Von weitem sieht Erzurum eher hässlich aus, aber seine Lage, eingekreist von schneebedeckten Dreitausendern, macht es mystisch. Als wir etwas später durch die Strassen flanieren, gefällt es uns sehr gut.
Unser Hotel ist eine düstere dunkle Absteige, passt aber hierher. Ich fühle die Seidenstrassen-Nostalgie in mir aufkommen. Die Altstadt ist klein, wir können uns alles zu Fuss anschauen. Die Cifte Minare Medrese, eine Koranschule, die die mongolische Prinzessin Huant der Stadt zum Geschenk gemacht hat, ist ein Meisterstück der seldschukischen Architektur. Mit zwei Minaretten bestückt, wie sie sonst in der Türkei nicht vorkommen. Es sind keine langen, schmalen wie im Westen, sondern dicke, wuchtige, mit einer stumpfen Spitze. Leider können wir nicht in das Innere der Medresse - das mit schönsten Mustern in Stein gemeisselte Eingangsportal ist abgeschlossen. Dahinter befinden sich drei Grabtürme, die wie die Medresse aus dem 13. Jahrhundert stammen. Die Ulu Cami ist eine 1179 von Emir Abdül Muhammad erbaute Moschee, gross und leer, praktisch ohne Verzierungen. Erst später arbeiteten die Bauherren mit Fayencen.
Auch die Yakutiye Moschee und Medresse wurde unter den Mongolen im 13. Jahrhundert gebaut. Ihr Minarett ist wieder dick und kurz und mit einem zauberhaften Muster aus kleinen Backsteinen verziert, das mich ein bisschen an die Minarette von Bukhara erinnert.
Leider regnet es oft und wir sind froh, den Teppichhändler Nuri und ein neuseeländisches Paar kennen zu lernen und mit ihnen in Nuris Teppichladen Tee zu trinken. Die türkischen Kelims gefallen mir ausserordentlich gut. Aber ich kann mich (hier noch) beherrschen und kaufe keinen. In einem Kleiderladen erstehe ich ein langärmeliges baumwollenes, langes Herrenhemd für den Iran, weil ich dort keine Haut zeigen darf, aber auch nicht mit einem langen Mantel herumzulaufen gedenke.
Der Basarbezirk erstreckt sich über mehrere Gassen und der Höhepunkt ist ein Bedesten , Rüstem Pasha Carsisi, in dessen kleinen Verkaufsnischen viele alte metallene Reliquien aus vergangenen Zeiten verkauft werden. Es ist die wohl romantisch-altmodischste Trödlerladenansammlung der Türkei. Am liebsten hätte ich wieder alles zusammengekauft!
8Dogubeyazit habe ich mir als hässliches kleines Grenzkaff am Ende der Welt vorgestellt. Falsch! Wir kommen nicht mehr los von dieser kleinen übersichtlichen Stadt am Fusse des 5165 Meter hohen Berges Ararat und seinen herzlichen Kurden. Und lernen viele neue Freunde kennen.
Schon die 260 km lange Busfahrt über die ostanatolische Hochebene ist herrlich. Am ersten Abend entdecken wir einen englischen zweistöckigen Touristenbus. Ich spreche einen jungen Mann an, der am Rucksäcke ausladen ist. Er ist mit sechzehn anderen jungen Leuten aus Australien und Neuseeland mit diesem Bus von Kathmandu nach London unterwegs. Eine wilde und ausgeflippte Schar! Sie sind soeben aus dem Iran eingereist und haben seit über zwei Wochen keinen Alkohol mehr getrunken. Das müssen sie natürlich mit einer lauten Party in der Hotelhalle nachholen!
Am zweiten Tag nehmen uns drei Kurden mit zum Ishak Pasha Saray, der majestätisch auf einer Höhe von 2220 m an den Flanken eines Berges thront. Leider sieht man von hier den Berg Ararat nicht, aber die Aussicht auf die Stadt und die umliegenden Gebirge ist trotzdem gigantisch.
Der Ishak Pasha Palast ist nicht sehr alt, erst im 18. Jahrhundert entstanden. Schon lange standen hier Paläste der Herrscher und Feudalherren. Das alte Dogubeyazit befand sich früher hier oben am Berg, bevor es von den Russen anfangs dieses Jahrhunderts verwüstet worden war. Die Gouverneursfamilie, die diesen letzten Palast baute, war einem Sultan untergeben, der weit weg von hier wohnte. Sie wollte womöglich den Karawanen imponieren, die hier an einem Seitenarm der Seidenstrasse durchgezogen sind.
Das hohe Eingangsportal sieht wie das einer Medresse aus und ist mit pompösen Steinmetzarbeiten versehen. Die Moschee besitzt eine grosse runde Kuppel aus dunkelbraunem Sandstein. Ihr Minarett ist gestreift, aus rotbraunen und ockerfarbenen Sandsteinbrocken. Leider ist der ganze Palast ziemlich verfallen. Es ist nicht leicht, sich vorzustellen, wie es in all diesen Räumen einmal ausgesehen hat. Es gab einen Audienzsaal, eine Bibliothek und Schlafstellen für die Wächter. Wo einmal gekocht worden war, ist die Decke noch russgeschwärzt. Einen Harem gab es, einen mit Säulen geschmückten Speisesaal, ein paar mit offenen Feuerstellen zum Heizen versehene Schlafgemächer und auch einen Hammam . Das Gemisch aus armenischen, georgischen, islamischen und osmanischen Stilrichtungen ist einerseits kitschig, andererseits trotzdem schön und wirkt vor allem in dieser mystischen Landschaft sehr romantisch.
In einem kleinen Teehaus weiter oben mit Blick auf den Palast erzählen uns die Kurden, dass ihre Geschäfte mit den Touristen seit vier oder fünf Jahren schlecht gehen. Die Touristen bleiben aus weil sie Angst vor terroristischen Anschlägen haben. PKK-Kämpfer befänden sich am Ararat und der Alpinismus sei völlig zum Erliegen gekommen. Viele Reisebüros mussten schliessen und die verbliebenen Hotels ihre Zimmer zu Spottpreisen anbieten.
In unserem Zweisternhotel «Ishak Pasha» haben wir ein sauberes Zimmer mit Bad für umgerechnet sechs Dollar. In der Hotelhalle ist immer viel Betrieb und wir lernen die beiden Kurden Turan und Zafer kennen. Am Abend nehmen sie uns und Abbie und Mark aus England zum «Murat Camping» mit, einem kleinen Haus mit Restaurant und einem grossen Garten mit Campingmöglichkeiten, gleich unterhalb des Ishak Pasha Palastes. Wir stehen alle draussen unter dem Sternenhimmel und schauen auf die Lichter von Dogubeyazit hinunter. Traumhafte Nacht mit vielen Sternen.
Abbie und ich sind die einzigen zwei Frauen unter etwa 15 Männern, aber das macht nichts, denn den kurdischen Volkstanz, den wir an diesem Abend lernen, tanzt man im Kreis. Nuri spielt Musik auf einem Synthesizer und wir tanzen alle dazu. Unsere kurdischen Freunde laden uns zu Fisch, Chips, Salaten und Brot ein, wir müssen nur die Getränke bezahlen. So ein Abend ist für sie kein Geschäft, aber es geht ihnen auch gar nicht darum.
Tagesausflug ins Herz Kurdistans zum Van-See. Heute am dritten Tag sehen wir zum ersten Mal den Ararat ohne Wolken und in voller Grösse in der Sonne leuchten. Auch der «kleine Ararat» an seiner Seite ist stolze 3890 m hoch! Unser Minibus fährt über die erst 1990 durch dieses einsame Nomadengebiet angelegte Strasse auf einen Pass, von dem wir eine atemberaubende Aussicht über diese endlose Berglandschaft geniessen. Wir überqueren eine weitere Hochebene mit kleinen kurdischen Dörfern, wo Menschen armselig in kleinen Hütten wohnen, Hirten Schafherden vor sich her treiben und Pferde grasen. In Muradiye, einem grösseren Dorf, heisst es Endstation Minibus. In Dogubeyazit hat man uns gesagt, unser Busbillet gelte bis Van!
Wir schlendern durch das Dorf und fallen auf - wahrscheinlich kommt hier selten ein Ausländer vorbei. Alle Leute grüssen uns freundlich und die Kinder winken uns zu. Am anderen Ende des Dorfes stellen wir uns wieder an die Hauptstrasse. Ein Kurde aus Hakkari hält an und nimmt uns mit. Nach 100 km kommen wir an den Van-See. Er liegt auf 1727 m, eingebettet in eine Berglandschaft mit zwanzig Gipfeln, die höher sind als 3000 Meter. Der Süphan Dag ist sogar 4058 m hoch. Der See ist von einem wunderbaren klaren Blau. Auf den saftigen grünen Wiesen an seinen Ufern, die einen schönen Kontrast bieten, grasen Schaf- und Kuhherden. Von Zeit zu Zeit kommen wir an einem kleinen Dörfchen vorbei, dessen Minarett der einzigen Moschee aus dem roten Dächermeer heraussticht.
Erst gegen halb ein Uhr nachmittags kommen wir in die Stadt Van und bedanken uns beim netten Fahrer. Zuerst gehen wir in die Büros der privaten Busgesellschaften, um uns zu erkundigen, wann der letzte Bus heute zurück nach Dogubeyazit fährt. «In einer halben Stunde», antwortet man uns hinter den Schaltern! Na prima, wir sind vier Stunden unterwegs gewesen, um eine halbe Stunde in Van zu sein! So schlimm ist das eigentlich gar nicht, denn die Fahrt war schöner gewesen als die Stadt an sich. Wir kaufen uns ein Sandwich, setzen uns in ein Strassencafé und warten auf unseren nächsten Bus.
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