„Ja! Also wirklich. Eine wunderbare Schau. Wirklich! Sehr geglückt! Und so... na ja... eben so allgemeingültig. So aussagekräftig.”
„Freut mich, wenn es Ihnen gefallen hat.” Emma schritt weiter. Allein. Überall erntete sie Lob und Anerkennung. Sie vernahm, wie einer der Gäste hastig zwei Gläser Sekt von einem Tablett griff, zielstrebig auf sie zueilte, und damit jede Gegenwehr zwecklos war.
„Mit der richtigen Bühnenerfahrung wären Dir auch die Wechsel perfekt gelungen. Daran solltest Du noch arbeiten. Aber! Du hast ohne Frage etwas geschafft. Die Szene der Stadt liegt dir zu Füßen. Heute Abend jedenfalls.”
„Kalle Buddenhagen! Es gibt Gäste, die man sich hier wünscht und welche, bei denen man nicht verhindern kann, dass sie hier sind. Rate, zu welchen Du gehörst!”
Ihr Gegenüber stutzte auf, versuchte aber, ihre spitze Bemerkung zu überspielen. „Ich sah Dich telefonieren. Allein hier, wie? Stress?”
Emma ignorierte seine Worte und prostete anderen Gästen gespielt lächelnd entgegen.
„Du siehst toll aus, heute Abend. Ich meine... Du siehst immer toll aus. Aber heute Abend siehst Du eben ganz besonders toll aus.”
Emma lächelte ihren Gästen erneut nur mit den Lippen zu, während sie ihm antwortete. „Du hattest vor langer Zeit vier noch längere Jahre Zeit, mir das zu sagen. Hast es aber nicht getan. Also komm mir jetzt nicht so!” Emma verspürte eine immer größere Gereiztheit. Sie drohte, ungerecht zu werden, und da kam ihr ihre Freundin Anna, die ein paar Meter weiter entfernt auf sie zuschritt, gerade recht.
Anna umarmte Emma herzlich. „Toll, Baby! Grandios! Du hast es allen gezeigt. Ich bin so stolz auf dich!”
„Am besten hat ihr aber ein Typ aus der ersten Reihe gefallen. Hab’s genau gesehen.”
Emma sah hinunter auf Annas Tochter, Sarah, die an der Hand ihrer Mutter hing und mit großen Kinderaugen ihren Blick hielt. „Den hab ich auch gesehen.” Sie erinnerte sich leidvoll. Sie hatte genau diesen Platz für Ron reservieren lassen, für ihren Beistand, den Platz der Plätze, auf dem dann jedoch ein Fremder gesessen hatte.
Kalle Buddenhagen prostete beiden Frauen aus der Ferne neuerlich zu.
„Da schon an! Dein Ex! Was will der denn hier?”
„Was wohl? Ihm gefällt mein Erfolg nicht. Deswegen ist er gekommen. Damit er weiß, worüber er lästern kann. Ich habe gelitten, als wir zusammen waren. Er leidet, seitdem wir uns getrennt haben.”
„Der Klassiker! Ziemlich blöde von ihm, Dich damals ziehen zu lassen.”
„Ach! Wenn ich’s recht überlege. Er war eigentlich auch schon vor unserer Zeit ziemlich dämlich. Und während. Und danach erst recht. Stimmt!” Emma umschlang ihre Schulter. „Also! Konzentrieren wir uns allein darauf, wer und was wir heute sind.”
„Wo ist Ron eigentlich?” wollte Anna wissen.
„Der? Der opfert sich gerade für uns auf,” gab Emma prompt zurück. „Und damit er das erträgt, zieht er sich wahrscheinlich wieder mal beide Nasenflügel bis zum Anschlag voll und vögelt mit irgendeiner seiner Tussis.”
Anna prustete gehörig auf. Mit so viel Wahrheit hatte sie nicht gerechnet. Mitleidig sah sie Emma an. „Was für ein Arsch! Der soll mir mal zwischen die Finger kommen. Du musst endlich mit ihm reden.”
„Reden? Mit Ron? Prost!” Emma ging ab und widmete sich wieder ihren Gästen.
Ron war verloren. Er spielte wieder Klavier, kraft- und gehaltvoller war sein Anschlag geworden, so schien es, wenn man nicht wusste, dass Chemie durch seine Adern floss, wessen er zu einem der Alleinunterhalter avancierte, dessen Maß an Peinlichkeit jeden Gast nervte, der keinen Alkohol getrunken hatte. Er betrachtete die Agenturchefin, die vor ihm ausgelassen zu tanzen begonnen hatte. Die Frau nahm ihn und seinen Blick mit, während sie zum Buffet ging. Sie griff ein Stück Weichkäse, führte es mit verruchter Vergnüglichkeit unter ihr Kleid und drückte einen ihrer erregten Brustnippel darin ab. Ron verharrte. Der Reiz war gesetzt. Er lächelte breit. Wenig später folgte er ihr in die Küche. Er schob ihr Kleid hoch und leckte ihren Schoss. Minutenlang versank seine Zunge in ihrer Weiblichkeit. Danach drückte sie ihn an die Wand, schnallte seinen Gürtel auf, kniete nieder und nahm ihn zwischen ihre Lippen in sich auf.
Neuerlich flog Ron davon, endgültig degeneriert, gedemütigt, ohne es zu wissen, während die Macher und Helfer Ausrüstung und Kleider aus der Kirche trugen. Oleg flirtete mit einem Gast. Emma blickte neidvoll auf ihn. Sie stand in der Kirchentür und telefonierte. Ihr Blick fiel auf die letzten Gäste, die den Vorplatz überquerten, in ihre Wagen und in Taxis stiegen und davon fuhren. „Was bitte bedeutet, Du kannst jetzt noch nicht weg?”
Ron stand immer noch in der Küche, und noch immer nagte jene Frau an ihm. „Viele wichtige Leute. Du weißt doch... Hey, Emma! Ich verstehe Dich nicht. Bitte? – Ja, doch!” Das Gespräch riss ab. Er blickte seinen Körper entlang. Gelangweilt ließ er die Frau weiter gewähren.
Emma trat gegen Mitternacht durch die beiden großen Flügeltüren aus der Kirche. Ein letztes Mal blickte sie zurück auf den Ort ihres Erfolgs. Gäste grüßten zum Abschied. Das Team feierte in einem anderen Lokal weiter, doch Emma wollte eine kleine Weile für sich sein. Gedankenverloren ging sie die Straße entlang. Sie schaute auf ihr Telefon. Ron hatte nicht noch einmal versucht, sie zu erreichen. Ein Wagen hielt neben ihr. Emma blickte durch das geöffnete Fenster der Beifahrertür. Kalle hielt ihr eine Flasche Sekt entgegen.
„Komm! Steig ein!” meinte er und grinste verheißungsvoll.
„Und dann?”
„Die Nacht ist noch jung.”
Emma musterte ihn streng.
„Der Bursche ist nichts für Dich.”
Emma lächelte. Sie überlegte, so, als dachte sie gerade tatsächlich ernsthaft darüber nach, seiner Einladung samt Nachstellungen doch noch zu folgen, dann aber giftete sie zurück. „Kalle Buddenhagen! Wenn Du heute Abend nichts anderes mehr triffst, dann musst Du wohl selbst mit Dir spielen.” Kopfschüttelnd wandte sie sich von ihm ab.
Das Fenster surrte hoch, der Wagen fuhr davon. Ein zweites Fahrzeug rollte die Straße hoch. Emma, verärgert, enttäuscht, gedankenverloren – sie sah auf dessen Lichter, auf einen der Blinker, der rechts gesetzt war, da plötzlich schoss ein dritter Wagen aus der Seitenstraße heraus. Bremsen quietschten schrill und unerträglich laut. Statt abzubiegen fuhr der Wagen, um die Kollision mit dem anderen Fahrzeug zu vermeiden, geradewegs auf sie zu.
Emma riss die Augen auf. Erschrocken starrte sie in gleißend helles Licht. Sie vernahm einen heftigen Schmerz, spürte, wie sie abhob, wie sie flog und auf dem Gehweg aufschlug. Sie lag da, bewegungslos, den Kopf hebend, weil ein Klingeln ertönte, ein Wecker tickte und Stimmen tuschelten. Rotlicht schimmerte ihr entgegen, Trommeln dröhnten dumpf. Ihr wurde kälter. Es war nicht richtig, hier zu sein, mahnte ihr Bewusstsein, um Momente später jede Wahrnehmung in ein tiefes Nichts zu lenken.
Rhythmisch ertönte eine Beatmungsmaschine. Anderes medizinisches Überwachungsgerät fiepte leise. Emma öffnete langsam ihre Augen. Sie blinzelte, sah nur schemenhaft und hörte nur gedämpft, als ob Watte ihre Ohren verstopfte. Blut tropfte in eine Leitung, an ihren Schläfen verspürte sie den leichten Druck zweier Elektroden. Diffus nahm sie wahr, dass sie in einem Bett lag, unter einer dünnen, weißen Decke. Vorsichtig hob sie den Kopf. Zwei Hände aber drückten sie sofort zurück in die Kopfkissen. Sie wollte reden, fragen, wo sie war. Sie sah auf eine Spritze, deren Spitze in eine Kanüle gesetzt wurde. Bilder und Töne um sie herum verloren langsam neuerlich jede Schärfe. Es wurde dunkel, so, als blendete jemand langsam das Leben aus.
„Wir haben sie zur Vorbereitung auf die Operation in ein künstliches Koma versetzt. Mehr können wir im Augenblick nicht tun.”
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