Draußen in der Stadt war Hochsommer. Die Hitze lockte müde Großstädter in Lokale, vor allem in die, die eigentlich, wie Emma stets geurteilt hatte, wenn sie an einem Ort wie diesem gewesen war, schlechten Filmkulissen nahe kamen, aber immerhin doch geeignet waren, sich selbstverliebt zu aalen und der öffentlichen Artbegaffung auszusetzen. Kaya saß auf einem nackten Männerbauch. Die Sonne schien ihr ins Gesicht. Sie lümmelte sich mit ihrem Begleiter auf einem der zahlreichen Holzbetten, die eine Beachbar am Elbstrand seinen Gästen anbot. Jeder Mann stolzierte mit Wonne an ihr vorbei, jede Frau senkte ihr Haupt. Kaya nämlich war an diesem Ort der eigentliche Hochgenuss. Sie trug einen reizvollen, weil vor allem reichlich knappen, Bikini. Ihre prallen Weiblichkeiten glänzten ölgeschmiert im Sonnenlicht. Eine Brille verbarg ihren lüsternen Blick. Lässig trug sie eine Schiebermütze über ihre zurückgelegten Haare. Sie beugte sich vor. „Was soll das werden? Eine Szene? Szenen sind etwas für Paare. Wir aber sind ein Team.” Kaya wollte ihren Begleiter küssen, doch der wandte sich ab.
„Nette Umschreibung für ein Verhältnis.” Ron sprang auf und setzte sich auf die Kante. „Emma! Sie ahnt Dich. Wir sollten damit aufhören.”
„Jede Frau ahnt, wenn ihr Typ etwas mit einer anderen hat. Vielleicht ist es das ja, was mir so gut gefällt.” Kaya setzte sich auf seinen Schoß und lächelte ihn an. „Ist doch aber eigentlich alles ganz einfach. Die Jungs in der Bar mögen Deine Musik. Und ich mag Dich.”
„Drei ist früher oder später immer einer zu viel.”
„Dann entscheide Dich! Oder bleib allein!”
Ron schielte gedankenverloren über ihre Schulter ins Leere. Kaya drückte ihren Körper näher an ihn heran. Er konnte ihren Herzschlag und mehr von ihr spüren. Nach einer Weile erwiderte er leidenschaftlich ihren Kuss.
Auch Emma schmatzte Küsse. Zum Abschied der Probe gab’s für jeden aus dem Team einen Knutscher auf beide Wangen und viele, liebe Worte. Sie stand in der Eingangstür der Kirche und blickte auf das prächtige Christuskreuz. Gottes Sohn war in weichen Zügen aus Stein gemeißelt und hing, die Arme genauso einladend wie beschützend zur Seite gestreckt, über dem Altar. Sie beobachtete Oleg, der letzte Korrekturen des Ablaufplanes schrieb, und sie verfolgte die zwar inbrünstigen aber auch ausgesprochen gewöhnungsbedürftigen Gesangsübungen des Chores.
Alle anderen aus dem Team hatten die Kirche bereits verlassen. Emma drehte sich ab und hielt sich das linke Ohr zu, während sie telefonierte. „Ja, Mama! Finde ich auch schade. – Nein. Wirklich nicht. Als Du die Reise gebucht hast, konntest Du ja nicht wissen, dass die Show ausgerechnet dann stattfindet. – Ja, ich dich auch, Mama. Und grüß Conny lieb von mir!” Emma beendete das Gespräch und fiel erschöpft in Olegs Arme. „Oh man! Was für ein Tag.” Sie studierte die Zeiten der Ablaufpläne, die Oleg ihr gereicht hatte. „Sieht doch gut aus.”
„Oui! Auf Papier! Wird geben große Schau. Wird geben gute Schau. Wird geben Superschau. Wird geben Chaos. Weil Gruppe von Gotteschor nicht geben Platz und Zeit.”
Emma bemerkte, wie sehr Oleg sie in Augenschein nahm, während sie sein korrigiertes Skript las.
„Was haben Ron, was ich nicht haben? In mich und an mich. Eigentlich.” Er deutete auf ihr Telefon.
Emma lächelte auf. „Erstens. Es heißt in und an mir. Zweitens. Das eben war meine Mutter. Und drittens. Willst Du das wirklich wissen?” Sie hakte sich bei ihm ein. „Verrat mir lieber, ab wann wir morgen weitermachen können.”
Als Emma am frühen Abend das Loft betrat, saß Ron, tief in seinen Kompositionen versunken, am Flügel. Sie ging zu ihm, gab ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange und schritt in die Küche. „Und? Wie war Dein Tag so?”
„Ging so! Und Deiner?”
„Ging so! Der Kirchenchor bestand auf seine Probe. Aber sonst. Alles gut. Und bei Dir?”
Ron pflichtete ihr wortlos bei und spielte weiter. Noch immer hakte es in seiner Akkordfolge, wessen er genervt ein paar Tasten schlug. Zwei Stunden später stand er vor dem Spiegel im Badezimmer und rasierte sich. Emma trat ein, setzte sich auf die Toilette und verrichtete ein Bedürfnis.
Ron nahm ihren Blick durch den Spiegel an. „Ich hab einen Job angenommen. Für morgen.”
Emma war schlagartig tief enttäuscht. „Für morgen?”
„Ja! Für morgen.”
„Na prima. Danke!” Sie spülte ab.
Ron drehte sich zu ihr herum. „Tausend Euro Honorar. Muss ich noch mehr sagen?”
„Ich frage mich gerade, was ich davon habe, wenn ich reich und berühmt werde, aber Erfolge nicht teilen kann.”
Emma wollte das Bad verlassen, da griff Ron nach ihr und zog sie an ihrem Arm zu sich. „Tut mir Leid. Wirklich! Was sollte ich tun?”
Sie zögerte, überlegte und signalisierte schließlich Verständnis, weil sie wusste – zu ändern war seine Absage ohnehin nicht mehr.
Beide umarmten sich lange.
„Ich komme nach, so schnell ich kann. Versprochen!” Ron küsste ihre Stirn.
Erneut gab sich Emma einsichtig, dabei quälte sie die Enttäuschung seiner Abwesenheit während ihrer Modenschau in Wahrheit schon jetzt.
Ron streichelte ihre Wange. „Was ist? Lust mitzukommen?”
Sie hatten sich immer zu zweit zu diesem Ort aufgemacht, wenn ihnen nach Zerstreuung gewesen war. Das aber war lange her. In der Lounge-Bar, in der sich Ron verdingte, wie Emma schon seit längerem seine Auftritte dort abgetan hatte, saßen nur wenige Gäste in schweren Polstern. Zwei Männer, die Besitzer, die sie ebenfalls nicht mochte, arbeiteten hinter einem langen Tresen. Emma hockte verloren vor ihnen. Sie beobachtete Kaya, die Ron ein Glas Brandy brachte. Einzig Rons Klavierspiel gefiel ihr. Sie mochte seinen Ausdruck, seinen Anschlag. Dass er aber bei ihrer ersten Modenschau nicht da sein würde, betrübte sie umso mehr, je intensiver sie darüber nachdachte. Sie brauchten das Geld, das er verdiente, doch mittlerweile hasste sie die Orte, wo er das tat. Emma verfolgte ein weiteres Mal jeden ihrer Schritte und ihres Benimms. Allein schon mit ihrer gewagten Kleidung war diese kleine Schlampe Kaya dafür zuständig, die Gäste zu halten, demütigte Emma eine Frau, die größer war, schlanker, attraktiver und nach Lage aller Unterschiede auch beim Sex verruchter war als sie.
Ron suchte ihren Blick. Sie sollte das nächste Lied wählen. Emma erinnerte sich noch genau an den Tag, als sie mit Ron in dieser Bar nach langem Vorspiel zusammen gekommen war, damals, in einem verrückten Sommer. Sie hatte ihren Lieblingssongs eine Zahl gegeben. Bis tief in die Nacht hatte er leidenschaftlich Nummer für Nummer gespielt.
Heute schüttelte Emma verneinend den Kopf. Sie war müde. Sie trank ihr Glas Wein aus, ging zu Ron, verabschiedete sich mit einem Kuss und verließ die Bar. Dass sie von Kaya beobachtet wurde, registrierte Emma sehr genau. Länger schon hegte sie einen Verdacht. Draußen vor der Bar hielt sie sich an der Fassade versteckt. Sie blickte durchs Fenster und sah, wie Kaya zwischen ihrem Gang von der Theke an einen der Tische dem Mann in ihrem Leben liebevoll durchs Haar strich. Betroffen wandte sie sich ab.
In der Nacht lag Emma wach neben ihm. Er schnarchte. Emma drehte ihn auf die Seite. Augenblicklich verstummte sein Sägen. Ihr Blick fiel auf ein paar Fotos, die unter der Decke hingen. Drei Bilder zeigten sie in Vergrößerungen verliebt und glücklich in die Kamera lächelnd. Erinnerungen schlichen ihr durch den Kopf. Die Fotos waren während ihres ersten gemeinsamen Urlaubes in Dänemark entstanden. Emma stand auf und ging in die Küche. Ein Strauß selbst gepflückter Blumen stand auf dem Tisch, daneben lag ein Zettel mit der Aufschrift „Toi! Toi! Toi!” Emma roch an den Blumen. Freuen konnte sie sich nicht. Den Zettel nahm sie an sich.
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