1 ...6 7 8 10 11 12 ...33 Liebe Elisabeth: bete für mich! Ich glaube, unser gütiger Gott hat mich nun endgültig verlassen. Wir haben unser Ziel hier an der Küste von Panama nicht erreicht, wir haben verloren. Ich glaube, mein Stern sinkt, mein Ruhm verblasst. Ich bin sehr verzweifelt. Halte Dich künftig immer an die Königin, wenn Du Probleme hast. Sie wird Dich, unser Kind und unser Haus beschützen. Ich bin dann sehr weit fort von Euch . . .
Heute Morgen habe ich Gott verflucht, habe ihm meine Traurigkeit vor die Füße geworfen. Vielleicht war das falsch, aber ich spüre, wie ich schwach werde. Vielleicht war dieser Ausbruch ein letztes Aufbäumen, ein Schrei der Verzweiflung. Ich spüre den nahenden Tod, vor dem ich nie Angst hatte. Wir lachten über Freund Hein, machten unsere Witze über den Mann mit der Sense. Nun schreitet er suchend über mein Schiff. Der treue John hilft mir, so gut er kann. Ich sehe die Krankheit nicht als Strafe für meine Taten, meine Raubzüge, nein, so denke ich nicht. Ich hätte vielmehr zu Hause - bei Dir! - bleiben sollen! Mein Geburtstag – ohne Dich. Weihnachten – Ohne Dich. Ohne Dich. . .
Grausame Einsamkeit! Nun bin ich in der Karibik und sterbe langsam aber sicher vor mich hin. Ich habe das Gefühl, dass ich verfaule wie ein alter Braten. Das Schreiben macht mir letzten Mut, es lenkt mich ein wenig ab, obwohl ich Probleme mit den Augen bemerke. Mein Atem geht heute schwer, mal läuft mir der Schweiß in Bächen von der Stirn, mal friere ich sogar in der Karibiksonne. Unser treuer John kümmert sich mit Hingabe um mich, sein trauriges Gesicht verheißt nichts Gutes. Er weiß, wie es um mich steht. Ich verfluche die Abwesenheit von Dir – und unserem Kind. Der Gedanke macht mich verrückt, macht mich rasend. Ich glaube, ich spinne langsam. Meine Liebe zu Dir wird mit meinem Tod nicht aufhören, denke daran, Liebes. Ich wollte immer eine Familie haben, nun erlebe ich dieses Glück nicht mehr. Man sagt ja, glückliche Familien seien alle gleich langweilig, die unglücklichen unterschiedlich und damit interessanter. Ich bin da anderer Meinung: Meine Familie, meine Eltern und meine Geschwister, waren nie glücklich, sie glaubten das Glück durch ihren strengen Glauben gefunden zu haben – das war es aber auch schon. Es war ein Irrtum. Ich suchte mir damals mein eigenes, kleines Glück: Ich wurde als Kind schon zu einem Händler, ich verkaufte gesammelte Wildblumen an den Markteingängen, sammelte im Wald Eicheln, die mir die Schweinebauern abkauften, erntete mit Hilfe eines großem Holzkamms Wacholderbeeren, die ich in den Destillen anbot, wo sie zu Schnaps verarbeitet wurden. Ich tat das, um voran zu kommen . . . doch ich weiß heute: Ein Gentleman wird man erst in der dritten Generation!
Ich muss wieder geschlafen haben. Ist das schon der kleine Tod, von dem Homer sprach? Welcher Tag ist heute? Die Sonne geht am Horizont unter und hüllt den Himmel in ein gelbrotes Inferno. Wie schön unsere Welt doch sein kann! Oder ist es schon das böse Omen für einen neuen Weltenbrand? Unsere Flotte ist stark geschrumpft. Wir sollten heimkehren . . . Elisabeth, wir haben keinen Erfolg. Drake, der Versager! Das werden sie nun sagen, schreiben, berichten. Vielleicht verfluchen sie mich auch. Doch mich quält die Frage: Was wird aus England? Werden diese egoistischen Eliten, die nur an sich und ihren Wohlstand denken, das große Ganze aus den Augen verlieren? Bleibt die Königin stark genug, ihre, unsere Pläne zu verwirklichen? Wichtig ist vor allem, erinnere die Königin immer daran: Wichtig ist die absolute Vorherrschaft auf den Weltmeeren. Beherrschen wir die Ozeane, beherrschen wir die Kolonien. Sage diesen Satz ihr immer wieder, immer wieder . . . Nur so können wir die größte Weltmacht der Neuzeit werden, größer als Rom!
Ich vermisse Dich sehr, liebe Elisabeth! Ich vermisse Dein Lachen, Deine heilenden Hände und Dein Wissen über die heilenden Kräfte der Natur, die ich jetzt nötig hätte. Das Schreiben fällt mir heute sehr schwer. Ich trauere um einen weiteren Freund: Unser treuer Mestize Fernando ist gestern Abend verstorben. Ich bin sehr deprimiert. Seine letzten Worte haben mir gezeigt, was Freundschaft auch mit Menschen aus anderen Kulturen bedeutet. Er sagte: „Kapitän, Du hast mein Leben verändert, bereichert und bestimmt. Ich danke Dir dafür. Aber grüße Deine Frau, die schöne Lady Drake, den Engel von Buckland, dort, wo ich meine neue Heimat fand. Dort, wo ich mich wohl gefühlt habe und glücklich gewesen bin, dort, wo ich ein Mensch sein konnte. Kein Indio, kein Mestize, kein Sklave, kein Kuli.“ Dann starb er friedlich - mit einem Lächeln auf den Lippen.
Ob wir uns wiedersehen, liebe Elisabeth, weiß ich nicht. Vielleicht im Himmel . . . John McFinn, dieser bärige Schotte, ist noch wohlauf, kümmere Dich bitte um ihn, wenn er wieder wohlbehalten nach England zurückgekehrt sein sollte. Wenn Treue einen Namen hat, dann ist es der von John McFinn. Schenke ihm ein Schiff, mit dem er in seine schottische Heimat segeln kann! Er hat es mehr als verdient. Grüße bitte unsere vertraute Freundin, die Königin, von mir, von ihrem treuen Untertan, Kapitän und Seeräuber. Ich habe mein Leben als Seemann ihr und ihren Plänen gewidmet. Ich wünsche ihr weiterhin große politische Erfolge und den schnellen Aufbau eines mächtigen Empire . . . und grüße unseren lieben Freund William Shakespeare, den unsteten Wirrkopf, das große Genie. Ich hoffe, er wird eines Tages den großen Erfolg bekommen, den er verdient - und sein eigenes großes Theater, sein Globe . . .
Ich muss eine Pause einlegen, meine geröteten Augen schmerzen. Tränen trüben den Blick . . . Ich verfluche meinen Zustand, meine Schwäche . . . wie klein ein großer Held doch sein kann, wenn er verkümmert . . . im Angesicht des Todes ist ein Held kein Held, sondern ein hilfloser Mensch. Ich habe lernen müssen: Nicht jeder große Held ist ein großer Mensch. Ich muss für meine vielen Fehler um Vergebung bitten . . . Elisabeth, bete für mich!
Wie lange ich geschlafen habe, weiß ich nicht. John behauptet, es sei eine lange Ohnmacht gewesen. Ich versuche wieder zu schreiben . . . Habe ich nicht schon alles gesagt? Es ist ein merkwürdiger, ein langer Brief geworden, konfus und lang. Aber es muss sein, immer wieder: Ich liebe Dich sehr, ich vermisse Dich, Dein Lachen und Deine Zärtlichkeit . . . Deine Küsse . . . Deinen wunderschönen Leib, Deine gute Küche ebenso, alles an Dir . . . und ganz besonders Deinen Babybauch. Wir werden endlich ein Kind haben . . . und ich bin nicht dabei. Nenne den Sohn Tristan, wird es eine Tochter, nenne sie Vivian . . . ich bitte Dich.
Ich bin heute sehr depressiv. Ich glaube, ich habe den Verstand verloren. John tröstet mich, indem er von unserem Haus erzählt, von Dir, von unseren Reisen, von der Königin. Ich leide. Ich fluche. Ich sterbe. Mich plagen Gewissensbisse, Sorgen um Dich und um unser Kind, um England. Um die Zukunft. Das Schicksal nagt nun heftig an mir, ich verfluche es nicht, aber ich hasse es . . . so weit fort von Dir, meiner großen Liebe zu sein, von Euch! Erzähle unserem Kind von seinem Vater, der ein Pirat, ein Seemann und ein Patriot gewesen ist. Lese ihm meine Memoiren vor, eines Tages, wenn es soweit ist! Denke an mich, denke an unsere Liebe, an unsere Nächte!
Ich schrieb einfach nieder, was mir so einfiel. Vielleicht war es nicht richtig, manche Dinge so offen und ehrlich preiszugeben. Aber es war mein Leben. Ich bereue nichts! Die Frage, die mich hier, weit von England entfernt, neuerdings quält: War ich nur eine der Schachbrettfiguren unserer Königin? Wurde ich benutzt als ein williger Spielball ihres Hofes? Hintergangen von ihr, von Elisabeth? Niemand wird mir darauf Antworten geben können. Daher war es richtig, mein Leben niederzuschreiben, bevor andere es beurteilen werden. Ich bin eitel genug, Dich zu bitten, mir ein Standbild aus Bronze errichten zu lassen - an der Kaimauer von Plymouth. Stelle es bitte so auf, dass mein Blick nach Westen gerichtet ist, nach Amerika, wo ich die Zukunft Englands sehe. Ich weiß, es ist der eitle Wunsch eines eitlen, sterbenden Mannes. Gerade die Vielseitigkeit eines lieben Menschen aber ist es, die in Erinnerung bleibt. Es ist – wie ich es gerne nenne - die „kleine Unsterblichkeit“ eines jeden Menschen, es sind seine Taten und seine Werke. Das hat Bestand! Ich bin sehr traurig, leide unter den dunklen Gedanken, aber ich sage auch: Ich habe gelebt! Vielleicht habe ich der neuen Welt, trotz einiger Pleiten und Pannen, etwas geben können, was Bestand hat. Nicht nur die Kartoffel! Jedenfalls ist England keine verarmte Insel mehr! Im Gegenteil, England wird eines Tages der Stolz des alten Europa sein, mächtig, reich, unübersehbar. Eine große Nation. Ich hoffe nur, sie gerät nicht in die Hände von verantwortungslosen Hasardeuren.
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