Nur schon der Gedanke, dass ich Kurt in 43 Tagen wiedersehe, macht mich «high» . In meinen Tagträumen bin ich schon mehrere Jahre am Reisen. Ich war noch nie so frei in meinem Leben. Als mir vor drei Jahren fünf Monate unbezahlter Urlaub bewilligt worden war, habe ich während der ganzen Zeit gewusst, dass ich an einem vorher abgemachten Montag wieder im Büro zu erscheinen hatte. Jetzt habe ich einfach Zeit. Ich habe keine Wohnung mehr und meine Möbel verkauft. Kurz vor meiner Abreise sagte ich lachend zu meinen Eltern, dass ich ein Clochard sei: arbeits- und obdachlos!
4In der wunderschönen Stadt Bursa. Sie ist noch viel schöner als Kayseri und Konya und strotzt von osmanischer Architektur. An den Hang gebaut bietet sie eine bessere Aussicht, je höher wir steigen. Wir haben uns im Stadtteil Cekirge, in der sogenannten Residential Area, wo die Reichen hausen, in einem Hotel einquartiert. Direkt neben der ältesten Moschee der Stadt, der Imperial-Moschee aus dem Jahre 1367. In diesem Stadtteil sind auch die meisten heissen Quellen, wegen derer heilenden Wirkung einheimische Touristen hauptsächlich hierher kommen. Auch unser Hotel nutzt im Untergeschoss das Wasser einer Quelle und besitzt ein wunderhübsches grosses Badezimmer mit Marmorfliesen und einer hohen gewölbten Kuppel. In der Türkei werden die öffentlichen Badehäuser wie in anderen islamischen Ländern Hammam genannt. Hier gibt es ein paar ganz hervorragend schöne in osmanischem Stil. Fast jede Stadt in der islamischen Welt hat noch mehrere Hammam. Meistens gibt es separate Abteilungen für Frauen und Männer, sonst ist einfach an gewissen Tagen Frauen- und an den anderen Herrentag. Viele traditionelle Bäder sind jahrhunderte alt.
Bursa wurde im zweiten Jahrhundert von einem König namens Prusia I. gegründet und Prusa getauft. Die Osmanen machten sie 1326 zu ihrer Hauptstadt, bis sie sich Konstantinopel , wie Istanbul früher hiess, schnappten. Heute ist Yesil Bursa , die «Grüne Bursa», wie ihre über eine Million zählende Bevölkerung sie liebevoll nennt, die sechstgrösste Stadt des Landes. Schon unter den Byzantinern war sie für ihre heilenden Bäder berühmt. Mich interessieren aber mehr die grossen religiösen Bauten, die uns die Osmanen hinterlassen haben.
Wir klappern zu Fuss die halbe Stadt ab, schlendern durch sehr alte Stadtteile mit wunderschön verwinkelten, abgeschrägten und zusammengebauten Häusern, die in allen Farben angestrichen sind. Sie besitzen noch die uralten, mit Schnitzkunst verzierten Holztüren und hölzernen Erker. Es gibt zahlreiche Parks und von den Strassencafés innerhalb der Stadtmauern der Zitadelle haben wir eine herrliche Sicht auf die typischen mit roten Ziegeln bedeckten Dächer der Altstadt.
Im Muradiye Komplex sind mehrere Gebäude in einer parkähnlichen Anlage verstreut. Moscheen, Medressen und Mausoleen aus Sandstein und grauroten Backsteinen in wunderschön angelegten Rosengärten. Die Ulu Cami ist eine riesengrosse Moschee mit zwei gigantischen Minaretten und viel Kalligraphie verziert. Sie ist wie alle osmanischen Bauten aus verschiedenfarbigen Steinbrocken gebaut. Die farbigen Glasfenster und der Mihrab, die Gebetsnische, die nach Mekka zeigt, sind hier besonders fein gearbeitet. Die Moschee stammt von Yildirim Beyazit aus dem Jahre 1396. Gleich neben ihr beginnt das Basarlabyrinth, zu dem auch zwei Han gehören, ehemalige Karawansereien. Im Innenhof stehen alte Bäume. Ein offener Pavillon wurde über einem Brunnen gebaut. Jeder Ladenraum um den Hof ist von einer kleinen Kuppel bedeckt. Tauben gurren von all den vielen Kuppeln herab. Ich fühle wieder den Puls der alten Seidenstrasse und bin in Höchstform. Sultane und Derwische geistern in meinem Kopf herum. Die Yesil Cami oder Grüne Moschee ist eine der schönsten, die ich bis jetzt in der Türkei gesehen habe. Sie ist mit äusserst filigranen Steinmetzarbeiten versehen und mit glasierten Ziegeln oder Fayencen verziert. Mit ihrem Bau wurde 1412 begonnen.
Natürlich wollen wir auch mit der Gondel auf den Hausberg, den 2530 m hohen Uludag. Oben liegt ein halber Meter Schnee und die Eiszapfen an der Häuserfront sind ungefähr 40 Zentimeter lang. Wir frieren erbärmlich und die Sicht beträgt nur etwa zehn Meter!
Zurück im Hotel feiern ein paar andere Gäste einen Geburtstag und laden uns spontan zu einem Stück Kuchen ein. Die Leute sind unglaublich freundlich und lieb. Am nächsten Morgen hält sogar ein alter Mann mit seinem Auto an als er sieht, wie wir mit offensichtlich schweren Rucksäcken bestückt zur nächsten Bushaltestelle unterwegs sind. Er nimmt uns in seinem Wagen zum grossen Busbahnhof ausserhalb der Stadt mit, wo wir in einen Bus nach Istanbul steigen.
5Ob Istanbul, Kontantinopel oder Byzanz, diese Metropole ist das Tor zum Osten und seit zweieinhalbtausend Jahren eines der wichtigsten Handelszentren der Welt. Alle Waren, die auf der Seidenstrasse transportiert wurden, seien es in Europa oder in Asien angefertigte, kamen durch Istanbul.
Die multikulturelle Stadt wurde von Persern, Römern, Mazedoniern, Griechen und Kreuzrittern beherrscht. Die Osmanen machten sie nach dem 14. Jahrhundert zum Mittelpunkt eines Weltreiches, dessen Dynastie ausser der Türkei auch Serbien, Bulgarien, Mazedonien und später Ägypten, Mesopotamien, Ungarn und sogar Nordafrika umfasste. Tunis, Tripoli, Kairo, Mekka, Medina, Jerusalem, Damaskus, Aleppo, Bagdad, Athen, alles gehörte zum Osmanischen Reich.
Ich habe mich auf den ersten Blick in Istanbul verliebt, als ich vor einem Jahr zum ersten Mal an den Bosporus kam. Sie ist für mich die schönste und interessanteste Stadt Europas - vielleicht auch, weil sie so uneuropäisch aussieht und mich an das orientalische Morgenland erinnert…
Die Griechen schreiben auf allen Karten immer noch Konstantinopel, um den Türken eins auszuwischen. Als ihr Kaiser Konstantin schon ein paar hundert Jahre tot war, konvertierten viele Griechen zum Islam, die in den Moslems ein kleineres Übel sahen, als im verhassten römischen Papst und seinem Gefolge.
Istanbul zeigt sich uns heute von der besten Seite, mit strahlendem Sonnenschein. Wir wohnen in der Jugendherberge gleich neben der Aya Sofia , im schönsten Stadtteil Sultanahnmet mit vielen Parkanlagen und den besten Sehenswürdigkeiten.
Eigentlich sind all die Moscheen und Paläste nur Dekorationen für das pulsierende Leben in den Strassen, Gassen und Basaren. Seeleute von der Marine flanieren in ihren schneeweissen Uniformen mit dem marineblauen Kragen, alte bärtige Männer mit gestrickten Mützen sitzen auf dem Randstein und diskutieren miteinander, während sie eine rosenkranzähnliche Kette durch ihre Hände gleiten lassen .Frauen mit Kopftuch und langen Röcken stricken Pullover, auf einem Mäuerchen sitzend und an eine Moschee-Wand gelehnt, während die Jugend in Jeans oder Miniröcken mit Hamburgern und Coladosen in der Hand durch die Strassen mit den teureren Designerboutiquen streunt. In einem anatolischen Touristenrestaurant kneten Frauen Brotteig, um ihn in den nächsten Minuten zu Fladenbroten zu verarbeiten. Ein alter Mann balanciert seinen Holzbalken mit 2 Körben links und rechts voll frischer warmer Bagels, die mit einer Sesamkruste überzogen sind, auf dem Kopf, und ruft: « Nefis Sim! ». Schuhputzer und –flicker sitzen auf kleinen viereckigen Schemeln, vor sich ihre Utensilien: Bürsten, Farbdöschen, Nadeln, Fäden, Hammer, Leder. Unten bei der Galatabrücke stehen Wasserverkäufer; diese herrlich mit Samt und Goldstickereien und anderen märchenhaften Textilien angezogenen Männer, die Wasserbehälter aus Messing wie einen Rucksack auf dem Rücken tragen und sich vorne die Becher ans Gilet gehängt haben, in denen sie das Wasser an durstige Kunden servieren. Eine Frau grilliert auf einem mitgebrachten Holzkohlengrill Maiskolben und bietet diese zum Verkauf an. Ein kleiner Junge ist wie ein Prinz gekleidet, sein Turban und das Cape, sein Umhang, sind aus Satin und mit Straussenfedern geschmückt, weil heute der grosse Tag ist – er wird wie alle islamischen Buben beschnitten. In einem Hinterhof spielen ein paar Männer Karten. Natürlich rauchen alle, aber auch alle Türken. Der Ausdruck «er raucht wie ein Türke» ist die pure Realität.
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