Klaus Liebers
In der Schule von Athen
Platon und Aristoteles – seid gegrüßt!
Erzählung
epubli
Für Käthe
In der Schule von Athen
Klaus Liebers
Copyright: © 2014 Klaus Liebers
published by: epubli GmbH, Berlin
www.epubli.de
ISBN 978-3-8442-9610-5
Ein Weltenbummler der Antike
Im beständig wehenden Zephyr segelte das Schiff den Peloponnes entlang, immer weiter nach Süden, in den Frühling. Ab und zu umkreisten Weißkopfmöwen das Schiff, dann und wann mischten sich Schwarzkopfmöwen darunter. Behäbig glitt der Frachtensegler dahin. Vom erhöhten Deck aus genoss Bootsmann einen weiten Rundblick. Der geräumige Schiffskörper bot viel Raum für sorgfältig gestapelte Amphoren, gefüllt mit Olivenöl und Wein.
Bei dem ruhigen Westwind bereitete es dem Steuermann wenig Mühe, das Schiff auf Kurs zu halten. Dennoch bedurfte es beständiger Aufmerksamkeit und langjähriger Erfahrung. Klippen, Untiefen und Felsnadeln galt es sicher zu umschiffen. Zwei Schoten führten zum großen Rahsegel. Der Bootsführer bediente das Segel zusammen mit einem weiteren Bootsmann – zum Kauf von Sklaven für die Arbeit an Bord reichten die Einkünfte nicht aus. Gesegelt wurde tagsüber, in ständiger Sichtweite zum Ufer oder zur nächsten Insel. Auf diese Weise orientierten sich die Seeleute an markanten Landmarken. Mit Einbruch der Dunkelheit vertäuten die Seefahrer ihre Schiffe in einer der vielen geschützten Buchten. Sie boten sichere, kleine Häfen.
Das Mittelmeer war für die Schifffahrt keineswegs ungefährlich, viele Menschen vertrauten sich den Schiffsherren nur von Mai bis September an. Im Sommer erleichterten regelmäßige Meeresströmungen und stetig wehende Winde die Schifffahrt. Dennoch: Plötzliche Stürme, unvermutet drehende Winde, überraschende Flauten oder unerwartete Nebel bargen viele Überraschungen, konnten Schiffsreisen in langwierige Unternehmungen verwandeln. Doch bei dieser Fahrt fügten sich Wetter und Meer den Wünschen der Seefahrer und den Fahrtzielen der mitreisenden Gäste.
Im Schatten des Segels rekelte sich Platon. Er genoss die leichte Brise. Der Blick auf die in der Ferne vorbeigleitenden Küsten und Inseln bot eine abwechslungsreiche Mischung aus sanft gewellten Hügeln mit Olivenbäumen, schroffen Felsen, dichten Pinienwäldern, schmalen Tälern. Im Hintergrund krönten steil aufschießende Bergketten all diese Landschaften.
Von Zeit zu Zeit schweifte Platons Blick zum Himmel. Er erfreute sich an den zahlreichen kleinen Wolken – sie formten sich zu Figuren aus den Heldensagen von Hesiod und Homer, lösten sich wieder auf, gaben Raum für neue Phantasiegebilde und verschwanden erneut. Wieder und wieder wog Platon in Gedanken die Ziele seiner Reise ab. Welche Erwartungen trieben ihn an? Welche Hoffnungen hegte er? Am meisten kreisten seine Grübeleien um eine gerechtere Verfassung für seine Heimatstadt Athen. Welche Rechte und welche Pflichten sollten die Bürger erhalten? Sollte das politische Leben weiterhin allein Männern vorbehalten bleiben? Warum sollten Athener Frauen nicht gleiche Rechte erhalten wie Männer? Allerdings nur Frauen wie Männer, die von Athener Eltern geboren waren. Völlig außerhalb seines aristokratisch geprägten Denkens blieb die bloße Möglichkeit einer Einschränkung der Sklaverei und erst recht deren Abschaffung.
Schon damals kannte man die drei Wege zum Reichtum: Arbeit, Erbschaft, Steuerhinterziehung. Die Verfassung müsste der menschlichen Gier nach Reichtum Schranken setzen – doch wie könnte das gehen? Diese Frage beschäftigte Platon ganz besonders. Welche Idee sollte einem gerechten Staat zugrunde liegen? Wie könnte Athen verhindern, dass Ungebildete oder Maßlose in Ämter gewählt werden? Wie könnte sich die Stadt gegen Feinde schützen?
Platon war in eine Familie hineingeboren, die in der Athener Aristokratie eine angesehene Stellung einnahm. Wie andere Familien der Oberschicht lebten seine Eltern selbstbewusst, zeigten ihren Reichtum in hohen ästhetischen Ansprüchen.
In den Villen der Adligen öffneten sich alle Räume auf einen Hof. Diesen schmückten erlesene Skulpturen und marmorne Brunnen. Wandgemälde mit Motiven aus der Welt der Musen des Apollon verzierten die Räume. Kunstvoll bemalte Vasen im schwarzen athenischen Stil, einige auch im roten korinthischen Stil, verschönten die Wohnräume. Die Bildprogramme der Vasen entnahmen die Künstler den Götter- und Heldensagen. Auch das Alltagsleben der Menschen stand Pate für zahlreiche Motive. Beliebt waren Liebesszenen, Weingelage, Sportwettkämpfe oder die Ernte von Oliven. Bis in jene Zeit geht das Wort zurück, jemand sei „gut betucht“. Stoffe gehörten zu den wertvollsten Gebrauchsgegenständen, die eine griechische Familie besaß. Durchsichtige Kleider ließen die Schönheit der weiblichen Körper mehr als nur erahnen. Gut bezahlte Privatlehrer übernahmen die Ausbildung der Kinder.
Die aristokratischen Familien verachteten jede Art körperlicher Arbeit. Diese verrichteten Haussklaven. Sie gruben, pflanzten und ernteten im Garten, trugen die von den Frauen auf dem Markt gekauften Lebensmittel nach Hause, schöpften Wasser aus städtischen Brunnen, bereiteten die Speisen zu – kurzum: Die Haussklaven hielten in Haus und Hof das Leben in Gang. Die Lage der Haussklaven war ein Vielfaches besser als die Hölle jener Sklaven, die sich in Bergwerken zu Tode schuften mussten. Woher die Sklaven kamen? Die Aristokratie wählte ihre Haussklaven aus den auf dem Markt zum Kauf angebotenen Kriegsgefangenen aus.
Platon kam als jüngstes Kind von vier Geschwistern zur Welt, nach der wahrscheinlichsten Rechnung im Jahre 427 v.Chr. Dieses Jahr könnte es gewesen sein – muss es aber nicht. Bei vielen Jahresangaben aus der griechischen Antike können sich die Forscher nicht auf ein Datum einigen – es sei denn, das Ereignis fiele nachweislich mit einer Mond- oder Sonnenfinsternis zusammen. Deren Datum können Astronomen noch heute exakt berechnen. Des Weiteren dienen Aufzeichnungen der Olympischen Spiele zum Bestimmen von Daten auch unsichere, sich durchaus widersprechende Aussagen über persönliche Begegnungen von Politikern werden herangezogen. Die Olympischen Spiele waren viel mehr als nur sportliche Wettkämpfe zu Ehren des Göttervaters Zeus. Sie dienten als politische Foren, zu denen Herrscher und Abgesandte aus allen Teilen der griechischen Staatenwelt anreisten. Neben den Sportwettkämpfen beeindruckten die Spiele mit vielseitigen Unterhaltungsprogrammen: allen voran mit Theateraufführungen, Volksfesten und Märkten. Aus später angefertigten Siegerlisten konnten Historiker Verbindungen zwischen bestimmten Ereignissen und berühmten Sportlern herstellen und so unsichere historische Ereignisse mit einem etwaigen Datum versehen.
Platons Mutter Perikone leitete ihr Geschlecht von einem Verwandten Solons ab. Dieser Staatsmann war etwa 640 v.Chr. in Athen geboren und vermutlich um 560 v.Chr. gestorben. Solon hatte Athen eine neue Verfassung gegeben. Die Familie von Platons Vater Ariston berief sich sogar auf die Abstammung von König Kodros. Als Bauer verkleidet war der König 1068 v.Chr. in das Lager der dorischen Krieger gegangen und hatte die Feinde so lange gereizt, bis sie ihn erschlugen. Warum sich Kodros dazu entschlossen hatte? War er lebensmüde gewesen? Nein! Ein Orakel band den Sieg Athens an den Tod des Königs. Deshalb hatte sich König Kodros geopfert. Mit seinem Freitod endete das Königtum in Athen.
In frühester Kindheit verlor Platon seinen Vater. Als die Mutter erneut heiratete, war Platon noch ein Kind. Wie alle Söhne aus vornehmen Familien genoss der hochbegabte Knabe eine sorgfältige Ausbildung. Privatlehrer unterrichteten den Jüngling in Sport, Grammatik, Rhetorik, Malerei und Dichtung. Bei einem Kitharaspieler lernte er, auf einer Leier zu spielen. Platons Familie nahm regen Anteil an der Politik der Republik Athen. Seiner Herkunft nach strebte Platon in jungen Jahren eine politische Laufbahn an.
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