1 ...8 9 10 12 13 14 ...33 sich im Zuge der Evangelisierung und der reformatorischen Gedankenfluten. Der eng mit der Reformation verknüpfte starke Anstieg gedruckter Werke vergrößerte die Bildung breiter europäischer Bevölkerungsschichten. All dies hätte ich mir in jungen Jahren noch nicht vorstellen können. Bei den Drakes hatte die Stunde noch nicht geschlagen! Was für eine grandiose Entwicklung heute. Ich bin sicher, dass es ebenso rasant weitergehen wird.
Diese Geschwindigkeit macht aber auch vielen Menschen Angst, sorgt für Ablehnung und Gewalt. Wer da nicht mithält, der sucht die Schuld bei anderen, bei denen da oben anstatt zielstrebig an sich zu arbeiten, Ehrgeiz zu entwickeln und sich weiterzubilden. So entstehen aus mangelndem, persönlichem Mut neue Ideologien, vom Gefühl gesteuerte Reaktionen, die jeden Pragmatismus verteufeln. Als Zeitzeuge will ich mein Leben, meine Zeit in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts schildern, als die Menschen sich aufmachten, die kleiner gewordene Welt, die ich mit entdeckt habe, zu besiedeln und mit den fremden Welten Handelsbeziehungen aufzunehmen. Das Neue wird plötzlich interessant – und doch sorgt es gleichzeitig bei einem Teil der Menschen für Ängste. War das zu allen Zeiten so? Das Volk wird gebildeter, die Stände wohlhabender, das ist sicher so, aber werden sie auch klüger? Jahrhunderte lang wurde das Volk „regiert“, jetzt ist es aufgeklärter, kritischer, es neigt eher zum Widerspruch. Bin ich in der Lage, diese neue Entwicklung zu beschreiben und mein Leben mitten in diesem Wertewandel? Königin Elisabeth unterstützt diese neuen Errungenschaften mit Eifer. Auch mir wollte sie beweisen, dass sie es ist, die diesen Fortschritt vorantreibt und mit großen Summen unterstützt. Und doch ließ sie Gewalt und Tod zu. Ihren Untertanen geht es nachweislich besser als vor 30 Jahren, als ihr Vater und ihre Schwester Mary noch brutaler regierten. Doch heute bekommen Bauern, Handwerker, Kaufleute, Drucker, Reeder, Baumeister und sogar Künstler in ihren Standesvereinigungen mehr Rechte und damit mehr Macht. Ich sehe diese Gewaltenteilung nicht mit Sorge, sondern mit einem gewissen Stolz: Der Adel und die Kirche verlieren an Bedeutung. Nicht dass es sie nicht mehr gäbe, doch sie müssen sich im Kampf um die Zukunft mit allen bewähren. Mit neuen , unverbrauchten Kräften. Der Automatismus ist beendet! Die neue Zeit stabilisiert sich, auch wenn sie von Teilen der Gesellschaft beklagt wird.
Wie soll ich in diesen Wirrwarr das richtige Maß finden? Ist mein Blick auf unsere Zeit getrübt? Ich höre natürlich den Spott der ewig Gestrigen, die Häme und die Ablehnung der geschmeidigen Höflinge, die sich bewusst nach jedem Wind drehen und wöchentlich ihre Meinung verändern – sie halten sich für die Auserwählten des englischen Volkes. Wie soll ich, der Emporkömmling, diese Lage überblicken und sie niederschreiben? Die wahre Elite lässt niemanden in ihre Kreise eintauchen. Selbst das Vermögen zählt dann nicht mehr, nur der Erbfolger hat das Ansehen, den Titel und schließlich die Macht über die Generationen hinweg.
Ich finde das, was sich zurzeit in unserem Königreich tut, grandios. Wir bauen die modernsten Schiffe und verfügen mit den jungen Kapitänen über ein wehrhaftes Potential – patriotische Männer, die ihren Mut kaum zügeln können. Sie wollen mithelfen, die neue Zeit zu stabilisieren und weiter zu entwickeln. Ich versuche, dieses Gefühl, diesen Patriotismus zu beschreiben, ich bin mir aber bewusst, dass ich nur einen gewissen Teil wiedergeben kann. Es geschieht einfach zu viel.
Die Menschen sind nicht ehrlich genug: Sie ändern ihre Meinungen in einem Tempo wie sie auch ihre Ideale verraten. Ich stelle beim Schreiben fest, dass auch ich mich verändere, vieles sehe ich heute anders. Täuscht sich mein Blick? Macht mein Reichtum mich blind für die Sorgen anderer? Male ich die Königin in zu schönen Farben? Wie wird man mich nennen, einst, wenn das Urteil über ihre Regentschaft gefällt wird, wenn ihre und meine Leistungen überprüft werden? Vielleicht werden wir vom marmornen Sockel geholt. Von den gleichen Menschen, die uns heute bejubeln und uns in Büsten aus Bronze gießen ließen.
Also: Ich bin nicht sicher, dass das, was ich hier niederschreibe überhaupt gelesen wird!
MEIN LEBEN!
Ich schreibe, also bin ich!
Aller Anfang ist schwer. Was für ein blöder Satz, abgedroschen, unwahr, unecht und doch richtig: Wie oder mit was oder mit wem soll ich beginnen? Ich habe es mir so schwer nicht vorgestellt. Jawohl! Mein Respekt vor den Autoren und Romanciers steigt mit jedem fertigen Satz, der mir gelingt.
In letzter Zeit ertappe ich mich, dass ich meiner jungen Frau hinterher sehe - ich lasse dann die Feder ruhen. Nicht etwa lüstern, nein, eher bewundernd, andächtig. Wie, wenn ich ein Bild betrachte. Mit Stolz vielleicht und voller Anerkennung. Ich habe neulich gelesen, dass alle Männer mit der Zeit diesen Blick entwickeln, besonders dann, wenn ihre Frauen jünger sind als sie selbst. Im großen Rittersaal ist sie Hausherrin. In der Küche beratende Hilfe für die Köchin. Im Büro ist sie die leitende Buchhalterin, sie verwaltet unseren Besitz und unser Vermögen mit einer erstaunlichen Genauigkeit. Sie kontrolliert die gefüllten Truhen regelmäßig in unserer Schatzkammer, für die es nur zwei Schlüssel gibt: ihren und meinen. Im Weinkeller ist sie eine fröhliche Genießerin. Auf der großen Terrasse, im Garten und in den Pferdeställen ist sie die Gutsherrin. In unserem Schlafzimmer das zärtliche Weib. Ich frage mich oft, warum ich so glücklich bin. Elisabeth besitzt ein frisches, jugendliches Lachen, eine angeborene Fröhlichkeit. Ich denke oft: Kann ein Mensch immer so gut gelaunt sein? Nichts scheint ihr zu viel zu sein. Sie strahlt eine Freundlichkeit aus, eine Sicherheit, Sorgfalt und eine Hoffnung, ohne ein Wort sagen zu müssen. Das nennt mal wohl Autorität. Unser Personal verehrt sie, weil die Herrin fordert und fördert. Sie kümmert sich um die Kranken, die Kinder der Angestellten, sorgt für deren schulische Ausbildung, testet die unterschiedlichen Fähigkeiten jedes einzelnen, um dann zu entscheiden, was der richtige Weg für sie oder ihn ist und ob eine Förderung sinnvoll erscheint. Sie kommt mir vor wie ein Engel, wie der gute Mensch von Buckland Abbey. Mit ihrem Lächeln setzt sie die schwierigsten Dinge durch, auch bei Alkoholproblemen, Streit und Missgunst unter den Bediensteten. Sie bezahlt die Menschen, die in unseren Diensten stehen, gut und gerecht. Nichts ist ihr zu viel, auch wenn sie sich um die Sorgen der jungen Mütter kümmert. Wir sind so etwas wie eine große Familie geworden. Nur zweimal hat sie eine Magd und einen Butler entlassen müssen, die gemeinsam als Diebespaar erwischt wurden. Ihr gelingt vieles von dem, was ich gar nicht leisten könnte. Ich bin ihr sehr dankbar dafür, da sie mir den Rücken frei hält für meine vielen Aktivitäten. Ohne sie wäre ich nur halb so erfolgreich! Die meisten Menschen fühlen tief in ihrem Herzen, dass es ihnen endlich besser geht. Sie träumen davon, dass sie erfolgreicher sind. Ich habe diese Träume schon lange nicht mehr! Denn ich schreibe nun. Meine Frau ärgerte mich vor ein paar Tagen mit der Bemerkung: „Es gibt Bücher, lieber Francis, die werden sehr gelobt . . . ohne dass man sie jemals gelesen hat!“
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Den folgenden Text, den ich erst vor ein paar Tagen aus einer Laune heraus schrieb, stelle ich nun bewusst an den Anfang meiner Lebenserinnerungen, weil er deutlich macht, in welch merkwürdiger Lage ich mich damals befand: Francis Drake, ein gutaussehendes Nichts, einen Meter und achtzig Zentimeter groß, von kräftiger, sportlicher Gestalt, mit einem kühnen Gesicht, gut gekleidet, aber fast pleite, ein Sklavenhändler, Sohn eines armen Bauern und Predigers der Anglikanischen Kirche, ein Pirat mit ersten kleinen Erfolgen, weil ich auf dem Schiff meines Vetters John Hawkins dieses Handwerk schnell erlernte und danach mein eigenes Kaperschiff, den schnellen Segler, die „Golden Hinde“, kommandierte: Es ist der Beginn einer außergewöhnlichen Verbindung zu meiner Königin Elisabeth. Viele werden bezweifeln, dass ich solch einen engen Kontakt zu ihr habe, doch mein Verhältnis zu ihr ist ungewöhnlich. Elisabeth gilt als unnahbar, arrogant und zickig. Doch so erlebe ich sie nur selten, nie aber, wenn wir alleine sind.
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