1 ...7 8 9 11 12 13 ...33 Wenn ich Euch in diesen Tagen . . . von oben . . . betrachte, werde ich Euch optimistisch zurufen: „He, Ihr da! Grad in der schönsten Lebenspracht war es vorbei - es wurde Nacht. Doch strahle oben ich als Stern. Schaut auf! Ich grüße Euch von fern.“
Ich spüre, wie mein Leben zerrinnt. Elisabeth, Liebes . . . ein letztes Aufbäumen, ein letztes Lebewohl. An meiner . . . Schrift erkennst Du meinen Zustand. Die Kraft geht zu Ende . . . ich bin irgendwie schon tot. Ja, John muss den Brief . . . vollenden . . . . Elisabeth . . . ich liebe Dich! Ich küsse Dich! Dein Ehemann für immer . . . Dein sterbender, Dein schon gestorbener Francis.
. . . des Sir Francis Drake, Admiral Ihrer Majestät, als erste Eintragung und als Beginn seiner geplanten Lebenserinnerungen - zwölf Tage nach seinem 50. Geburtstag - am 3. Januar des Jahres 1591. Nach einer sehr unruhigen Nacht, in der ich keinen Schlaf fand. Ich bin in Sorge, habe den Blick verloren, den Überblick über unser Land. Zu viele unterschiedliche Informationen landen auf meinem Tisch. Der Kirchenstreit, eher ein Krieg zwischen Katholiken und Protestanten, droht zu eskalieren. Wird die Nation weiter gespalten? Zu viel Unheil haben die Kirchen in den vergangenen Jahrhunderten angerichtet. Soll sich diese Situation nun wiederholen, da die Menschen aufgeklärter sind, da sie Lesen können, sich selbst ein Bild machen und nicht mehr von der Laune eines Priesters abhängig sind? Auch das Kirchenvolk ist – wie das Volk – kritischer geworden. Die Menschen wollen mitreden, informiert werden, bevor sie für das Vaterland sterben sollen, in einem Krieg sterben sollen, der nicht ihr Krieg ist. Vielen Menschen ist es egal, ob sie katholisch oder protestantisch sind. Und ich, der Admiral, mitten in diesen Konflikten.
Meine Stimmung: Aufgeregt. Mürrisch. Verzweifelt.
Erste Erfahrung: Ich habe kein Schreibtalent!
Zweite Erfahrung: Lass doch diesen Unsinn sein!
Dritte Erfahrung: Reiß dich zusammen!
Drei Personen, denen ich sehr zugetan bin, die zudem behaupten, mich zu bewundern und sogar zu lieben, sagten in einem kurzen Zeitraum von vielleicht sechs Monaten hintereinander folgende Sätze zu mir. Und sie meinten es durchaus ehrlich:
Meine Frau Elisabeth: „Du solltest Deine ungewöhnlichen Lebenserinnerungen niederschreiben, lieber Francis! Welcher Mann hat so ein aufregendes, interessantes und gefährliches Leben geführt! Überlass die Wertschätzung Deiner großen Abenteuer, die Bilanz Deiner Leistungen für England nicht irgendwelchen Schreibern, die nie zur See gefahren sind und Dich nicht wirklich kennen!“
Meine Königin Elisabeth: „Dein Leben ist so vielseitig und ereignisreich, Du solltest es eines Tages aufschreiben, um es der Nachwelt zu hinterlassen! Damit alle wissen, wie unsere Zeit wirklich gewesen ist. Ich traue nämlich diesen Chronisten nicht über den Weg, sie schreiben nur das auf, was ihnen gefällt, und sie dichten hinzu: Scheinwahrheiten, Schmeicheleien und Unwahrheiten!“
Mein Freund William Shakespeare: „Was für ein reiches Leben! Was für ein Mann! Was wären das für Memoiren – geschrieben von dem größten und mutigsten Seeräuber der Neuzeit, von Admiral Sir Francis Drake! Francis, schreibe so, wie Du sprichst – und es gelingt Dir ein wichtiges Werk. Denke immer daran: Schreiben bringt neue Lebenskraft, es ist wie eine positive Therapie, wie eine Befreiung aus dem Dunkel ins Licht.“
Hätten sie diese schmeichelnden Worte doch nie gesagt!
Was fiel ihnen dabei nur ein?
Ich glaube, nein, ich bin fest davon überzeugt, mein innerer Frieden wäre gewahrt geblieben. Meine Gelassenheit. Mein Selbstbewusstsein. Sie haben etwas in mir entfacht, was ich nicht richtig erklären kann. Etwas Unbekanntes. Ist es die Eitelkeit? Stolz vielleicht? Nun aber plagen mich ständig Zweifel. Ich träume schlecht, ich kann oft nicht einschlafen. Ich bin nervös und ärgerlich. Ich bin ein anderer Mensch geworden, besser, mein Leben, mein Alltag verändert sich mit einem Mal. Denn ich bin kein schreibgeübter Dichter: Ich bin ein Pirat durch und durch, ein Krieger und kein feiner Mann. Das Schreiben kann sehr gefährlich sein, weil man nicht sicher sein kann, dass der Inhalt so gelesen wird, wie der Autor ihn gemeint hat. Und doch haben die Drei mir einen Floh ins Ohr gesetzt, der mich seit Monaten beschäftigt. Ich kann kaum noch andere Gedanken entwickeln. Und – mich hat ein merkwürdiger, wohltuender Ehrgeiz gepackt, es eines Tages tatsächlich zu tun. Denn ich habe begriffen, dass auch der Zufall eine gewisse Gesetzmäßigkeit hat! Es stimmt, was die Engländer gerne sagen: „Sobald du anfängst, dir Gedanken darüber zu machen, was andere über dich denken und reden, hörst du auf du selbst zu sein.“
Vielleicht will ich aber auch nur meine Fantasie ausleben! Oder meinen Träumen nur ein Stück weit Realität verschaffen? Dabei ist es etwas völlig Neues für mich, die eigenen Gedanken festzuhalten und zu formulieren. Ich gestehe, es gab auch Zeiten, da machte ich mir kleine Notizen über bedeutende Dinge oder Themen, die ich für wichtig hielt. Es war ein Hinweis von William Shakespeare, den ich gerne befolgte, weil er meine Arbeit erleichterte, besonders in dem Moment, als ich Abgeordneter im Parlament in London wurde und in der Zeit, als ich zum Bürgermeister von Plymouth ernannt worden war. Es waren keine Tagebuch-eintragungen, das nicht, eher Gedankenstützen, auf die ich zurückgriff, wenn ich viele Sachen gleichzeitig erledigen musste. Dieser Verwaltungskram war mir immer ein Gräuel. Ich stelle aber heute fest: Schreiben ist wie Leiden und Lachen zugleich! Wenn ich die Feder aus der Hand lege, spüre ich eine Ruhe in mir, es ist, als ob ich eine große Leistung vollbracht habe. Vielleicht ist es auch der Stolz, noch nicht aufgegeben zu haben. Vielleicht ist aber das Ende meiner Schriftstellerei auch schon bald erreicht. Komisch: Ich habe mir nie Sorgen um meine Zukunft gemacht. Seitdem ich meine Gedanken und meine Erinnerungen niederschreibe, habe ich Sorgen, dunkle Gedanken, Ahnungen. Ich habe plötzlich das Gefühl, in meinem Leben zu viel verpasst zu haben!
Oft unternimmt der Mensch ja Dinge, die er später bereut. Doch in diesem Fall entstand aus anfänglicher großer Skepsis eine nie gedachte Leidenschaft für das Schreiben . . . Es ist lächerlich – der Pirat als Autor! Drake – ein Gutmensch? Die Leute werden mich auslachen! Denn meine Allgemeinbildung ist ein höchst eigenartiges Gemisch geworden. Ich habe keine richtige Schulbildung genossen, was ich weiß, weiß ich von meinen Eltern- einfache Leute - durch das intensive Lesen, durch Gespräche. Also denke ich: Größenwahn kommt immer vor dem Wahn, das werden sie sagen! Wahn, ja, nichts als Wahn, das werden sie mir nachrufen. Drake, der Irre, werden sie sagen! Drake, der Aufschneider! Drake, der rastlose Spinner!
Ich weiß nicht, wie das alles enden wird . . .
Unsere Welt wandelt sich rasant. Ich bin ein Teil dieser Geschwindigkeit, auch wenn vieles von dem, was geschieht, noch mittelalterliche Züge trägt. Wir sind in der Neuzeit angekommen. Die Zukunft ist bereits in Ansätzen Realität. Wissenschaft, Forschung, Medizin, die Entdeckung der Welt im Detail, Baukunst, Waffentechnik, Grubentechnik, Buchdruck – all das begeistert die Menschen in Europa. Ich bemerke ebenso eine zunehmende Bedeutung, die von der Jugend ausgeht, besonders aus den Reihen der Studenten.
Die Weltbevölkerung zu Ende unseres Jahrhunderts wird auf 560 Millionen Menschen geschätzt. Der globale Austausch von Gütern und Ideen erreicht eine nie zuvor gekannte Intensität und Qualität. Die iberischen Reiche etablierten ein weltumspannendes Handelsnetz, in das sie Amerika einbezogen. Amerikanische Güter gelangten sowohl nach Europa als auch nach Asien und Afrika und erweiterten das dortige Lebensmittelangebot. Umgekehrt gelangten zahlreiche Kulturpflanzen und vor allem Nutztiere von Europa nach Amerika. Einerseits ging die einheimische Bevölkerung durch die von Europäern mitgebrachten Epidemien stark zurück, anderseits gab es eine starke Einwanderung aus Afrika und Europa. Die lateinische Christenheit Europas spaltete
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