Man sieht also Penner und Brautpaare ... ist jetzt natürlich total übertrieben ... aber ein bisschen entspricht das meinem Gefühl ... geheiratet wird öffentlich, und dann tauchen die Leute ab ...

Kirschblüten vor dem Tempel-Distrikt, Salt Lake Ciyt, Utah
Aber ich war ja eigentlich dabei, von unserem Besuch der West Side Story zu berichten. Zuerst waren wir ein bisschen enttäuscht von der Aufführung, weil es so klang, als ob die Sänger und Sängerinnen Mikros trugen und die Stimmen verstärkt aus den Lautsprechern kamen, was dem Ganzen eine unnatürliche Atmosphäre gab ... das war ein bisschen schade ... aber insgesamt war es trotzdem sehr schön.
Die West Side Story wird ja als Mutter des Musicals bezeichnet. Und sie ist auch wirklich etwas Besonderes. Auch wir waren verzaubert ... von der Choreographie, dem Schauspiel und der Musik ...
Die West Side Story war zu ihrer Zeit eine moderne Version von Romeo und Julia . Hier heißen die unglücklichen Liebenden Tony und Maria. Tony hatte in unserem Stück kurze schwarze lockige Haare ... und Maria eine richtige schwarze volle Mähne, wie sie sich nicht nur ein puertoricanisches Mädchen nur wünschen kann. Tony gehört zu der Gang der US-amerikanischen Jets, während Marias Brüder zu den puertoricanischen Sharks gehören. Es geht um den Bandenkrieg und um die Liebe, die nicht sein darf, weil es eine unüberbrückbare ethnische und moralische Kluft gibt.
Als ich Kind war, sah ich den Film West Side Story zum ersten Mal. Damals dachte ich, dass solche albernen Schranken heutzutage überwunden sind. Es kam mir wie ein Märchen aus alter Zeit vor, durchaus vergleichbar mit den Grimm’schen Märchen. Dabei war der Film damals noch gar nicht so alt und die ganze Geschichte dahinter auch nicht. Im Gegenteil, es war wahrscheinlich noch ziemlich aktuell, unglaublich.
Tony hat nicht ganz so gut gesungen, oder die Akustik war für seine Stimme nicht gut, Maria dagegen war wunderbar. Ihre Stimme verursachte mir Gänsehaut, zum Beispiel als sie I Feel Pretty sang. Auch Tonight war natürlich total anrührend.
Aber am besten haben mir die Tanzszenen gefallen ... besonders, wie die Straßenkämpfe dargestellt wurden ... wie die Männer aus den beiden Gangs sich in den beiden Gruppen sozusagen antanzten, zu diesen schnellen Rhythmen und mit den kraftvollen maskulinen Bewegungen, das Angreifen, Springen ... alles so kraftvoll ... und trotzdem sah es leicht aus. Manchmal flogen sie ja auch förmlich in die Luft, also, sie sprangen natürlich ... dass man Männlichkeit und Aggressivität im Tanz so ausdrücken kann, hätte ich nicht gedacht. Sie trugen graue Anzughosen ... manchmal Hemden, mit Krawatten sogar, manchmal auch nur Feinripp-Unterhemden, die, wie die heutigen Achsel-Shirts, die runden glatten Oberarmmuskeln betonten ...
Aber auch die Frauen tanzten wunderbar ... in den weiten, bunten Röcken, die sich auffächerten oder hochflogen. Maria mit ihrem hellen Kleid, mit dem weiten, schwingenden Rock, wie man es aus den 60er Jahren kennt ... das fast wie ein Brautkleid aussah ...
Es war also eine traditionelle Aufführung ... Broadway Across America ... nach Originalmusik, Originalsetting und Originalchoreographie ... ein echter Klassiker. Die grauen Anzughosen, Strickpullunder und Schlipse und die weiten schwingenden Röcke versetzen uns dann auch richtig in die 60er Jahre ...
Und es war schon eine richtig schöne Show ... was die Darsteller und Darstellerinnen alles können ... Singen und Tanzen und Schauspielen ... da kann man nur neidisch sein. Und die Musik ist natürlich schön, ohne dabei kitschig zu sein, und sie bringt mich sogar zum weinen. Am schönsten ist natürlich I Like to Be in America . Und dieses Stück bekommt auch den größten Applaus ... wegen des Textes oder wegen des Vortrags??? Das wird mir nicht ganz klar.
Erschreckend ist die Erkenntnis, wie wenig dieses Stück an Aktualität verloren hat. Als ich Kind war, waren diese Konflikte zwischen ärmeren Amerikanern und zugewanderten Puertoricanern wahrscheinlich sogar noch richtig aktuell ... und heute??? Was weiß ich denn darüber? Nicht mehr, als dass Menschen aus Puerto Rico heute „richtige“ Amerikaner sind und dass Puerto Rico zum Staatsgebiet der USA gehört, ohne aber Bundesstaat zu sein ... aber dass bestimmte Barrieren, wie die der Sprache und der Kultur immer noch existieren ... dass es solche Feindschaften nicht mehr gibt, darauf würde ich auch nicht wetten ... und dann gibt es ja noch andere Konflikte, die diesem alten sehr ähnlich sein können ... in Amerika mit den Mexikanern ... bei uns mit den Türken ... oder auch mit all den anderen Flüchtlingen aus allen Teilen der Welt ... ein bisschen wird Amerika in der West Side Story idealisiert ... aber was will man dagegen sagen? In den Ländern, wo diese Menschen herkommen, sieht es eben für sie auch nicht so gut aus, wirtschaftlich oder politisch, und inwieweit das nun wieder die Schuld Amerikas ist oder der kapitalistischen Welt – wer will das schon sagen ... die alleinige jedenfalls wohl ganz sicher nicht. Na ja, jedenfalls sind diese Einsichten ziemlich erschreckend ... und am Ende sind viele tot.
Jetzt müsste ich eigentlich einmal vom Pioneer Museum erzählen. Doch werde ich mich jetzt lieber auf den Rückweg machen und noch ein bisschen einkaufen, Obst und Bier.
Ich sitze hier gerade im Kräutergarten, und zu beiden Seiten meiner Schaukel beginnt der Hopfen zu wachsen ... er erinnert mich an den Hopfen, der früher die Terrasse meiner Großeltern umrankte, der wuchernde dunkelgrüne Hopfen. Je älter man wird, desto mehr Dinge gibt es, an die man sich erinnern kann. Eindrücke zu haben, ganz frische, die nicht mit Erinnerungen oder alten Gefühlen verknüpft sind, gibt es nur noch selten. Wie hätte wohl dieser Hopfen auf mich gewirkt, wenn ich ihn nicht jeden Sommer meiner Kindheit bei meinen Großeltern so sattgrün hätte wuchern sehen? Dieser kleine sprießende Hopfen hier hat sich zwischen zwei Betonplatten durchgequetscht – das kann der Hopfen gut – so wie sich auch die Erinnerungen überall hindurchbohren können.
Das Einkaufen macht mich wieder sehnsüchtig nach unserem früheren Leben in Amerika. Und einkaufen zu gehen, gibt mir etwas zu tun, eine Aufgabe, während H auf dem Kongress ist ... aber eigentlich sollte ich lieber etwas schreiben. Das ist mein Problem, dass ich meine eigene Arbeit nicht ernst nehme, sondern erst das Gefühl habe, etwas geleistet zu haben, wenn ich eingekauft, geputzt, gewaschen oder gekocht habe. Traurig, aber wahr. Der Engel im Haus ist nicht kaputt zu kriegen.
Okay, das Pioneer Museum. Wieso bin ich nur immer so müde? Ich hoffe, dass wir heute Abend alleine essen gehen. Mit Peter und Dirk war es gestern Abend streckenweise ganz schön langweilig, weil sie die ganze Zeit über die Arbeit reden ...
Wieder so eine Ungerechtigkeit. Als wir im Herbst in Durham waren und unser Freund Dwight uns besuchte, der auch Schriftsteller ist, und er und ich uns übers Schreiben und seine Tücken unterhielten, bekam er sofort ein schlechtes Gewissen, weil H bei diesem Gespräch ein bisschen ausgeschlossen war, ausnahmsweise in die Zuhörerposition gedrängt, die einem Professor naturgemäß nicht wirklich liegt ... also, Dwight war es so unangenehm, dass wir nicht alles zu Ende diskutierten. Aber glaubt mal ja nicht, dass Dirk oder Peter auf den Gedanken gekommen wären, dass ich mich langweilte oder ausgeschlossen fühlen könnte. Und H? Auch nicht. Ich muss besser lernen, für mich selbst zu sorgen ... auch nicht neu ...
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