ORGONWas ich zu sagen habe, tut hier wohl nichts zur Sache?
DORINEWorüber beklagt Ihr Euch? Mit Euch rede ich doch gar nicht.
ORGONWas machst du dann?
DORINEIch spreche zu mir selbst.
ORGONWunderbar. Dann werde ich ihr wohl eine Ohrfeige geben müssen, um sie für ihre aberwitzige Unverschämtheit zu bestrafen. (Dorine hält, kaum dass er sie ansieht, augenblicklich den Mund). Meine Tochter, Ihr müsst meine Entscheidung gutheißen – daran glauben, dass dieser Ehemann, den für Euch zu erwählen mir gelungen ist … Warum sprichst du nicht mit dir?
DORINEIch habe mir nichts zu sagen.
ORGONNoch ein klitzekleines Wort.
DORINEIch mag aber nicht.
ORGONVon wegen, ich habe dich doch beobachtet.
DORINEWer’s glaubt!
ORGONJedenfalls musst du, meine Tochter, gehorsam sein und dich meiner Entscheidung völlig ergeben.
DORINE (indem sie die Flucht ergreift) Einen Teufel würde ich tun, einen solchen Mann zu heiraten. (ORGON will ihr eine Ohrfeige geben, verfehlt sie jedoch)
ORGONIhr habt da, meine Tochter, eine wahre Pest bei Euch, mit der ich nicht leben könnte, ohne mich zu versündigen. Ich fühle mich außerstande, an dieser Stelle fortzufahren – ihre unverschämten Reden haben mich halb wahnsinnig gemacht! Ich werde ein wenig Luft schnappen, um mich wieder zu beruhigen.
Szene III
DORINE. MARIANE.
DORINESagt mal, hat es Euch die Sprache verschlagen, ist es meine Aufgabe, Euch in dieser Sache zu vertreten? Da nehmt Ihr es einfach hin, dass man Euch einen hanebüchenen Plan vorstellt, ohne auch nur ein Wörtchen des Widerspruches einzulegen!
MARIANEWas soll ich denn deiner Meinung nach gegen einen absolutistischen Vater unternehmen?
DORINEWas immer nötig ist, um eine solche Bedrohung abzuwenden.
MARIANEUnd das wäre?
DORINEDass Ihr ihm sagt, dass ein Herz nicht auf Befehl eines anderen liebt, dass Ihr um Euretwillen heiratet und nicht für ihn, dass der Ehemann, da es bei der ganzen Geschichte um Euch geht, ausschließlich Euch gefallen muss, bestimmt nicht ihm, und dass ihn niemand daran hindern dürfte, seinen Tartuffe, wenn er ihn tatsächlich so charmant findet, einfach selbst zu heiraten.
MARIANEIch gebe es zu, dieser Vater hat eine solche Macht über uns, dass ich es noch nie gewagt habe, ihm zu widersprechen …
DORINEDann denken wir noch einmal nach. Valère ist in mancherlei Hinsicht auf Euch zugekommen, liebt Ihr ihn nun, ich bitte Euch, oder liebt Ihr ihn nicht?
MARIANEAch Dorine, wie ungerecht du über meine Liebe sprichst! Musst du mich das wirklich fragen? Habe ich dir in dieser Sache nicht schon hundertmal das Herz ausgeschüttet, weißt du nicht, wie sehr ich für diesen Menschen brenne?
DORINEWas weiß ich denn, ob aus dem Mund tatsächlich das Herz gesprochen hat, und ob Ihr Euch aus diesem Liebhaber tatsächlich etwas macht?
MARIANEDu tust mir ein großes Unrecht, Dorine, wenn du daran zweifeln kannst – so oft, wie ich meine ehrlichen Gefühle schon in aller Deutlichkeit gezeigt habe.
DORINEMit anderen Worten, Ihr liebt ihn also?
MARIANEJa, und zwar von ganzem Herzen.
DORINEUnd so wie es aussieht, liebt er Euch genau so?
MARIANEIch glaube schon.
DORINEUnd beide könnt Ihr es gar nicht erwarten, endlich miteinander verheiratet zu sein?
MARIANEKeine Frage.
DORINEWas erwartet Ihr nun von dieser anderen Verbindung?
MARIANEDass ich mich umbringen werde, wenn man mich dazu zwingt.
DORINEGroßartig, an diesen Ausweg habe ich ja gar nicht gedacht! Dann braucht Ihr Euch also nur umzubringen, um Euch aus dem Schlamassel zu befreien! Wenn das kein wunderbares Mittel ist! Es macht mich wahnsinnig, Euch so sprechen zu hören.
MARIANEMein Gott, Dorine! In welche Stimmung gerätst du denn da! Du kennst wohl gar kein Mitgefühl, wenn es um den Kummer anderer geht?
DORINEIn der Tat, mein Mitgefühl hält sich in Grenzen, wenn man große Reden schwingt und sich duckt, sobald die Sache ernst wird – so wie Ihr.
MARIANEWas soll ich denn tun, wenn ich nun einmal so ängstlich bin …
DORINEEin liebendes Herz verlangt eben Entschlossenheit.
MARIANEAber die habe ich doch, wenn es um Valères Liebe geht! Außerdem ist es doch an ihm, bei meinem Vater um mich –
DORINEJa wie denn! Wenn Euer Vater nun mal ein ausgemachter Dickschädel ist, der an seinem Tartuffe einen Narren gefressen hat und plötzlich nichts mehr auf die Verbindung gibt, der er vordem sein Wort gegeben hatte – ist das alles dann die Schuld Eures Geliebten?
MARIANEAber durch lauten Protest und offene Verachtung würde ich doch meine allertiefsten Gefühle offen zeigen …Soll ich für Valère, so wunderbar er auch sein mag, sämtlichen Anstand meines Geschlechtes, die Pflichten einer Tochter gar, in den Wind schießen? Willst du wirklich, dass ich meine Liebe vor der ganzen Welt ausbreite?
DORINENein, nicht doch – ich will gar nichts! Ich sehe ja, Ihr wollt die Frau des Herrn Tartuffe werden, und wenn ich darüber nachdenke, so täte ich falsch daran, Euch von dieser Verbindung abzuraten. Aus welchem Grunde sollte ich mich Eurem Wunsch entgegenstellen? Diese Partie hat zweifellos viele Vorteile. Monsieur Tartuffe! Oho! Wenn das kein Angebot ist! Schließlich ist der Mensch, wenn man sich die Sache genau besieht, ein ziemlich anspruchsvoller Mensch, da ist es doch keine Schande, seine bessere Hälfte zu sein. Schon jetzt wird er von aller Welt mit Ruhm gekrönt: Da, wo er herkommt, ist er adelig, gut gebaut ist er auch, seine Ohren sind blutrot und sein Teint von ausgesuchter Rosigkeit – mit einem solchen Mann erwartet Euch ein herrliches Leben –
MARIANEUm Gottes Willen!
DORINEWelch Freude wird erst in Eurem Herzen wohnen, wenn Ihr die Frau eines derart schönen Mannes sein werdet!
MARIANEAch, ich bitte dich, hör auf, so zu sprechen, und rette mich vor dieser Ehe! Es ist vollbracht, ich ergebe mich und bin zu allem bereit.
DORINENein, eine Tochter muss ihrem Vater gehorchen, und wenn er ihr einen Affen zum Mann geben wollte. Dagegen ist Euer Schicksal doch ganz wunderbar – worüber wollt Ihr Euch beschweren? Ihr werdet mit der Postkutsche in seine kleine Heimatstadt fahren, wo Ihr die Bekanntschaft mit zahllosen Onkel und Cousins machen werdet, mit denen Ihr zweifellos ganz viel Spaß haben werdet. Dann wird man Euch in die bessere Gesellschaft einführen, Ihr werdet der Frau Amtmännin und der Frau Untersteuerrätin einen Willkommensbesuch abstatten, die es Euch mit einem Plätzchen auf ihrem Klappstuhl danken werden; zum Karneval dürft Ihr Euch dann auf den Ball mit großer Kapelle freuen, wobei letztere lediglich aus zwei Dudelsäcken bestehen dürfte, mit Glück vom Tanzäffchen und ein paar Marionetten begleitet, sofern es Euch Euer Ehemann –
MARIANEAch, du bringst mich noch um! Gib mir besser gute Ratschläge.
DORINEIch bin doch nur Eure Dienerin.
MARIANEHe, Dorine, ich bitte dich …
DORINEIhr habt es nicht anders verdient, als dass diese Sache einfach ausgestanden wird.
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