und Achämeniden und dass die Seidenstrasse durch Hamadan geführt hat. Hamadan wurde früher Ectabana genannt und ist eine der ältesten ununterbrochen bewohnten Städte der Erde. Sie war eine der Hauptstädte der Achämeniden, die zur Zeit des Darius in den Jahren 521 bis 485 vor unserer Zeitrechnung ihre grösste Ausdehnung erreichte: Im Osten bis Indien und zum Pamir, im Westen bis zum Adriatischen Meer, im Norden bis zum Kaukasusgebirge, bis zum Kaspischen Meer und Transoxanien und im Süden bis zum Golf von Oman.
Ihre Lage auf 1747 m, von sanften Bergen umgeben die teilweise noch mit Schnee bedeckt sind, macht sie angenehm kühl. Wir besichtigen das Mausoleum von Abu Ali ibn Sina, der im Westen unter dem Namen Avicenna weltberümt wurde. Um 980 in der Nähe von Buchara in Usbekistan geboren wurde er später Philosoph, Physiker und revolutionärer Mediziner. Das hässliche Grabmal, das man dem so genialen Medicus hier gebaut hat, ist eine Schande, hässlicher hätten es nur die Sowjetrussen hingekriegt!
Wir fahren etwa 100 km aufs Land hinaus zu einem riesigen Labyrinth aus Höhlen mit Stalaktiten und Stalagmiten. Dutzende Schulklassen stehen schon Schlange, um auf die nächsten Boote zu warten. Die Schüler winken uns fröhlich zu und scheinen sichtlich erfreut, Touristen zu treffen. Im vordersten Boot strampeln zwei Iraner wie verrückt in ihren Pedalos, die etwa fünf weitere Boote mit je 10 Menschen durch ein spektakuläres Höhlensystem hinter sich herziehen. Die schaukelnde Fahrt dauert ziemlich lange, die zwei Strampler erinnern mich an moderne Sklaven.
Auf dem Rückweg nach Hamadan stoppen wir an einem idyllischen Ort an einem Fluss und einem Wasserfall, wo Familien und Schulklassen zum Picknicken herkommen. In der Granitwand sind zwei Inschriften von den Achämeniden-Königen Darius I., der von 522 bis 486 vor Christus regiert hat, und seinem Sohn Xerxes I., der bis 465 v. Chr. regierte. Sie bitten um Schutz ihres Gottes des Lichtes, Ahuramazda. Spätere Generationen konnten die altpersischen, neo-elamitischen und neo-babylonischen Inschriften nicht mehr entziffern und nannten die Reliefs einfach Gandsch Nameh , was soviel wie «Schatzbücher» bedeutet. Viele Leute, vor allem aber junge Frauen und Schülerinnen umgeben uns neugierig. Sie sprechen fast kein Englisch, aber lachen uns herzlich an.
Zurück in Hamadan können wir uns endlich absetzen. Es war gar nicht so einfach. Ahmed wollte uns natürlich ins Hotel zurückbringen, aber wir baten Mansur, beim Basar anzuhalten und uns aussteigen zu lassen. Worauf Ahmed uns sofort angeboten hat, uns zu begleiten. Aber wir erklärten ihm, er solle nur in sein Zimmer gehen und sich ausruhen, wir könnten ohne Begleitung auf den Basar. Er liess uns sehr ungern allein ziehen. Es sei gefährlich, erklärte er, und besser, wenn er mitkäme. Falls unser Kopftuch verrutsche und zuviel Haare hervorschauten, könne er uns darauf aufmerksam machen. Endlich sind wir ihn los und machen eine strategische Krisensitzung in der Tschai-Khunä , wie eine Tschai-Khana im Iran heisst. Wir haben uns entschieden, den Reiseleiter loszuwerden und diskutieren jetzt noch über die Art und Weise, wie wir ihm dies am schonendsten beibringen können. Er nervt uns, weil er sich wie ein Babysitter aufführt und uns sogar noch sagt, wie wir die Strasse überqueren oder auf welchen Stuhl wir uns setzen sollen.
Am Tisch beim Abendessen erklären wir ihm, dass wir es gewohnt seien, individuell zu reisen, unser Programm selbst zu gestalten, das Restaurant selber auszusuchen, auch öfters in die kleinen Lokale in den Strassen essen zu gehen und nicht immer abgeschirmt von den Einheimischen mit Touristengruppen zu speisen. Es sei auch eine Zumutung, dass wir soviel Geld für einen Mietwagen bezahlten und dann zu dritt eingepfercht auf dem Rücksitz Platz nehmen müssten. Das sei unbequemer als mit öffentlichen Bussen unterwegs zu sein und habe wirklich nichts mit ihm zu tun, er solle es nicht persönlich nehmen. Wir würden seiner Chefin natürlich erklären, dass wir mit unserem Reiseführer nicht unzufrieden seien, jedoch einfach gar keinen brauchen.
Zuerst ist er total schockiert, aber dann begreift er. Nach ein paar spärlichen Versuchen, uns umzustimmen, gibt er auf. Am nächsten Morgen gehen wir mit ihm in sein Hotelzimmer und rufen das Reisebüro an, um seiner Chefin mitzuteilen, dass wir ihn mit einem Taxi nach Hause schicken. Es passt ihr gar nicht, und sie will uns nur das Geld, das für seine Mahlzeiten bestimmt gewesen wäre, zurückbezahlen. Thomas könne nicht mit Mansur ein Doppelzimmer teilen, das sei verboten. Und unser Essensgeld könne uns nicht ausbezahlt werden, Mansur werde Ahmeds Kasse übernehmen. Dann müssen wir halt doch bei jedem Fläschchen Mineralwasser wie kleine Kinder Mansur fragen, ob er bezahlen kann.
Aber wir geniessen es sehr, nur noch zu viert unterwegs zu sein.Wir können die Schmusekassetten von Whitney Houston, Maria Carey und was Mansur sonst noch eingepackt hat, abspielen und rauchen. Wenn er jeweils von weitem eine Polizeikontrolle entdeckt, verstecken wir sofort alle Kassetten unter dem Sitz und zupfen unsere Kopftücher zurecht. Ahmed hat vor solchen Posten noch stramm gesagt: « Please take your I slamic position! » – während uns Mansur nur einen grinsenden Blick zuwirft und wir sofort verstehen.
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