Nach kurzer Zeit erklang draußen ein gellender Schrei und ein seltsamer Geruch erreichte seine Nase. Irgendetwas brannte. Nein, das war … verbranntes Fleisch. Nackte Angst fraß sich in seine Eingeweide. Lucius entdeckte Severin, dieser stand nun etwas weiter hinten in der Schlange.
„Los, weiter!”, herrschte ihn einer der Wächter an und er stolperte zwischen zwei der Säulen hindurch ins Freie.
Direkt vor der Halle brannte ein Feuer in einer Feuerschale. Zwei Wächter, ebenfalls in roten Tuniken, hielten einen der Gefangenen fest. Ein dritter Mann, der eine helle Tunika und eine Lederschürze trug, hob einen rotglühenden Eisenstab und presste das untere Ende dem Mann auf die Innenseite von dessen Handgelenk.
Lucius erstarrte. Ein Brandzeichen! Der Mann schrie erst auf und wimmerte dann vor Schmerz. Der Anblick und der grässliche Geruch waren zu viel für Lucius – er brach in die Knie und übergab sich, als eine ätzend-saure Flüssigkeit seine Kehle hochschoss. Einer der Wächter zerrte ihn vom Boden hoch, als das Würgen endlich aufhörte.
„Zurück in die Schlange!”, verlangte der Mann mit grimmiger Miene und stieß ihn zwischen zwei andere Gefangene, die ihm Platz machten.
Er schaute sich um. Eine Flucht war unmöglich, die Wächter hätten ihm sofort den Weg versperrt oder Schlimmeres mit ihm gemacht. Außerdem endete der Platz hinter der Halle an einem hohen Zaun. Was dahinter lag, wusste er nicht und bis er dort hinaufgeklettert wäre, hätten ihn diese Bastarde längs mit ihren Schwertern bearbeitet. Hilfe konnte er ebensowenig erwarten. Zwar waren weniger Wächter als Gefangene anwesend, doch die meisten der Männer und Frauen, die hierhergebracht worden waren, machten auf ihn nicht gerade den Eindruck, dass sie erfahrene Kämpfer seien.
Und selbst wenn es der Fall gewesen wäre, war es so gut wie unmöglich, einem Krieger das Schwert abzunehmen, wenn man selbst unbewaffnet war. Vor allem dann nicht, wenn man keine Kampferfahrung hatte. Aber selbst für ihn war es in dieser Situation zu riskant.
Die Zeit rannte ihm davon, während die Menschenschlange vor ihm immer kürzer wurde. Der Geruch nach verbranntem Fleisch wurde immer stärker, je mehr von den Gefangenen das Brandzeichen erhielten. Schreie und schluchzende Laute erfüllte die Luft, oftmals überlagert von den lauten Rufen und Befehlen der Wächter.
Sie kannten keine Gnade, selbst eine junge Frau, die kaum erwachsen war, wurde gebrandmarkt. Weinend brach sie zusammen und wurde mit einem groben Griff beiseitegeschoben, um Platz zu schaffen für den nächsten Unglückseligen.
Wie schon auf der Fahrt erfasste Lucius eine ohnmächtige Wut. Was ihnen hier angetan wurde, war grausiges Unrecht. Wenn er es doch nur irgendwie verhindern könnte!
Dann war er selbst an der Reihe. Ein Wächter entfernte die Kette von seinen Handgelenken. Er spielte mit dem Gedanken, diesem einen Kinnhaken zu verpassen und doch zu fliehen, aber schon hielten ihn zwei weitere Wächter fest. Einer von ihnen streckte Lucius’ Arm dem Brandeisen entgegen. Er wehrte sich, versuchte sich loszureißen, doch der Griff des Wächters war so hart, dass er es nicht vermochte. Dessen Fingernägel bohrten sich ihm schmerzhaft in die Haut.
Doch das war nichts im Vergleich zu dem anderen Schmerz, der auf ihn wartete. Seine Haut dampfte und es gab einen hässlich zischenden Laut, als der Mann mit der Lederschürze ihm das glühende Brandeisen auf die Innenseite seines linken Handgelenks presste.
Ein sengend heißer Schmerz barst auf seiner Haut, kroch rasch hinauf bis in seinen Oberarm. Das zwang ihn in die Knie und er schrie auf. Tränen traten ihm in die Augen. Einer der Wächter zerrte ihn hoch, was den Schmerz noch verdreifachte. Lucius taumelte, er konnte sich kaum auf den Beinen halten.
Ungläubig starrte er auf das rote „S”, das sich nun auf seinem Handgelenk abzeichnete. Sklave.
Im nächsten Moment wurde er beiseitegezogen, bekam nun von einem anderen Mann Fußfesseln verpasst. Diese bestanden aus einem fast schulterbreiten Eisenstab, an dessen beiden Enden sich Ketten befanden. Letztere schnitten ihm in die Fußgelenke, ein weiterer Schmerz, der aber keine Sekunde lang seine verbrannte Haut vergessen machte.
„Rein da!”, bellte ihn ein Wächter an und deutete auf die Halle. Mit den Fußfesseln musste er breitbeinig gehen und kam nur langsam voran. Lucius stolperte hinter anderen Gefangenen her, die sich wankend vorwärtsbewegten.
In der Halle mussten sie sich in mehreren Reihen aufstellen, während die Wächter sie alle scharf beobachteten. Lucius hatte Mühe, überhaupt stehenzubleiben. Immer mehr Gefangene strömten herein, ihre Bewegungen aufgrund der Fußfesseln unsicher, schwankend. Viele von ihnen weinten, und nicht nur Frauen.
Lucius wischte sich über das tränenverschmierte Gesicht. Wo war Severin? Eine plötzliche Welle von Panik überfiel ihn bei dem Gedanken, dass er den Vetrusier vielleicht nicht wiedersehen würde.
Die Anspannung fiel von ihm ab, als er Severin doch noch bemerkte. Ihre Blicke trafen sich. In Severins Miene erkannte er eine Mischung aus Schmerz und Zorn. Einer der Wächter schubste seinen Leidensgenossen in eine Reihe vor ihm und wandte sich danach einem anderen Gefangenen zu.
Severin sah kurz über seine Schulter, musterte Lucius ein weiteres Mal. Im nächsten Moment machte er zwei Schritte rückwärts und stellte sich direkt neben Lucius, der beiseitetrat, um ihm Platz zu machen. „Vielleicht können wir zusammenbleiben”, murmelte er kaum hörbar.
Lucius nickte wortlos, denn dasselbe hoffte er auch.
IV
Einige Zeit verging, die sie stehend in der Halle warten mussten. Noch immer brannte seine Haut wie die dämonischen Feuer der Unterwelt. Was für eine Demütigung dieses Brandmal doch war! Bis an sein Lebensende würde er damit herumlaufen, auf ewig gezeichnet sein. Aber immerhin war das noch besser, als hingerichtet zu werden … Der Gedanke ließ ihn schaudern und er presste die Lippen aufeinander.
Lucius stand mit verquollenen Augen neben ihm, Spuren aus Staub und Tränen auf den Wangen.
Bei Bellena, wenn ich hier jemals herauskomme, dann … Severin wusste nicht, wohin mit seinem Zorn. Er wollte Rache schwören, doch wem? Dem Tyrannen persönlich? Dem würde er vermutlich niemals gegenüberstehen. Dem Soldaten, der ihm die Gefangenschaft eingebrockt hatte? Er hatte dessen Gesicht gar nicht richtig gesehen, verborgen unter dem Helm.
Dann dieses verdammte Brandmal – am liebsten hätte er sich die verbrannte Haut vom Arm heruntergekratzt, damit dieser elende, rasende Schmerz endlich aufhörte!
Mehrere Männer und Frauen betraten die Halle, die einen deutlichen Kontrast zu den Gefangenen bildeten; ihre Gewänder waren mit prächtigen Stickereien oder farbigen Borten an den Säumen verziert, einige von ihnen trugen silbernes Geschmeide und ihre ordentlich frisierten Haare glänzten wie frisch gewaschen. Trieben diese Leute Sklavenhandel? Oder wollte sie welche kaufen? Zwei Männer folgten ihnen, die etwas bescheidener gekleidet waren, in hellblauen Tuniken, die ihnen bis zu den Knöcheln reichten.
Plötzlich griff Lucius nach seiner unversehrten Hand und drückte fest zu. Severin wechselte einen Blick mit ihm. Der Halbelf sah so elend aus, wie er sich selbst fühlte. Er erwiderte dessen Berührung – vielleicht bot sie seinem Leidensgenossen wenigstens einen Augenblick lang ein wenig Trost. Dann ließ er Lucius’ Hand los und konzentrierte sich wieder auf die Leute, die hereingekommen waren.
Diese nahmen nun die Gefangenen in Augenschein, mit hochmütigen Mienen wanderten sie die Reihen entlang. Einer von ihnen, ein beleibter Mann mit einem graumelierten Bart, verlangte von einer Frau, dass sie den Mund öffnen solle. „Lass mich deine Zähne sehen.”
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