Mit dem nächsten Bus fahren wir fast 90 km oder vielleicht ein Viertel am Ufer des wunderbaren Van-Sees entlang nach Erçis und weiter via Patnos nach Agri. Das ist ein grosser Umweg, aber am Nachmittag nehmen keine Busse mehr den kürzeren Weg über die Berge. Irgendetwas Gefährliches liegt in der Luft. Heute sind sicher acht Mal Polizisten in den Bus gestiegen und haben Reisepässe und Identitätskarten kontrolliert. Unsere Schweizer Pässe, die wir ihnen hinhalten, nehmen sie nicht einmal in die Hand. Die Einheimischen werden alle kontrolliert.
Anstatt in Agri auf einen anderen Bus zu warten, machen wir wieder Autostopp. Diesmal nimmt uns ein Lastwagen mit. Der Fahrer spricht nur Türkisch. Mit den vielleicht 25 Wörtern, die ich kenne, finde ich heraus, dass er unterwegs nach Aschkhabad in Turkmenistan ist. Er hat Marmor geladen um ihn dort zu verkaufen. Auf der Rückfahrt wird er mit Textilien beladen sein. Nach den über 20 Tagen, die er ohne seine Frau und Kinder, die in Istanbul wohnen, auskommen muss, wird er sie aber für ein paar Tage an die Südküste in die Ferien mitnehmen, er wird dann eine Woche frei haben. Er ist ganz allein unterwegs und schläft in der Fahrerkabine, trifft sich aber immer mit anderen Lastwagenfahrern auf «Autobahnraststätten», wo sie zusammen kochen und essen.
Erst am späten Abend kommen wir ins Hotel zurück. An der Bar in der Lobby ist was los! Zwei ältere britische Ladies, drei Holländer und ein palästinensisches Paar sind angekommen. Die Palästinenser besitzen, wie auch Suhails Familie aus Damaskus, keinen Reisepass, sondern nur ein sogenanntes Travel Document , mit dem sie nicht weit kommen. Um ihren Urlaub in der Türkei zu verbringen, hat es gerade noch gereicht. Sie wohnen in einem von den Israelis besetzten Gebiet.
Im Report S/14268 des UNO-Sicherheitsrates vom 25. November 1980 weist die UNO-Kommission darauf hin, dass Israel entsprechend den UNO-Resolutionen die demographische Zusammensetzung der besetzten Gebiete nicht verändern darf und dass der Bau von Siedlungen in den besetzten Gebieten nicht erlaubt sei. Dem Report ist auch zu entnehmen, dass Israel bezüglich der Einhaltung der Resolutionen von der UNO mehrfach gemahnt worden ist. Doch seit 1980 hat sich an der Haltung Israels immer noch nichts geändert. Es ist nichts Neues, dass die UNO die Staaten Israel, Irak und Iran unterschiedlich behandelt!
Auch drei Iraner, die sehr gut Englisch sprechen, sitzen an der Hotelbar. Einer arbeitet in den USA und ist jetzt mit seinem Bruder auf dem Weg in den Iran, um seine Verwandten zu besuchen. Er gibt uns grosszügig seine Telefonnummer von Teheran und sagt, wir sollen uns melden, wenn wir dort seien. Der Dritte, Saeed, ist ein Geschäftsmann aus Teheran, der wie schon Marco Polo vor 700 Jahren mit Safran handelt. Marco Polo reiste noch mit einem gepressten Safranziegel, Saeed hat seine kostbare Ware in kleine Plastikdöschen verpackt, dreisprachig beschriftet und reist mit Aktenkoffer und Krawatte. Auch er gibt uns seine Adresse und Telefonnummer mit den Worten, wir sollen uns unbedingt bei ihm melden. Jeder von uns Touristen trinkt noch ein paar Gläschen Raki mehr als sonst, weil wir alle bald in den Iran einreisen, wo kein Alkohol mehr ausgeschenkt werden darf.
Murat und Zafer hängen ebenfalls in der Hotelhalle herum und überreden mich, noch einen weiteren Tag zu bleiben. Murat gehört das Camping, wo wir jeden Abend zu kurdischer Musik tanzen. Er schmuggelt Alkohol auf Pferderücken nachts über die Grenze in den Iran und redet offen darüber, dass er die PKK unterstützt. Er erklärt mir auch, dass alle Kurden die PKK unterstützen. Ich weiss nicht mehr, wem ich glauben soll. Turan hat mir vor ein paar Tagen die Theorie andrehen wollen, dass es sich bei der PKK um Armenier handelt! Alles was ich mit Sicherheit weiss, ist, dass alle Kurden, die ich bisher kennen gelernt habe, sehr lieb sind.
Nach fast sechs Wochen verlassen wir am 9. Mai die Türkei und fahren mit einem Minibus von Dogubeyazit die letzten 45 km an die iranische Grenze. In einem Vorzimmer verkleide ich mich mit dem Hedschab, einem Kopftuch, das ich vorne zusammenbinde, damit man ausser meinem Haar auch meinen Hals nicht sehen kann und ziehe das langärmelige Männerhemd von Erzurum an, das bis fast zu meinen Knien reicht, «sodass Arme und Beine ausreichend bedeckt und die Körperformen durch den Schritt nicht auf sexuell aufreizende Weise betont sind» (aus einer Tourismusbroschüre). Ein Tschador (wörtlich „Zelt“) ist nicht zwingend vorgeschrieben. Das bodenlange rechteckige Tuch wird über den Kopf gestülpt und muss mit beiden Händen zusammengehalten werden.
Ein Zöllner wühlt in meinem Rucksack und nimmt alle Bücher, die ich zuunterst hineingebettet habe, einzeln hervor. Aber in knapp einer halben Stunde sind alle Formalitäten erledigt. Wir sind drin. In der Islamischen Republik Iran!
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Im Born Hotel mit Inhaber Recep, Kurt und Alain aus Belgien Kurt und ich tragen Paschtunen-Mützen und Alain eine aus Belutschistan |
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In Samsun an der Schwarzmeerküste |
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Beim Tee in Bayburt, Ostanatolien |
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Der Ischak Pascha Palast vor dem 5165 m hohen Berg Ararat, oberhalb... |
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...Dogubeyazit im Osten, auf 2220 m, kurz vor der iranischen Grenze |
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Bei Göreme, Kappadokien |
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Kurdische Familie, rechts Murat |
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Kurdische Tänze im Murat Camping |
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