»Du! Oh, du!« Pepperoni war mit einem Satz vom Waschbecken auf den Boden gesprungen. Nun sah sie wütend auf Paddy herab.
»Giftiges Insekt, du!«
Mit der offenkundigen Absicht, dem frechen, kleinen Kaktus eine Lektion zu erteilen, hob sie drohend ihre Pfote. Blitzartig fuhr Paddy seine goldgelben Stacheln aus, und Pepperoni schreckte zurück.
»Warte nur, Zwerg! Irgendwann krieg ich dich schon!« versetzte die Katze und stolzierte hoch erhobenen Hauptes und mit wehenden Barthaaren auf die verschlossene Haustür zu.
»Hört endlich auf zu streiten!« sagte Emma und schritt entschlossen an den beiden vorbei. Sie öffnete die Haustür und blickte hinaus. Eine fast magische Stille lag über der schneebedeckten Landschaft. Pepperoni nutzte die Gelegenheit und schlüpfte an Emma vorbei ins Freie. Draußen angelangt, fuhr die vor Schreck ganz weiß gewordene Peppi ihre Krallen aus, um ihre unerwartete Rutschpartie abzubremsen. Buckelnd und fauchend schlitterte sie auf ihrem schneeweißen Hinterteil die vereiste Auffahrt hinab.
»Iiiiiih! Ist das kalt!« hörten Emma und Paddy sie kreischen. Emma griff sich geschwind den Hausschlüssel, schubste Paddy, der seine Stacheln wieder eingefahren hatte, durch die Tür hinaus in den Schnee, und beide rannten Pepperoni hinterher.
»Ist dir auch nichts passiert?« fragte Emma besorgt, als sie die Katze eingeholt hatte. Doch Pepperoni, die vor Ärger gleich wieder grün geworden war, hatte sich längst aufgerichtet. Sie zog die Augenbrauen empor, ganz so, als sei gar nichts geschehen.
»Bloß ein unbedeutendes Malheurchen«, säuselte sie, um von ihrer alles andere als grazilen Landung im Schnee abzulenken. »Wollen wir nun ein wenig gymnastiziiiieren?« Paddy war den beiden atemlos hinterhergeeilt. Mit seinen kurzen Beinchen hatte er Mühe, sich im Schnee fortzubewegen, und so war er in einigem Abstand hinter Emma zurückgeblieben. Nun erreichte er die beiden gerade noch rechtzeitig, um Pepperonis Bemerkung angemessen zu kommentieren:
»Ach, gymnastiziiiiiieren nennen wir das?« übertrieb er mit gespitzten Lippen. »Du meinst wohl ›herumstolzieren und unverheiratete Kater anbaggern‹, ist es nicht so, Eisprinzessin?!«
Pepperoni beschloß, diese unwürdige Bemerkung nicht zu beantworten und Paddy statt dessen für den Rest des Tages mit Nichtachtung zu strafen. Aufrecht, das hübsche Näschen hoch in die Luft erhoben, schritt sie mit elegantem Hüftschwung den anderen voraus in die Winterlandschaft.
Etwa eine halbe Stunde lang waren die drei durch den Schnee gestapft bzw. gehüpft, denn Paddy mußte sich springend und hüpfend fortbewegen, um nicht mit seinen kurzen Wurzelfüßchen im tiefen Schnee steckenzubleiben, da begann Emma unvermutet zu weinen. Mitten im eisigen, schneebedeckten Wald war sie stehengeblieben, denn ihre Augen hatten sich mit Tränen gefüllt. Pepperoni war bereits vorausgelaufen und hinter einer kleinen Anhöhe verschwunden. Der kleine Paddy aber hatte Mühe, Emma zu folgen. Durch die anstrengende Hüpferei war er ziemlich aus der Puste geraten, und als er Emma endlich einholte, bemerkte er zu seiner Bestürzung ihre großen, blauschimmernden Tränen, die, zu winzigen Eisperlen gefroren, wie ein salziger Hagelschauer zu Boden fielen.
»Emma! Du weinst ja!« rief der kleine Kaktus besorgt aus, während er hektisch hin und her hüpfend den herabfallenden Eistränen auszuweichen versuchte. »Was ist denn nur geschehen?!«
»Ach«, schluchzte Emma leise, »es ist ... Mama und Paps ... Ich weiß es ja auch nicht ...«
»Was denn bloß?« fragte Paddy bestürzt.
»Ich glaube ... Ich fürchte, sie werden mich fortschicken ...« brachte Emma weinend hervor.
»Abbaabbaabba, wieso denn das?« stammelte Paddy, »woher ... wie kommst du plötzlich darauf?«
»Ich weiß es nicht genau ... Es ist ... eine Ahnung, vielleicht ist es aber auch mehr als das ...« druckste Emma verzweifelt, während Paddy, auf der Flucht vor dem eisigen Tränenhagel, wie ein kleiner, grüner Schneeball vor ihren Füßen auf- und niederhüpfte.
»Emma, bitte hör doch mal ...« japste Paddy in den Pausen zwischen Emmas Schluchzern. »Bitte, hör mir doch zu! Nimmst du mich auf deine Schulter? Ich kann nicht mehr.« Das Mädchen lächelte traurig, hob den kleinen Kaktus vom schneeweißen Boden auf und setzte ihn sich auf die Schulter.
»Ach, Emma, deine Eltern streiten sich, seit du denken kannst. Wieso sollten sie dich ausgerechnet jetzt fortschicken, hm?«
»Weil ... nun, vielleicht gibt es keinen richtigen Grund. Aber in der letzten Zeit, da habe ich immer wieder denselben Traum gehabt ...«
»Aber Träume haben doch gar nichts zu bedeuten. Sie haben mit dem wahren Leben nichts zu tun«, unterbrach Paddy.
»Ich weiß nicht, Paddy, manchmal sehe ich in meinen Träumen klarer als im wirklichen Leben. Glaubst du nicht, daß Träume doch eine Bedeutung haben können?« fragte Emma hilflos.
»Also, ich weiß es wirklich nicht ... na ja, wenn überhaupt, dann bedeuten nur die guten Träume etwas. Alpträume sind Schäume! Du solltest sie schnell vergessen. Was genau hast du denn geträumt?«
»Ich habe geträumt, daß Mama und Paps sich einen Sohn gewünscht haben. Ich erfülle ihre Erwartungen nicht. Deshalb streiten sie sich ständig. Ich glaube, sie waren immer schon ein bißchen enttäuscht, weil ich nur ein Mädchen geworden bin.«
»Das ist doch Unsinn!« meinte Paddy. »Deine Eltern sind wahrscheinlich so sehr mit sich selbst beschäftigt, daß sie sich gar nicht mehr miteinander beschäftigen können. Aber das kann ja nicht ewig so weitergehen.«
»Du meinst, sie schieben ihre Probleme vor sich her, statt nach einer Lösung zu suchen?« schniefte Emma.
»Vielleicht. Das ist eben das einfachste. Wenn man sich ordentlich anschreit, braucht man sich nicht über das Wesentliche zu unterhalten.«
»Na ja. Womöglich hast du ja recht, und es war wirklich es nur ein ganz dummer Alptraum. Hast du auch manchmal böse Träume, Paddy?« erkundigte sich Emma, während sie in ihrem Mantel nach einem Taschentuch suchte.
»Nein, nie! Ich träume immer, daß ich Pepperoni in die hoch erhobene Nase piekse! Das ist wohl eher ein Wunschtraum, oder was meinst du?!« sagte Paddy verschmitzt.
»Ach, ihr zwei! Daß ihr dauernd streiten müßt!« Emma schüttelte den Kopf und lächelte.
»Halb so wild. Was sich frißt, das liebt sich! Eigentlich ist die kleine Zicke ganz in Ordnung. Ich kann sie bloß nicht besonders gut leiden«, verriet Paddy gelassen.
»Wo ist sie überhaupt abgeblieben? Ich sehe sie nicht mehr!« Auf Emmas Stirn zeichnete sich eine sorgenvolle Falte ab.
»Die wird sich ’nen Schneekater gesucht haben, den sie ein bißchen auftauen kann!« frotzelte Paddy.
»Pepperoni!« rief Emma laut in den Wald hinein. »Pepperooooni! Wo steckst du?«
»Wenn du ihr unbedingt hinterherlaufen willst, dann sollten wir einfach ihrer Spur folgen«, philosophierte Paddy altklug. Emma sah zu Boden und erblickte Pepperonis Pfotenabdrücke auf der dicken Schneedecke. Die beiden folgten den kleinen Tatzenspuren bis zu einer Anhöhe, nach der sich der Weg gabelte. Der Schnee wurde immer tiefer und dichter, je weiter sie in den Wald vordrangen. Emma rief wieder und wieder Pepperonis Namen, doch die Katze blieb verschwunden. Als Emma ihren Schritt beschleunigte, griff Paddy ahnungsvoll nach einer ihrer Haarsträhnen. Als das Mädchen zu laufen begann, purzelte Paddy auf und ab, so daß er Mühe hatte, sich auf Emmas Schulter zu halten. Hilflos hüpfte er hin und her, kreuz und quer, bis ihm ganz schwindelig wurde. Die besorgte Emma lief schneller und schneller durch den Schnee. Sie bemerkte kaum, daß Paddy sich in ihrem Haar festklammerte und dabei unsanft durch die Luft geschüttelt, gerüttelt und geschleudert wurde. Wie ein kleiner Stacheltarzan in den Lianen hing der arme Paddy in Emmas dichtem Haar.
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