MARIANEAber meine liebes, gutes Mädchen!
DORINENein.
MARIANEWenn ich offen über meine Liebe spräche –
DORINEGenug: Tartuffe ist Euer Mann, und Ihr werdet ihn zu spüren bekommen.
MARIANEDu weißt, dir habe ich mich immer anvertraut – tu mir den Gefallen und –
DORINENein, Ihr werdet, was hilft’s!, tartüffiert.
MARIANEAlso gut! Wenn mein Schicksal dich also partout nicht erweichen kann, dann überlasse mich endlich meiner Verzweiflung – durch sie allein wird mein Herz Erleichterung erfahren, denn ich kenne das letzte Mittel für mein Leiden. (will abgehen)
DORINEHe da! Moment! Jetzt kommt schon zurück. Ich bin nicht mehr wütend. Man muss doch Mitleid mit Euch haben, nichtsdestotrotz.
MARIANEWeißt du, Dorine, will man mich tatsächlich diesem grausamen Martyrium aussetzen, ich sage es dir, dann hilft es nichts: Ich bringe mich um.
DORINEMacht Euch keine Sorgen. Mit ein wenig Geschick werden wir bestimmt verhindern können, dass – Doch da kommt Valère, Euer Geliebter.
Szene IV
VALÈRE. DORINE. MARIANE.
VALÈREGerade wird eine Neuigkeit verbreitet, die mir, Madame, noch gar nicht bekannt war – und die doch zweifellos sehr schön zu nennen ist …
MARIANEWelche denn?
VALÈREDass Ihr Tartuffe heiraten werdet.
MARIANEEs stimmt, dass mein Vater sich diesen Plan in den Kopf gesetzt hat.
VALÈREEuer Vater, Madame –
MARIANE– hat seine Absicht geändert: Er hat mich gerade davon unterrichtet.
VALÈREWas? Im Ernst!
MARIANEJa, im Ernst. Er hat sich mit Nachdruck für unsere Heirat ausgesprochen.
VALÈREUnd mit welcher Absicht trägt sich nun Euer Herz?
MARIANEIch weiß es nicht.
VALÈREDiese Antwort ist aber – höflich. Ihr wisst es nicht!
MARIANENein.
VALÈRENein?
MARIANEWozu ratet Ihr mir?
VALÈREIch … Ich rate Euch, diesen Mann zu heiraten.
MARIANEIhr ratet es mir?
VALÈREJa.
MARIANEEhrlich?
VALÈREZweifellos: Die Wahl ist hervorragend und durchaus wert, dass man sie annimmt.
MARIANEAch was! Na, das nenne ich ja einen feinen Rat, den Ihr mir da gebt, Monsieur.
VALÈREIhr werdet bestimmt keine Schwierigkeiten haben, ihn zu befolgen, glaube ich.
MARIANENicht mehr, als es Euer Herz gekostet hat, ihn mir zu geben.
VALÈREIch? Ich habe ihn Euch doch nur gegeben, um Euch einen Gefallen zu tun!
MARIANEUnd ich, ich werde ihn allein darum befolgen, um Euch einen Gefallen zu tun!
DORINEWir dürfen gespannt sein, was daraus werden wird.
VALÈRESieht denn so Liebe aus? War es bloß Täuschung, als Ihr –
MARIANESprechen wir nicht davon, ich bitte Euch. Ihr habt mir deutlich gesagt, ich solle den zum Mann nehmen, den man mir zum Mann geben will, und hiermit erkläre ich, dass ich das auch tun werde, da Ihr mir ja nun so wohlmeinend dazu ratet.
VALÈREGebt nicht meinen guten Absichten die Schuld – Ihr hattet Euch doch schon längst entschieden! Ihr benutzt mich doch nur als billigen Vorwand, um Euren Wortbruch zu rechtfertigen!
MARIANEDas stimmt, das habt Ihr gut gesagt.
VALÈREJa sicher – und Euer Herz hat für mich niemals wahre Leidenschaft empfunden.
MARIANEOh Gott! Schämt Euch, so zu denken.
VALÈREJa, ja, ich will mich schämen; nur wird mein verletztes Herz Eurem Plan möglicherweise zuvorkommen – ich weiß nämlich, wohin ich mein Werben und meine Hand hinzuwenden habe.
MARIANEAch, das glaube ich gern! Leidenschaft feuert bekanntlich den Ehrgeiz an …
VALÈREMein Gott, lassen wir den Ehrgeiz beiseite: Ich habe ganz offensichtlich zu wenig davon, dafür seid Ihr der beste Beweis. Allerdings hoffe ich auf die Zuneigung einer anderen, denn ich kenne da eine, deren Herz meinem Rückzug offen stehen wird und der es ohne jede Scham gefallen dürfte, meinen Verlust zu ersetzen.
MARIANESo groß ist dieser Verlust gar nicht – Ihr werdet Euch bestimmt sehr leicht über diese Veränderung hinwegtrösten lassen.
VALÈREIch werde mein möglichstes tun, das könnt Ihr mir glauben. Ein Herz, das uns vergisst, rührt an unsere Ehre; man muss sämtliche seiner Kräfte aufwenden, um eine solche Kränkung zu verwinden. Schafft man das nicht, so sollte man doch wenigstens so tun, denn jemandem, der uns sitzen lässt, seine Liebe gezeigt zu haben: Diese Schwäche ist unverzeihlich.
MARIANEDiese Ansicht ist zweifellos nobel und vorbildlich.
VALÈREWunderbar, dann muss man sie wohl auch gutheißen! Ja, was? Wollt Ihr etwa, dass ich bis ans Ende meiner Tage nur für Euch brenne, dass ich Euch dabei zusehe, wie Ihr in fremden Armen liegt, ohne meinerseits dieses verstoßene Herz einer anderen zuzuwenden?
MARIANEGanz im Gegenteil: Genau das ist es, was ich mir wünsche – wenn es nach mir ginge, die Chose wäre schon erledigt.
VALÈREDas wünscht Ihr Euch?
MARIANEJa.
VALÈREJetzt reicht es aber mit den Beleidigungen, Madame: Möge dieser Schritt Euch Befriedigung verschaffen. (er macht Anstalten, sich zu entfernen, kommt jedoch immer wieder zurück)
MARIANESehr gut.
VALÈREVergesst nur nicht, dass Ihr selbst es seid, die mich dazu nötigt, diesen äußersten Schritt zu tun.
MARIANEJa.
VALÈREUnd dass das Schicksal, dem mein Herz entgegen geht, ganz Eurem Beispiel folgt.
MARIANEMeinem Beispiel folgend: So sei es.
VALÈREGenug! Ihr habt bestellt, Ihr sollt zeitig bedient werden!
MARIANEDas will ich aber hoffen.
VALÈREHier seht Ihr mich – es wird das letzte Mal sein!
MARIANEWurde auch Zeit.
VALÈRE (indem er zur Tür geht und sich im letzten Moment noch einmal umdreht) Äh –
MARIANEWas.
VALÈREHabt Ihr mich nicht gerufen?
MARIANEIch? Das hättet Ihr wohl gern.
VALÈRENa gut! Dann kann mich ja nichts aufhalten! Adieu, Madame!
MARIANEAdieu, Monsieur.
DORINEWenn Ihr mich fragt, so scheint mir, dass Ihr über diese wilden Vorhaltungen gerade den Verstand verliert …Ich habe Euch die ganze Zeit streiten lassen, nur um zu sehen, wie weit Ihr die Sache wohl treiben würdet – He da, mein guter Valère! (hält ihn am Arm zurück – er gibt sich den Anschein des größten Widerstandes)
VALÈREWas willst du, Dorine?
DORINEKommt mal her.
VALÈREOh nein, dazu bin ich viel zu sauer. Hindert mich nicht daran, zu tun, was sie gewollt hat!
DORINESchluss jetzt.
VALÈRENein, hörst du? Das ist beschlossene Sache.
DORINEAch was.
MARIANEEr erträgt es nicht, mich zu sehen, meine Gegenwart vertreibt ihn, und ich täte besser daran, meinen Platz zu räumen.
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