1 ...7 8 9 11 12 13 ...36 Ein junger Mann, der uns natürlich sofort als Touristen erkannt hat, lädt uns zu sich nach Hause ein, weil seine Frau Bushra Französisch spricht. Sie ist Französischlehrerin und freut sich sehr über unseren Besuch, kann sie sich so doch mal mit jemanden anders als mit ihren Schülern in dieser Fremdsprache unterhalten. Heute ist sie krank und deshalb kommen ständig ihre Schwester und viele Freundinnen auf Besuch, um ihr Gesellschaft zu leisten, Tee zu trinken und Süssigkeiten zu naschen.
Erst am Abend, wenn es nicht mehr so heiss ist, kommen die Leute wieder auf die Strasse. Dem Euphrat entlang laden Cafés in herrlichen Parkanlagen zum Verweilen ein. Kinder fahren mit dem Riesenrad, junge verliebte Paare setzen sich auf einsame Parkbänke oder man trifft sich für eine Flasche Arrak, das arabische Pendant zu Pernod oder Ouzo.
Am nächsten Morgen nehmen wir den Bus nach Aleppo und gleich weiter nach Lattakia. Stundenlang geht’s dem legendären Euphrat entlang. Es grünt in der Wüste. Zwischen der steinigen Landschaft und den kleinen Dörfern werden viele Felder bewirtschaftet. Nach 300 km erreichen wir die von aussen hässliche Grossstadt Aleppo, in die wir nach ein paar Tagen zurückkommen und tiefer eintauchen wollen. Wir steigen in einen anderen Bus und weiter geht’s über Berge und Hügel westwärts, durch eine mehr und mehr grüne und malerische Landschaft mit Weingärten, Melonenfeldern, Mandel-, Feigen- und Pistazienplantagen. Syrien besteht nicht nur aus Wüste! Wir erkennen Olivenhaine und sogar Reisfelder! Aus Oliven wird in Aleppo in einer grossen Fabrik, die sich in der ehemaligen Residenz des französischen Gouverneurs befindet, Olivenseife hergestellt. Nach weiteren drei Stunden befinden wir uns schon am Mittelmeer.
Suhail aus Damaskus hat uns die Telefonnummer einer Tante gegeben, die eine Wohnung vermietet. Die hilfsbereiten jungen Männer von der Busgesellschaft suchen mit uns ein Telefon und rufen diese Tante für uns an. Sie holt uns an einer Tankstelle ab und wir mieten bei ihr eine Drei-Zimmer-Wohnung. Im Quartierladen an der Ecke kaufen wir ein. Die Leute in der Nachbarschaft sind sehr freundlich. Wahrscheinlich kommt hier nie ein Ausländer vorbei! Selten spricht ein Anwohner Englisch oder Französisch. Die Wohnblöcke erinnern mich an Russland, sind höchstwahrscheinlich auch von sowjetischen Architekten entworfen worden. Ich finde Lattakia hässlich, eine riesige Hafenstadt ohne schöne Strandpromenaden. Die Syrer verbringen hier ihre Sommer-Badeferien. Für mich keine Verlockung.
Mit einem Minibus fahren wir der hier scheusslichen Mittelmeerküste entlang nach Ugarit, einer Ruinenstätte bei Ras Shamra. Einmal eine sehr wichtige Stadt, wurde sie 3000 Jahre vor Christi Geburt bekannt, als hier mit Zypern und Mesopotamien gehandelt wurde. Ihre goldensten Zeiten hatte sie vom 13. bis 16. Jahrhundert vor unserer Zeit, als sie ein Zentrum für Handel mit Ägypten, der Ägäischen See, Mesopotamien und dem Rest von Syrien war und ein Zentrum des Lernens. Der königliche Palast war im 13. vorchristlichen Jahrhundert eines der berühmtesten Gebäude von ganz Westasien. In der Stadt befand sich eine Bibliothek und hier wurden Tafeln mit Buchstaben gefunden, deren Schrift als erstes Alphabet überhaupt gilt. Es handelt sich um eine sehr historische Stätte, denn die Griechen sowie später auch die Römer entwickelten ihre Schrift aus den Zeichen des hier gefundenen Alphabetes. Von diesen Skripten lassen sich alle heutigen Alphabete ableiten. Leider gibt es heute für uns nicht mehr viel zu sehen.
Wir fahren weiter ins Landesinnere und kommen ins Bauerndörfchen Al-Haffeh und zur Ruine Qala’at Salah ad-Din, einer Zitadelle, die der islamische Führer Saladdin im Jahre 1188 nach dem Fall von Lattakia von den Kreuzrittern übernahm. Unter Sultan Baibar kam sie 1272 unter die Kontrolle der Mameluken (das waren die, die ihre Schiesstechnik an der Sphinx in Ägyptens Hauptstadt Kairo erprobt hatten und ihr durch die Schiessübungen die zahlreichen Löcher im Gesicht zufügten!). Die Überreste dieser Zitadelle auf einem Hügel über einer tiefen Schlucht in einer schönen Landschaft voller Orangenhaine, Grapefruitplantagen und Wäldern sehen herrlich aus.
Am zweiten Tag besuchen wir zwei kleinere Küstenstädte, Jabla und Banyas. Beide haben Spazier- und Flanierwege am Meer entlang, felsige Klippen, aber grässliche Abfallhalden und keine Sandstrände. Im süssen kleinen Strandcafé auf einem Felsen gehen wir auf ein Bier.
4Als ich zum ersten Mal ein Bild von der Zitadelle von Aleppo sah, die auf einem steilen Felsenhügel thront, wusste ich, dass ich sie unbedingt besuchen musste. Ich nahm meinen Weltatlas zur Hand und suchte Aleppo, fand es aber nicht. Der Name kommt aus dem Lateinischen; die Araber nennen sie bis heute Halab!
Etwa 1000 Jahre vor der Gründung von Byzanz und Rom war Aleppo –oder Halab - schon um 1800 vor Christus die Residenzstadt eines eigenständigen Königreiches. Archäologen meinen, dass sich an der Stelle der heutigen Zitadelle bereits im 4. vorchristlichen Jahrtausend eine befestigte Siedlung befand.
Diese Stadt zwischen dem hügeligen fruchtbaren Küstengebiet und der kargen ebenen Wüste im Landesinnern bildete den perfekten Schnittpunkt zwischen der abendländisch-mediterranen und der islamisch-vorderasiatischen Welt und war eine sehr wichtige Handelsstadt auf der Seidenstrasse. Hier waren Araber, Armenier, Griechen, Iraker, Perser, Inder und später Venezianer unter anderem mit einer Kolonie vertreten. 12 Kilometer lange und überdachte Gassen bilden den grössten Basar der Welt, über den schon Ibn Battuta (1304-1356), ein arabischer Reisender und viel zitierter Schriftsteller, geschrieben hat: «In Halab stehen die schönsten Kaufhallen, die ich je gesehen habe!»
Aleppo wurde von Hurritern, Hethitern, Assyrern, Persern und Seleukiden erobert, halb zerstört und wieder aufgebaut und kam erst unter den Römern ein bisschen zur Ruhe. Dank ihnen erlebte sie Wohlstand. Die ersten ausgedehnten Marktanlagen wurden gebaut. Nachdem die Stadt von den Byzantinern zerstört worden war, verfiel sie schliesslich in Provinzialität. Erst unter den legendären Gegenspielern der Kreuzritter, Nureddin und Saladdin, und Saladdins Sohn, dem Ajjubiden-Sultan Ghazi, wurde die Zitadelle zu einem beispiellosen Festungswerk samt Burggraben ausgebaut. Medressen für Koran- und Sufischüler wurden errichtet, Handel und Gewerbe angekurbelt und der Suq, der Basar, erweitert. Den Venezianern wurde vertraglich das Recht eingeräumt, in Aleppo eine Niederlassung zu unterhalten.
Nachdem die Mongolen 1260 und 1400 eingefallen waren und die ganze Stadt verwüstet hatten, erholte sich Aleppo erst wieder im 15. Jahrhundert, als Syrien an die Osmanen fiel. Halab wurde zum Hauptsitz einer Reichsprovinz und zum wichtigsten Handelsplatz der ganzen Levante.
Zuerst gehen wir ins legendäre 100-jährige Hotel Baron, in das 1911 und 1914 Lawrence von Arabien und später Agatha Christie, Lady Louis Mountbatten, Gertrude Bell und Freya Stark abgestiegen sind. Lawrence hat angeblich nie einen Teppich gekauft, ohne den Vater der armenischen Brüder Mazloumian – den Besitzern - um Rat zu fragen. Atatürk hat hier gewohnt und hohe türkische und deutsche Offiziere, die während des ersten Weltkrieges in die Stadt kamen. Der syrische König Faisal nahm auf dem Balkon des Zimmers 215 den militärischen Salut entgegen. Nasser und Tito hielten auf der Terrasse ihre Reden. Leider sind heute alle 30 Zimmer ausgebucht und wir genehmigen uns nur einen Drink an der Bar. Wir machen uns auf die Suche nach einem billigeren Hotel, um uns unserer Rucksäcke zu entledigen und erkunden dann die heute zweitgrösste Stadt Syriens mit einer Million Einwohner.
Neben unzähligen modernen Boutiquen entdecken wir viele sehr alte traditionelle Holzhäuser. Viele Händler, die ihre Ware auf Tüchern auf den Gehsteigen ausbreiten, wie wir es bei uns in der Schweiz vom Flohmarkt kennen, sind aus Russland, Georgien, Aserbaidschan und Zentralasien. Ich höre viele russische Wörter. Reklametafeln sind mit kyrillischer Schrift beschriftet. Auf den Strassen bemerke ich nur Männer, fast keine Frauen. Eine wilde Stadt ist das, irgendwie unheimlich.
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