1Wir schreiben den 21.2.1375. Aber das wussten wir ja noch nicht!
Im kleinen Büro am Busbahnhof von Maku fragen wir den jungen Mann hinter dem Schalter, wann der nächste Bus nach Täbriz fährt. Er antwortet: »Am zweiundzwanzigsten». Ich schaue auf das Datum meiner Uhr und erschrecke. Heute ist erst der Neunte – der 9. Mai 1996. Der nächste Bus nach Täbriz geht erst in dreizehn Tagen? Wir müssen übermorgen in Teheran sein! Meine Freundin Astrid fliegt ein und am zwölften geht unsere Tour los, die wir gebucht haben! Eigentlich wollten wir uns ein bisschen Zeit lassen und die Region um das Kaspische Meer besuchen, aber weil wir zu lange in Dogubeyazit geblieben sind, müssen wir in zwei Tagen in Teheran sein. Der Mann im Busbüro fängt an zu grinsen und klärt uns freundlich auf, dass im Iran seit der Revolution 1979 die islamische Zeitrechnung gelte. Die Emigration des Propheten Mohammed von Mekka nach Medina im Jahre 622 wird Hedschra genannt und bestimmt den Beginn der neuen islamischen Zeitrechnung. Darum ist heute der 21. Tag im zweiten Monat des Jahres 1375 nach Hedschra . Der nächste Bus nach Täbriz fährt also morgen.
Es herrscht eine grosse Hitze in diesem alten klapprigen Mercedes-Bus. Dass ich ein langärmeliges Hemd und ein Kopftuch tragen muss, treibt mir den Schweiss aus allen Poren. Unsere Fahrt den felsigen Bergen entlang ist sehr malerisch. Erst kurz vor Täbriz wird die Landschaft flacher und langweilig.
Das Strassenbild ist äusserst düster. Fast alle Frauen tragen den schwarzen Tschador über einem schwarzen Mantel und schwarze Strümpfe. Und wie sie dreinschauen, völlig frustriert! Zwei junge Männer nehmen uns vom Busbahnhof in die Stadt hinunter mit und sagen uns im Auto in schlechtem Englisch: « Iran is a bad country! ». Vor allem junge und moderne Leute wollen nicht in einem Staat leben, der so streng regiert wird und wo so viele Vorschriften und Regeln den Alltag beherrschen. In den letzten zwei Tagen haben wir schon etliche Plakate mit Ayatollah Khomeini und seinem Nachfolger Ayatollah Khamenei entdeckt. Leider habe ich seit zwei Tagen keine anderen Touristen mehr gesehen. Nach der überaus geselligen Zeit in Dogubeyazit überkommt mich hier Sentimentalität. Gleichzeitig freue ich mich aber sehr auf Teheran, auf Astrid und auf unsere gebuchte Pauschalreise. Das bedeutet eine Pause für die Reisedisziplinen „Hotelsuche“, „Preisverhandlungen für Taxis“ und „Organisieren von Busbilleten“.
Nach neun Stunden Busfahrt kommen wir in Teheran an. Von den ungefähr 50 Millionen Einwohnern Irans wohnen etwa 20% in und um die Hauptstadt. 1978 und 1979 sind hier Millionen von Menschen auf die Strassen gegangen und haben sich den Massendemonstrationen gegen den letzten Schah von Persien und für die Revolution von Ayatollah Khomeini angeschlossen. Der Schah war eine Puppe der Briten und Amerikaner geworden und hat sein Land entgegen dem Willen der tief religiösen Bevölkerung modernisiert und «amerikanisiert». Viele Ausländer, vor allem Amerikaner, arbeiteten in Persien, und hielten die besten Arbeitsplätze inne. Doch der Schah hat an der Bevölkerung vorbei modernisiert. Nur wenige Schichten haben von den Petrodollars profitiert, während die meisten arm geblieben sind. Viele Gegner des Regimes befanden sich hinter Gittern, wurden gefoltert und ermordet.
Am Anfang organisierte Ayatollah Ruhollah Khomeini al-Mussawi die Revolution von seinem Exil in Frankreich aus. Ironischerweise haben die westlichen Medien, allen voran BBC, seine Position in jener Zeit stark hervorgehoben. Im Iran selbst war er noch gar nicht so bekannt. Viele Leute dachten damals noch, dass sich der Geistliche später aus der Politik heraushalten werde. Als die grössten Verbündeten des Schahs, die Vereinigten Staaten von Amerika, merkten, dass der Schah sich nicht an der Macht würde halten können, liessen sie ihn wie eine heisse Kartoffel fallen. Nachdem er noch hunderte, wenn nicht tausende von Demonstranten einfach in den Strassen hatte erschiessen lassen, floh er am 16. Januar 1979 ins Exil, von einem Land ins andere - die Amerikaner wollten ihn auch nicht mehr- und starb 1980 einsam in Ägypten. Ayatollah Khomeini kehrte am 1. Februar 1979 nach Teheran zurück und wurde von Millionen von Menschen jubelnd begrüsst. Doch bald zeigte der sich nun Imam (Führer) nennende sein wahres Gesicht: Er war ein Psychopath! Khomeini gründete einen islamischen Staat, der sich auf den - auf seine Weise interpretierten - Koran stützte, und setzte dessen Gesetze mit brutaler Gewalt durch.
Im Westen hat sich unterdessen die Meinung etabliert, dass alle Einwohner des Landes immer noch grosse Anhänger seiner Lehren sind und vor allem alle Frauen gerne freiwillig den Tschador tragen. Doch die Iraner und Iranerinnen sahen sich mit einem extremen Despoten konfrontiert, der sich als noch viel schlimmer erwies als der Schah. Er hatte sie alle getäuscht. Er liess alles Amerikanische verbieten, Filme, Musik, Alkohol. Frauen mussten ihr Haar bedecken und durften keine Haut mehr zeigen. Nicht einmal schminken durften sie sich. In den Skigebieten wurden getrennte Frauen- und Männerpisten eingeführt, an den Stränden des Kaspischen Meeres Betonmauern bis weit ins Wasser hinaus gebaut, damit man die Badenden nach Geschlechter trennen konnte. Das Volk hat das nicht gewollt!
Ein Moslem ist kein Fundamentalist und schon gar kein Terrorist. Auch ein Christ muss kein Fundamentalist oder Terrorist sein. Aber in Nordirland gibt es ein paar fundamentalistische und terroristische Christen. Und so gibt es im Iran halt auch ein paar fundamentalistische und terroristische Moslems, die alle anderen friedliebenden Moslems in den Dreck ziehen und ihnen einen schlechten Ruf bescheren, der von den westlichen Massenmedien noch unterstrichen wird. Oder in Büchern, die iranische Männer als Alptraum hinstellen, sodass jede westliche Mutter, die von ihrer Tochter erfährt, dass sie einen Iraner heiraten wolle, fast einen Herzschlag bekommt. Das Land mit der grössten islamischen Bevölkerung der Welt ist übrigens Indonesien. Von diesen Moslems hören wir sehr wenig…
Als ich an meinem letzten Arbeitsplatz an der Zürcher Börse vor ein paar Monaten meinen Kunden mitteilte, dass ich gekündigt habe und auf eine grosse Weltreise gehen werde, kamen zuerst Fragen wie: «Hast du einen Lottosechser gehabt?» oder «Ist dir mit Börsengeschäften ein grosser Coup gelungen?». Nachher wollten natürlich alle wissen, durch welche Länder ich reisen werde. Ich zählte meine auserwählten Länder auf. Ein Kollege hat darauf erwidert, er beneide mich zwar, dass ich so lange Ferien mache, aber in diese Länder wolle er überhaupt nie reisen! Auch mein Akkupunktur-Arzt hat erschrocken ausgerufen: «In den Iran? In dieses Land würde ich nicht einmal gehen, wenn man mir sehr viel Geld dafür zahlen würde! Wie geht die Regierung mit ihren eigenen Menschen um! Wie wird sie dann erst mit Touristen umgehen?!» In einem Reisemagazin hat ein Journalist geschrieben, als er seinem Freund erzählt habe, dass er in den Iran reise, um eine Reportage zu schreiben, habe der ihm geantwortet: „Die werden dir sicher schon auf der Flugzeugtreppe die Kehle aufschneiden!“
Seit drei Tagen sind wir nun im Iran und leben immer noch! In allen Strassenrestaurants und Geschäften, wo wir essen und einkaufen, in den Hotels und schliesslich in der Reinigung, wo wir unsere schmutzige Wäsche abliefern, sind alle immer unglaublich freundlich zu uns.
2Um zwei Uhr morgens läutet das Telefon, der Rezeptionist kündet Besuch für mich an. Verschlafen werfe ich das Kopftuch über meinen Kopf und ziehe das lange Hemd an, bevor ich in die Hotelhalle runtergehe. Eine Vogelscheuche in einem langen blauen Polyestermantel und einem orangefarbenen Seidenkopftuch wartet auf mich. Es ist Astrid aus der Schweiz, in derselben lächerlichen Verkleidung wie ich. Wir krümmen uns vor Lachen, als wir uns erkennen! Sofort gehen wir aufs Zimmer, ziehen unsere unbequemen Fetzen aus und setzen uns in Shorts und T-Shirts auf den Balkon. Das wäre theoretisch auch verboten, aber es ist ja tiefe Nacht und niemand kann uns sehen. Wir haben uns viel zu erzählen und schwatzen bis morgens um vier Uhr. Kurt hat sie angerufen und mir ausrichten lassen, dass er einen Flug für den 5. Juni nach Aschkhabad gebucht hat. Sein Chef gewährt ihm nochmals vier Monate unbezahlten Urlaub! Ich bin überglücklich!
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