Carola Prigge
Im Banne von Felsen und Geistern: Eine Reise durch Utah
Literarisches Tagebuch
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel Carola Prigge Im Banne von Felsen und Geistern: Eine Reise durch Utah Literarisches Tagebuch Dieses ebook wurde erstellt bei
19. April
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Impressum neobooks
Im Flugzeug nach San Francisco
Im Flugzeug nach San Francisco, in dem wir eigentlich gar nicht sitzen wollen ... eingezwängt zwischen fremde Menschen ... bessere Plätze gab es nicht mehr. Wir fliegen auf einem Umweg nach Salt Lake City – statt über Chicago reisen wir über San Francisco – ein Flug, der drei Stunden länger dauert, weil der ursprüngliche Flug über Chicago wegen Unwetter gestrichen wurde. Wie soll ich unsere Stimmung beschreiben? H hat noch nicht eine Zeile gearbeitet, wie er es sonst immer im Flugzeug macht ... stattdessen hat er ungeduldig und heftig auf dem Monitor in der Rückenlehne des Vordersitzes herumgedrückt, um sich zeigen zu lassen, welche Serien sie hier im Programm haben. Dafür hat er sich in den 25 Jahren, die wir nun schon zusammen verreisen, noch nicht ein einziges Mal interessiert. Bei mir funktioniert nicht einmal das ... aus meinen Kopfhörern kommt kein Ton. Mit viel Glück hat die Flugbegleiterin es gerade einmal hinbekommen, mein Leselicht einzuschalten ... ausschalten kann ich es alleine nun aber nicht mehr ... was für eine Pleite. Na ja, wenigstens sitzt nicht der schwitzende dicke Mann neben mir, den ich im Wartebereich gesehen hatte. Damit hatte ich bei unserem Glück nämlich eigentlich ganz fest gerechnet ...
Gut, dass ich nicht mehr an Zeichen oder Omen glauben will ... sonst hätte ich jetzt das Gefühl, dass mit solch einem Start die Reise unter einem schlechten Stern stehen muss.
Jetzt ärgere ich mich, dass ich mich nicht in meine Arbeit flüchten kann. Im Gegensatz zu H habe ich meine Arbeit nämlich zu Hause gelassen. Ich hatte mich wieder dem Aufsatz über das Einkaufen in Amerika und im Allgemeinen zugewandt, an dem ich immer wieder einmal sitze und mit dem ich nicht richtig weiterkomme ...
Ich könnte mir ja Dwights Text vornehmen, den ich lesen und kommentieren soll, er steckt über unseren Köpfen in meinem Rucksack im Gepäckfach. Aber ich habe keine Lust. Und wenn mein Aufsatz auch da irgendwo stecken würde, hätte ich wahrscheinlich ebenso wenig Lust, ihn mir vorzukramen. Das denke ich jetzt nur, weil es sowieso nicht geht. Es ist eine Situation, in der einem nichts hilft, in der man nur wütend auf dem Monitor vor sich herumdrücken kann ... wenn man es kann, so wie H ... ich kann das natürlich nicht ... ha, ha, nicht einmal das. Ich hoffe wirklich, dass der Flug schnell ein Ende hat, aber sobald ich das denke, dehnt er sich natürlich spontan noch weiter aus. Manchmal frage ich mich, ob sich diese Beschwerlichkeiten wirklich lohnen. Wieso verreisen wir eigentlich so gerne?
Ich nehme mir die Reiseführer vor, um mich auf Salt Lake City einzustimmen. Es sieht nicht danach aus, als ob diese Stadt kulturell allzu viel zu bieten hätte ... die Hauptstadt der Mormonen. Als wir meinen Eltern erzählten, dass wir nach Salt Lake City reisen würden, rückte mein Vater auf einmal mit der Information heraus, dass eine entfernte Verwandte von uns dort leben müsste, wenn sie noch lebt. Da habe ich zum ersten Mal erfahren, dass ich immer schwindele, wenn ich bei der Einreise in die USA ankreuze, dass ich keine Verwandten in den Staaten habe. Eine Großcousine meiner Großmutter ist in den 20er Jahren nach Salt Lake City ausgewandert und hat dort einen Mormonen geheiratet ... und mein Vater konnte sogar eine Postkarte aus einem alten Schuhkarton im Keller hervorkramen, die diese Großcousine einmal meiner Großmutter geschrieben hatte. Auf der Karte ist der Tempel von Salt Lake City zu sehen. Das absolute Zentrum der Stadt, wie ich im Reiseführer lese. Dort beginnt die Nummerierung der Straßen, von diesem inneren Referenzpunkt aus steigen in alle Himmelsrichtungen nach außen gehend die Nummern der Straßen an. Ich kann mir gar nichts unter einer Mormonenstadt vorstellen. Eine Sache scheint auf jeden Fall nicht mehr zuzutreffen ... das staatliche Alkoholverbot gibt es wohl schon seit einiger Zeit nicht mehr. Eines der ersten Dinge, auf die der Reiseführer hinweist. Auch interessant.
Das kleine Kind schräg vor uns hat noch keine fünf Minuten Ruhe gegeben. Die Eltern tun mir leid, und nerven tut es auch.
Ich lege den Reiseführer wieder beiseite. Nehme mir den Roman von Michael Cunningham vor, The Hours , den ich gerade lese. Ein wunderbarer Roman, der mich begeistert und natürlich neidisch macht ...
Vorgestern habe ich das Manuskript meines kleinen Romans, der natürlich überhaupt nicht mit The Hours konkurrieren kann, an zehn große Verlage geschickt ... und seitdem sage ich mir, dass ich mir keine großen Hoffnungen machen will, was natürlich genauso gut funktioniert, wie darauf zu hoffen, dass der Flug schneller vergeht.
Noch 3 Stunden und 43 Minuten bis San Francisco. Ein bisschen durch die Gegend geguckt ... und schon sind es nur noch 3 Stunden und 28 Minuten bis San Francisco ... haha.
Zufälle? Zeichen? Omen? Ich wollte mir die Leserei von Zeichen doch ganz abgewöhnen ... das habe ich mir auch heute Morgen im Auto zum Flughafen, als der Himmel langsam rot wurde, noch einmal ganz eindringlich selbst gesagt. Vor vielen Jahren wartete ich einmal auf den Anruf eines Arztes. Ich saß am Schreibtisch am Fenster mit Blick über die Dächer, vor mir das Telefon. Der Himmel hinter den Dächern verfärbte sich feuerrot, es war der Sonnenuntergang. Und mir wurde angst und bange. Das Himmelsrot war für mich wie ein Zeichen, ein Vorbote von schlechten Nachrichten, die der Arzt dann auch tatsächlich für mich hatte, und seit diesem Tag beschleicht mich ein unheimliches Gefühl, wenn der Himmel sich rot verfärbt. Und weil ich das schade finde, dass ich ein Morgen- oder Abendrot nicht mehr so richtig genießen kann, sondern mir bei jedem Sonnenuntergang auch ein bisschen mulmig ist, deswegen habe ich vor längerer Zeit beschlossen, mit dieser Zeichenleserei aufzuhören ... denn in Wirklichkeit hatte der Himmel nichts mit meiner Krankheit zu tun ... an diesem selben Abend haben wahrscheinlich viele Menschen in dem Sonnenuntergang sogar ein gutes Omen gesehen, was sich ebenso erfüllte ...
Aber wenn sich erst einmal in unseren Köpfen etwas festgesetzt hat – jedenfalls musste ich mir das am heutigen Morgen noch einmal ganz fest vornehmen, nicht an solchen Mist zu glauben ... und ich sagte mir, nun sieh hin, wie schön der rote Morgenhimmel leuchtet ...
Und jetzt? Was lese ich in The Hours ?
„ Ich habe unterwegs einen Filmstar gesehen,“ sagt Clarissa. „Das ist vielleicht ein gutes Zeichen, meinst Du nicht?“ Richard lächelte wehmütig. „O ja, die Omen,“ sagte er. „Glaubst Du daran? Meinst Du, wir werden so sehr beachtet? Meinst Du, man macht sich solche Sorgen um uns? Je, wäre das nicht wunderbar? Na ja, vielleicht ist es ja so.“
Wollen das Schicksal oder irgendeiner mich umstimmen??? Oder was soll das, dass ich gerade jetzt diese Zeilen lese??? Unglaublich, oder? Ich glaube aber, dass es nicht so ist. Die Zeichen- und Omenleserei macht einen nur kirre. Es ist doch nur der klägliche Versuch, die Zukunft zu lesen oder zu beschwören .
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