1 ...8 9 10 12 13 14 ...22 "Kann ich allein hier aus dem Haus gehen ? Ich würde mir gerne etwas die Gegend ansehen, es ist wirklich schön hier !"
Mirwais zog ihn zu einer Ecke des Daches hin, wies mit seiner Hand ins Tal nach rechts.
"Das ist die "Landkarte Afghanistans", ein Stück Land, da beim Fluss, eine Anordnung von Feldern, das sieht, im Groben, wirklich so aus wie eine Landkarte unseres Landes. Da kannst du hingehen, ich werde eine Begleitung besorgen !"
"Kann ich nicht allein gehen ?"
"Ist nicht zu empfehlen, die Panjshiris sind, berechtigterweise, ein misstrauisches Völkchen, sie werden sich ganz sicher fragen, was du dort willst, ganz allein, was du da suchst !"
"Gar nichts suche ich, will doch einfach nur Luft schnappen, die Gegend anschauen und sehen wie die Leute hier leben !"
"Wann willst du denn gehen - am besten später am Nachmittag, wenn die Sonne tiefer steht, es ist jetzt noch immer viel zu heiß… ich gehe auf jeden Fall jetzt ein wenig schlafen !"
Als Felsberg sich umsah, war Mirwais bereits verschwunden, dafür kam kurz darauf der "Bacha" wieder und brachte Tee, frisches Brot und einige Spieße Kebab. Felsberg stürzte sich auf die Nahrung und schlief danach, mit frisch beruhigten Magennerven, ebenfalls noch ein paar Stunden weiter.
Es war später Nachmittag, als er in den Innenhof trat, wo einige der Soldaten mit Kalashnikoffs herumsaßen, ihre endlosen Späße trieben. Felsberg hatte schon festgestellt, die Afghanen lachten überaus gerne und häufig, trotz ihres harten, oder gerade wegen ihres harten Lebens und der harten Bedingungen, die ihnen ihre Umgebung aufzwang.
Sie kannten nichts anderes, seit Tausenden von Jahren immer wieder das selbe, sie wurden von irgendwelchen Eindringlingen überfallen, die sie üblicherweise berauben, quälen, vergewaltigen, unterjochen wollten. Und sie hatten gelernt sich gegen sie alle zu wehren, es hatte oft lange gedauert, aber am Ende waren sie alle gegangen, besser - gegangen worden – und genau so, wie die Russen, in der jüngeren Vergangenheit – genau so würden auch die vereinten westlichen Mächte aus dem Land schleichen müssen. Gegen diesen störrischen, harten und auch selbstlosen, aufopfernden Kampf der Afghanen war kein Kräutlein gewachsen – ob Mongolen oder Amerikaner, einerlei !
Sie waren schon ein bemerkenswertes Volk, bei aller Härte hatten sie sich doch auch ihren Sinn für Humor bewahrt, und so wie sie mit ihren Kindern umgingen, ihre Dichtung, ihre Kunst, Kunstgegenstände, Schmuck, so verhieß dies auch die Liebe, die sie in ihrem Leben hatten, für das Leben und für ihre Heimat. Es gab nur wenig, was es über den Begriff der "Heimat" zu stellen war, allerhöchstens Allah, und den nur dann, wenn es nicht ans Eingemachte ging, ums Überleben. Dann wurde gnadenlos getötet, mit aller Brutalität, die eine solche Auseinandersetzung erforderte, denn ihre Gegner zeichneten sich ebenfalls nie durch zartfühlende Zurückhaltung aus, massakrierten mehrmals fast die gesamte Bevölkerung und hinterließen zusätzlich auch noch ihre Gene. Daher hatte ja auch Mirwais seine hohen Backenknochen.
Die Soldaten hatten Spaß daran, ihm einen Turban auf den Kopf zu winden. Sein mittlerweile deutlich gewachsener Bart und die Sommersonne, die sein Gesicht dunkel gebrannt hatte, ließen ihn beim Anblick in einen rasch herbeigeholten Spiegel grinsen. Mit dem Turban musste man schon ganz genau hinsehen, um ihn als Nicht-Afghanen zu identifizieren. Seine Nase konnte man für Griechisch halten, seine blonden Haare versteckt, blieben nur mehr seine grünen Augen, aber selbst das gab es auch unter Einheimischen, blond und blauäugig, selten, aber doch. Außerdem hatte er ja seine Sonnenbrille. Nur sprechen durfte er nicht, außer irgendwelche Floskeln, die er nun schon einigermaßen akzentfrei beherrschte.
Sie überquerten den Fluss auf einer jener hängende Brücken. Sein Begleiter, Safiola mit Namen, lachte schon wieder aus vollem Hals, als Felsberg die schwankende Brücke ängstlich fast im Lauschritt bewältigte, hinüber auf die andere Seite des Panjshir-Flusses.
Die späte Sonne zeichnete die Landschaft in goldenem Licht, das von den reifen Getreidefeldern noch verstärkt, eine zauberhafte Stimmung in dem Tal verbreitete. Felsberg verfluchte sich, seine Kamera nicht dabei zu haben, diese war in seinem Rucksack geblieben, in jenem Wagen, den sie bei dem Überfall hatten zurücklassen müssen.
Safiola, der Soldat, sah aus wie ein Schauspieler aus einem klassischen Drama, ein griechischer Kopf mit dazugehöriger Nase, wild wuchernden, rabenschwarzen Haaren, seine Zähne blitzten, wenn er lachte. Was er gerade tat, als er erzählte, dass er bereits fünf Kinder habe und im Gegenzug fragte, wie viele Felsberg denn hatte, schließlich war er ja auch um einiges älter, infolgedessen er ja auch mehr Kinder haben müsse. Er wollte es fast nicht glauben, als Felsberg ihm mühsam erklärte, dass er keine Kinder habe, dass es in Europa fast normal sei, keine Kinder zu haben.
"Jahaan, bisyaar bacha !" radebrechte Felsberg, "bisyaar dukhtar !"
Safiola lachte schon wieder, beschrieb mit seinen Händen in der Luft eine "Dukhtar", einen weiblichen Körper. Ein wahrere Schwall an Worten folgte, offenbar wollte er noch viel mehr und vor allem Genaueres von den europäischen "dukhtaran" wissen, dieses Thema schien ihn brennend zu interessieren, alles, was damit zusammenhing.
Felsberg bewunderte die Landschaft, das Tal, die Felder, die Natur, den Geruch, während Safiola wollte, ausschließlich aller anderen Themen, nur Geschichten über Frauen hören.
Felsberg fragte ihn, ob er denn - als Muslim durfte er dies ja – ebenfalls vier Frauen habe, also viel "Arbeit", grinste ihn an.
Safiola rollte mit seinen Augen, erklärte gestenreich, was seine Frau mit ihm machen würde, wenn er es wagte, noch eine Frau anzubringen. Sie würde ihm die Kehle durchschneiden, wie er lachend, mit einem Finger andeutete.
Die Dunkelheit kam in den Tälern schneller, als auf offenem Terrain. Die Sonne war schon lange weg, als sie sich auf den Rückweg machten, den Fluss auf einer Pontonbrücke überquerten, offen, auf der Straße zurück in die Ortschaft gingen.
Safiola war gerade bei der eminent wichtigen Frage nach den Brustgrößen westlicher Frauen angelangt, was für ihn offenbar eine gewichtige Frage war, denn seine Präferenzen bewegten sich in den oberen Körbchengrößen. Auf intensiveres Nachfragen Felsbergs musste er dann aber doch zugeben, dass seine Frau leider nicht mit solch erstrebten Formen gesegnet sei, nur wenn sie schwanger sei, dann komme er – temporär – in den Genuss seiner Idealvorstellungen.
Felsbergs Lachen verebbte akut, als sie um eine Kurve kamen und hinter einem jener kaputt-geschossenen, havarierten, russischen Panzer am Straßenrand, einen weißen Geländewagen geparkt sahen, der ihm irgendwie bekannt vorkam, es war der Wimpel an der Antenne, der den Ausschlag gab..
Sie gingen ganz nah an dem Fahrzeug vorüber, es hätte auch gar keinen Ausweg mehr gegeben, sie mussten an ihm vorbei.
Felsberg spähte im Vorübergehen kurz ins Fahrzeug, es war unbesetzt, kein Zweifel möglich, es handelte sich um ihren Wagen, ihrer beider Rucksäcke lagen noch immer hinter den Sitzen.
"Felsberg griff nach Safiolas Unterarm, flüsterte in seine Richtung "Deqat… dushman, dushman... haraami, jaheelun !"
Safiola entsicherte seine Kalashnikoff, er wusste um die Verfolger, die hinter Mirwais und Felsberg her waren, er wusste nur nicht warum. Aber auch dies hätte keinen Unterschied gemacht. Felsberg griff instinktiv nach der Pistole, die er im Gürtel trug, versicherte sich ihrer Anwesenheit.
Sie gingen ganz ruhig weiter, bis zu den ersten Hütten der Händler, dann zog ihn Safiola schnell hinter diese, ging von da an quer zum Berghang hin. Und schon wieder kletterten sie wie Bergziegen den Hang hinauf, zu einem Felsvorsprung. Safiola rief ein Code-Wort in die aufkommende Dunkelheit, eine andere Stimme antwortete ihm mit demselben Code-Wort.
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