Am nächsten Tag fahren Thomas und ich nach Kaymakli und schauen uns eine in früheren Jahrhunderten bewohnte Höhle an, eine der sechs, die bisher gefunden und ausgegraben wurden. Niemand weiss, wer sie gebaut hat. Es handelt sich wahrhaftig um eine richtige Stadt, die in Tuffstein gehauen worden ist und bis zu 15 Stockwerke tief in den Boden reicht. Hunderte von Leuten konnten sich in diesem Netzwerk von Tunnels verstecken, wenn sie einen Angriff von türkischen oder arabischen Stämmen befürchteten. Vor die Einstiege und Eingänge wurden jeweils grosse runde Felsbrocken geschoben. Wir ziehen uns Pullover über, denn es ist kühl in diesem Höhlensystem. Sogar ich kleiner Zwirbel muss mich bücken, um durch diese tiefen engen Korridore zu kommen. Hunderte von kleinen Räumen mit Nischen wurden angelegt, die als Küche, Schlafräume, Badezimmer oder auch Kirchen und sogar Grabkammern dienten. Durch alle Stockwerke hindurch führt der Luftschacht, der die verschiedenen Ebenen mit frischer Luft versorgt. Ich bin tief beeindruckt, frage mich aber auch, wie gross die Angst vor Invasionen und kriegerischen Angriffen wohl gewesen sein muss, damit jemand jahrelang diesen Maulwurfbau anlegt, um darin auch noch zu wohnen!
Mit einer kanadischen Familie mit zwei Kindern fahren wir nach Üçhisar, um uns weitere Felsenwohnungen und –türme anzuschauen und in Restaurants zu gehen, die sich in diesen Grotten befinden. Später in Ortahisar besuchen wir ein weiteres Höhlenkloster, das vor 600-700 Jahren in den Tuffstein gehauen wurde und mit Säulen und zum Teil bemalten Fresken verziert ist. Ich kann gar nicht mehr alles verarbeiten, was sich mir hier an Eindrücken bietet!
Am nächsten Morgen fahren wir nach Kayseri in die Hauptstadt Kappadokiens. Eine herrliche Fahrt über grünes Land. Endlich sehen wir diesen schneebedeckten Erçiyes Dag in voller Grösse. Im Winter kann man an seinen Flanken Ski fahren - ich werde ein bisschen wehmütig, bin ich doch diese Saison nicht sehr oft auf meinen geliebten Brettern gestanden.
Kayseri wurde unter den Persern Mazaca genannt, von den Römern Caesarea und von den Arabern Kaisariyeh , unter welchem Namen es auch in das Buch mit den Märchen aus 1001 Nacht eingegangen ist.
Heute ist Kayseri eine recht moderne Grossstadt. In der Innenstadt verstreut finden wir jedoch unzählige Bauwerke aus der Zeit der Seldschuken, die vom 10. bis zum 13. Jahrhundert die ganze heutige Türkei und viele andere umliegende Länder beherrscht haben. Ich komme später nochmals auf sie zurück.
Die Zitadelle aus Basalt-Gestein ist die einzige der Türkei die ebenerdig gebaut worden ist weil es hier keinen Hügel gibt, abgesehen vom 3916 m hohen Hausberg. Im mit Kuppeln überdeckten Basar fühle ich mich wie in die Zeiten der Märchen aus 1001 Nacht zurückversetzt. Doch die Teppichhändler und deren Verkäufer gegen Provision gehen mir total auf die Nerven. Gerne hätte ich mich etwas mehr umgeschaut, denn ich liebe Teppiche, aber diese Typen sind so aufdringlich, dass wir schnell aus dem Basar verschwinden.
In einer Medresse befindet sich das Ethnografische Museum mit wunderhübschen Objekten aus Holz und Metall, die mit islamischer Kalligraphie geschmückt sind. Ich liebe solche Utensilien und möchte am liebsten wieder alles kaufen. Natürlich sind diese alten Stücke im Museum nicht käuflich, aber schon auf dem Suq von Damaskus hat es mich gereizt, mich mit islamischen Antiquitäten einzudecken um mich später in einer neuen Wohnung wie in einem orientalischen Palast einzurichten…
Innerstädtische Karawansereien werden je nach Region verschieden bezeichnet. Im Maghreb werden sie Funduq genannt, in Ägypten Wakalat , im Jemen Samsarah , im Iran Saray, in Syrien Khan und in der Türkei Han . Die meisten der hier mit wunderbarer Steinmetzkunst verzierten Monumente aus der Zeit der Seldschuken und Osmanen sind aber Medressen (Koranschulen). Ausserdem stehen hier mehrere achteckige Türbeler ( Grabtürme oder Mausoleen) aus dem 12. und dem 13. Jahrhundert.
Am Abend, zurück in Ürgüp, treffe ich wieder auf Kurt. Langsam merke ich, dass ich beginne, mich in ihn zu verlieben, wehre mich aber dagegen, weil ich ja reisen will und er nicht mitkommen kann. Aber er würde gerne… Wir kaufen nach unserem gemeinsamen Abendessen im Kappadokia Restaurant ein paar Flaschen Wein und sitzen bis in die Morgenstunden am Ofen im schnuckeligen Born Hotel.
Ich gebe zu, dass ich kurz nach 7 Uhr schon aufgewacht bin, aber mich schlafend gestellt habe, weil ich den 8 Uhr-Bus absichtlich verpassen wollte. Ich möchte Kurt noch nicht verlassen! Ausserdem hatte ich gestern doch etwas zuviel von diesem kappadokischen Rotwein… Als ich mich auf den Weg zum nächsten Laden mache, um das Frühstück einzukaufen, treffe ich auf Kurt und so gehen wir gemeinsam, um einen richtigen Brunch zu organisieren. Ach ist das schön, einmal einen ganzen Tag nichts zu unternehmen! Auch unseren sechsten Abend in Kappadokien verbringen wir zusammen mit den Belgiern.
Erst am siebten Tag brechen wir auf. Recep bringt uns zum Busbahnhof und wir versprechen ihm, seine mit Liebe eingerichtete kleine familiäre Pension weiterzuempfehlen. In Nevsehir verabschieden wir Schweizer uns von den Belgiern und Kurt und ich tauschen Fotos und tiefe Blicke aus. Ich hoffe, dass ich Kurt wiedersehe... Sie fahren an die Küste und wir nach Konya. Als hätten wir noch nicht genug Moscheen, Medressen, Karawansereien, Mausoleen etc. gesehen!
2Konya ist eine der wohl typischsten alten türkischen Städte. Unter den Griechen und Römern hiess sie Iconium und war die Hauptstadt der Provinz Lycaonia. Nach den Byzantinern und den Abbasiden-Kalifen kamen im Jahre 1076 die Seldschuken. Sultan Süleyman ibn Kutulmus machte Konya zu seiner Hauptstadt.
Wahrscheinlich erinnerte die baumlose Ebene, auf der Konya steht, die Seldschuken an ihre Heimat in den asiatischen Steppen. Nördlich der Mandschurei in den leeren Steppen vermuten Historiker die Heimat der Tu-kueh’, der türkischen Stämme, die schon vor Christi Geburt die Chinesen terrorisiert haben. Eine Vereinigung unter verschiedenen Stämmen, die Oguz genannt wurde, bewegte sich auf Europa zu. Das alles war wohlverstanden ungefähr 400 Jahre bevor Dschingis Khans Truppen loslegten. Um das Jahr 900 bekannten sich die türkischen Stämme zum Islam, nahmen Anatolien und befreiten es 1071 von den Byzantinern in der Schlacht von Manzikert nördlich des Van Sees. Auf dem Höhepunkt ihrer Macht im 13. Jahrhundert unter Sultan Alâeddin Keykubad waren die Seldschuken das stärkste und zivilisierteste Volk im ganzen Mittelmeerraum. Ihre Architektur, ihre Moscheen und Medressen markierten den Beginn und die besten Beispiele türkischer Kunst.
In den Kalifenhöfen von Samarra respektive Bagdad befand sich im 9. Jahrhundert das Zentrum der islamischen Töpferei. Dort machte die noch junge Kultur aus arabischen Ländern mit chinesischem Porzellan Bekanntschaft. Die Kalifen wollten unbedingt dieses faszinierende Material imitieren. Sie überzogen ihren graubraunen Ton mit weissen zinnhaltigen Glasuren und erfanden damit die ersten echten Fayencen in der Geschichte der Keramik. Die Seldschuken waren Pioniere in der islamischen Keramik und stellten sie schon früh auch in den Dienst der Architektur. Sie schmückten in ihrer Hauptstadt Konya ihre Medressen innen und aussen mit Fayence-Mosaiken. Später brachten die Timuriden die Fayence-Kunst zu einem Höhepunkt auf ihren Kolossalbauten in Samarkand und Herat. Leider ist in Afghanistan nicht viel davon vom Krieg verschont geblieben. Heute sind die besten Kunstwerke im Iran und in Usbekistan zu besichtigen. Durch beide Länder führt die Seidenstrasse und meine Reise. Ich freue mich sehr darauf!
Konya ist eine wahre Vorzeigestadt und wirkt auf mich wie ein Freilichtmuseum mit seinen vielen Gräbern von Seldschuken-Sultanen, Derwischen und Wesiren. Auf allen Gräbern stehen noch die Turbane der in den Steinsarkophagen ruhenden Persönlichkeiten. Die Sarkophage sind fast überall mit einer schweren Brokatdecke bedeckt und über ihnen thronen wertvolle Kronleuchter.
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