Wie, Frau Meisel ist tot? Wirklich? Schon seit 2003?
Ok, weiter entfernt geht es dann aber wirklich nicht.
Diese jungen Leute, Absolventen besagter Personenschutz-Akademien, ausgestattet mit allen nur erdenklichen Diplomen, Urkunden und Belobigungen und frisch von der Personenschutz-Schule, landen dann in unseren erfahrenen Teams. Und müssen dort feststellen, dass vieles, was man ihnen in der Kompaktausbildung beigebracht hat, in der täglichen Praxis überhaupt nicht oder nur bedingt umzusetzen ist.
Theorie ist und bleibt eben Theorie. Eine Maßnahme im Personenschutz wird immer auch von der Schutzperson mitbestimmt. Die Kenntnis von Vorgaben, die für die beste Sicherheit sorgen könnten, reicht alleine nicht aus, um den Job gut zu machen. Das ist großer Schock für die meisten dieser jungen und voll dynamischen »Berufspersonenschützer«, und meist ein noch viel größerer Schock für die unter uns, die mit ihnen arbeiten müssen.
Am Beispiel »effektiver Begleitschutz mit dem Auto« möchte ich Ihnen das etwas näher erläutern.
Die Protagonisten der folgenden Szene sind ein »hoch motivierter Neuer«, der entsprechend seiner Lehrgangsrichtlinien agiert, und ein »Alter Hase«.
Effektiver Begleitschutz mit dem Auto
Alter Hase: »So, gemäß der mir vorliegenden Lagebeurteilung unserer Konzernsicherheitszentrale werden wir heute direkt und ohne Umwege vom Wohnsitz der Schutzperson in die Hauptzentrale fahren. Standard also. Die zwei möglichen Strecken dorthin sind Ihnen ja bereits durch Ihre Tätigkeit als begleitender Schützer vertraut. Daher schlage ich vor, dass Sie heute das Begleitschutzfahrzeug fahren und die entsprechende Sicherung der vorfahrenden Limousine übernehmen. Unser Vorstandsfahrer ist bereits darüber informiert und wird seine Fahrtätigkeit ein wenig an Ihren Erfahrungen ausrichten, solange es die Lage zulässt. Sie werden unsere Schutzperson schon heil ans Ziel bringen, da bin ich mir sicher! Schließlich blicken Sie ja auf eine fundierte Ausbildung zurück, die noch nicht so lange her ist. Und bloß keine Sorge, ich sitze ja für den Fall der Fälle direkt neben Ihnen und kann Sie bei Bedarf unterstützen.«
Neuer:»Eine Frage hätte ich dann aber doch noch bevor es losgeht. Fahren wir die Route eins, also die über die Ortschaften und Landstraßen, oder nehmen wir die Route zwei über die Autobahn mit Wechsel auf die Schnellstraße?«
Alter Hase: »Wie ich schon sagte, ich weiß es noch nicht. Das entscheidet der Vorstandsfahrer aufgrund der Verkehrslage und der Meldung des Kollegen von der Umfeldobservation selbstständig und kurzfristig. Also einfach immer schön dranbleiben, dann ergibt sich auch für Sie die Route ganz von selbst. Aber mal der Form halber: Wo besteht denn hier der für Sie so wichtige Unterschied, den ich augenblicklich gerade nicht erkennen kann? An unseren Fahrzeugen kann es ja wohl schlecht liegen. Die sind für Fahrten durch eine bewohnte Ortschaft ebenso ausgelegt wie für Fahrten auf der Autobahn.«
Neuer:»Uns wurde in der Ausbildungsakademie beigebracht, dass der Sicherheitsabstand zur vorausfahrenden Limousine auf Landstraßen immer größer sein sollte als bei Begleitschutzfahrten, die auf der Autobahn durchgeführt werden.«
Alter Hase:»Das erscheint mir nicht logisch. Trotzdem werde ich versuchen, mich auf dieses Gedankenspiel einzulassen. Hat man Ihnen denn auch erläutert, warum sich dieser Sachverhalt ergibt und wo genau hierin der Sinn besteht, den ich gerade überhaupt nicht erkennen kann… und will. Bringen Sie also bitte Licht in mein, wie ich feststellen muss, lückenhaftes Personenschutzwissen, um mir die Notwendigkeit unterschiedlicher Sicherheitsabstände bei unterschiedlichen Straßenbelägen zu erläutern.«
Neuer:»Na ja, das zu erklären ist nicht so ganz einfach. Ich habe es damals auch nicht so genau verstanden. Aber der Abstand auf Landstraßen muss wohl anders bemessen sein als auf Autobahnen – falls es zu einem ungeplanten Wendemanöver kommen sollte, dass sich aus einem unvorhersehbaren Ereignis ergeben könnte. Damit muss man ja im Arbeitsalltag täglich rechnen.«
Alter Hase:»Erstens liegt es im Wesen des Berufes Personenschützer und ist Hauptbestandteil seiner Arbeit, unvorhersehbare Ereignisse abzuwenden. Zweitens wollen Sie mir doch wohl nicht tatsächlich und glaubhaft erzählen, man hätte Ihnen auf der Akademie beigebracht, wie das Wenden eines Personenschutzfahrzeugs auf Autobahnen funktioniert?«
Neuer:»Nein, natürlich nicht so, aber so ähnlich. Also was ich damit meine ist doch nur, dass es dazu kommen könnte und dann das Wissen über den unterschiedlichen Abstand das Überleben sichern könnte, was ja auch für die Schutzperson von nicht unbedeutender Wichtigkeit ist. Oder etwa nicht?«
Alter Hase:»Also mal abgesehen davon, dass Sie keine Möglichkeit haben werden, im Frühverkehr, Fahrtrichtung Frankfurt am Main, Höhe Nordwestkreuz, ein Wendemanöver auf auch nur einem Teilstück dieser Autobahn auszuführen, weil einfach verkehrsbedingt der Platz von Montag bis einschließlich Freitag hierfür gar nicht reichen würde … Also abgesehen davon kann ich keinen nachvollziehbaren Grund und kein schlüssiges Argument in Ihren Ausführungen erkennen, welchen Sinn es machen würde, auf der Autobahn zu wenden, um dann im Gegenverkehr als Geisterfahrer womöglich bei einem Frontalzusammenstoß mit einem vollbeladenen Lastkraftwagen mein Leben und das meiner Schutzperson zu verlieren«.
Neuer: »Oh Gott, wer sagt denn, dass wir auf jeder Begleitschutzfahrt auf der Autobahn gleich sterben müssen? Darüber hat man uns aber in der Akademie nichts beigebracht. Wenn das so ist, werde ich auf keinen Fall einer Route folgen, die mich in den sicheren Tod befördert – auch wenn ich mich aus voller Überzeugung für diesen Beruf entschieden habe.«
Alter Hase:»Wie ich Ihnen eben zu erklären versuchte: Wenn Sie nicht wenden, werden wir auch nicht sterben. Also immer schön geradeaus und dann kommen wir auch heile an. Ich mache das jetzt seit vielen Jahren, und da ich hier nicht als Geist vor ihnen stehe, spricht wohl vieles dafür, dass meine Methode der Begleitschutzfahrt recht gut funktioniert.«
Neuer:»Also jetzt bin ich aber schon mehr als etwas verunsichert, was dieses Wendemanöver auf Autobahnen betrifft. Soll ich denn jetzt wenden und damit mein Leben für das meiner Schutzperson geben, oder soll ich nicht? Und wenn wir wenden, wenden wir dann alle und sterben, oder trifft das nur das Begleitschutzfahrzeug? Was, wenn ich vielleicht früher wende, damit ich schon mal vorfahren kann, um die anderen zu warnen, die uns entgegenkommen? Würde das helfen?«
Alter Hase:»Sehen Sie, es wird einfach nicht passieren! Ich habe mir nämlich fest vorgenommen, auf jeden Fall so zu sterben wie mein Großvater. Ruhig und völlig entspannt im Schlaf.«
Neuer:»Ach, das beruhigt mich jetzt doch ein wenig, dass Sie das sagen. Das meinen Sie auch wirklich so,
oder?«
Alter Hase:»Ich meinte damit, dass ich nicht so sterben möchte, wie damals meine Großmutter: Wild mit den Armen fuchtelnd und laut schreiend auf dem Beifahrersitz, als es in den Gegenverkehr ging.«
Neuer:»Warum nur sind Sie denn bloß so gemein zu mir? Sind das denn keine berechtigten Sorgen, die ich mir mache? Ich bin eben noch nicht soweit wie Sie, dass mir mein Leben eigentlich egal ist. Also, sterben wir heute an diesem sonnigen Tag, oder sterben wir nicht?«
Alter Hase:»Nein, ich sterbe heute definitiv nicht! Und Sie aller Voraussicht nach auch nicht. Jedenfalls nicht während der Begleitschutzfahrt. Und um die Sache hier abzuschließen, merken Sie sich jetzt bitte Folgendes: Sie sollen nicht wenden und auch nicht vorausfahren. Und jetzt rutschen Sie mal rüber, ich fahre selbst!«
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