Alles! Man brachte mir bei, wie ich in den kleinsten Erdlöchern, jedes einzelne kleiner als eine Studentenwohnung in München, überleben konnte. Um geduldig auf den Feind zu warten und ihn dann mit den Mitteln des lautlosen Kampfes seines Lebens zu berauben.
Man setzte mich mitten in den Wäldern Europas per LKW oder Hubschrauber aus und befahl mir, die vielen hundert Kilometer zu Fuß wieder in den Stützpunkt zurückzukehren. Beileibe kein Spaziergang. Verschiedene taktische Aufgaben waren zu bewältigen, ähnlich einer Schnitzeljagd. Man stellte mich bösen Feinden gegenüber, die bis gestern noch meine besten Freunde gewesen waren und ein Zelt mit mir geteilt hatten.
Ich seilte mich in dieser Zeit von unzähligen Häusern ab, immer in dem Unverständnis darüber, warum ich denn nicht den gleichen Weg wieder runtergehen durfte, den ich hochgekommen war. Nämlich die Treppe!
Man lockte mich unter mehr als fadenscheinigen Argumenten in riesige Flugzeuge ohne jeden Komfort, sagte mir nicht, wohin es denn gehen würde. Alles nur, um mich ohne ersichtlichen Grund und mitten auf dem Weg zum Zielflughafen durch eine sich öffnende Heckklappe aus einigen hundert Metern Höhe aus der Maschine zu werfen. Keinen hat es wirklich interessiert, wie ich in Teufels Namen da unten gelandet bin. Und der Weg bis zur Landung war kalt und zugig und ich wurde von Vögeln belästigt, die mich, wen wundert es, keiner ihnen bekannten Gattung zuordnen konnten.
Irgendwann war mein Wille dann so weit gebrochen, dass ich mich entschloss, nach Abschluss dieses Lehrgangs und bestandener Prüfung vollständig auf die dunkle Seite des Militärs zu wechseln. Ich kehrte dem alten Leben und meiner Kompanie endgültig den Rücken. Wurde ein Ausbilder mit Herz, dessen einzige Berufung es war, jungen Kerlen das Überleben gegen alle Gesetze der Natur zu lehren, was mir all die Jahre zugegebenermaßen auch jede Menge Spaß gebracht hat.
Ich besuchte im militärischem Austausch die Kameraden der französischen Legion, weilte bei den Kollegen in Kanada, schaute bei den Amerikanern vorbei und holte mir so nach und nach den letzten Schliff. Mittlerweile zum Offizier befördert und durch den einen oder anderen Einsatz geprägt, kam der Tag, an dem ich mich schweren Herzens entscheiden musste, ob ich für ein Leben bleibe. Weitermachen also oder in das zivile Leben mit all den schönen Dingen zurückkehren und das Militär hinter sich zu lassen?
Ich war verheiratet, hatte eine kleine Tochter und eine Frau. Zivilist also. Hätte ich schon damals von den kurzfristigen Plänen meiner (Ex)-Gattin gewusst, meine Entscheidung wäre sicherlich anders ausgefallen und ich hätte nicht meinen Abschied aus dem aktiven Dienst verkündet.
Sollten Sie nun aber die Meinung gefasst haben, ich hätte aus lauter Gram und Trauer darüber, dass meine Frau mich verlassen hat, den einzigen und letzten Sinn im Leben darin gesehen, mich in die lebensgefährliche Berufssparte des Personenschützers zu begeben, so muss ich Sie jetzt tief enttäuschen.
Erstens wurde ich nicht sofort Personenschützer, was man angesichts meiner speziellen, auf Kampf und Verteidigung ausgelegten, militärischen Ausbildung durchaus hätte annehmen können, und zweitens forderte das zurückgewonnene zivile Leben noch andere Qualitäten und Ausbildungen, die ich mir zuerst Stück für Stück zu erarbeiten hatte.
So trat ich erst einmal in den Dienst einer dieser privaten Sicherheitsfirma ein, die zu dieser Zeit den wirtschaftlichen Aufschwung erlebten. Hier musste ich relativ schnell feststellen, dass meine Erfahrungen im lautlosen Töten, dem Abseilen von großen Höhen, oder das gekonnte Fangen von Wildkaninchen mit einer einfachen Drahtschlinge im zivilen Leben nicht besonders gefragt waren. Einsetzbar wären sie sicherlich gewesen, aber eben nicht vereinbar mit den nach Zivilrecht gültigen Vorschriften und Gesetzen.
Also habe ich wieder bei null angefangen und mein Geld damit verdient, des Nachts und in schmucker Uniform, ausgerüstet mit Funkgerät, Schlagstock und Taschenlampe, die vereinsamten Stockwerke eines großen Bürogebäudekomplexes zu durchstreifen und nach bösen Menschen Ausschau zu halten, die sich unbefugt Zugang zu dem mir unterstellten Objekt hätten verschaffen wollen, um hochwertige Plastikkugelschreiber und seltene Radiergummis in nicht zu beziffernder Höhe zu rauben und ins Ausland zu verschieben. Ein Job also, der mir in den ersten Monaten so gut wie alles abverlangte, was man sich nach seiner Militärzeit in einer nicht ganz alltäglichen Einheit nur vorstellen konnte.
Der zweite Schritt meiner Karriere beförderte mich dann völlig unerwartet in den regulären Tagesdienst zurück, wo ich mir meine Sporen als diensthabender Werkschützer verdienen konnte. Man war auf mich aufmerksam geworden und wollte sich meinen unermüdlichen Einsatz für die Sicherheit und Freiheit der Bürogebäude auch am Tag nutzbar machen. Prima, nach Monaten der Finsternis hatte ich also einen neuen Pfad auf dem Weg nach oben eingeschlagen. Ich durfte bei Tageslicht meinen verantwortungsvollen Aufgaben nachgehen und kam in Kontakt mit Lebewesen, die eine Sprache sprachen, die ich verstand.
Noch eine Weile später erweiterte man mein Aufgabenspektrum um den Verantwortungsbereich der Vorstands -etage in dem Werk, in dem ich meinen Dienst versah.
Im Verlauf der Zeit folgten weitere berufsspezifische Lehrgänge und Ausbildungen. Auf die absolut ausführliche Schilderung verzichte ich hier an dieser Stelle zu Ihren Gunsten, werde aber das eine oder andere Mal zu einem späteren Zeitpunkt darauf eingehen. Dies nur, damit Sie jetzt nicht glauben vom Pförtner bis zum Personenschützer sei nichts weiter nötig als geduldig auf die nächste Beförderung zu warten.
Wieder ging eine geraume Zeit ins Land, in der sich nicht sonderlich viel in meinem Berufsleben veränderte. Bis der Tag kam, an dem der Vorstandsvorsitzende unserer Gesellschaft wechselte und eine neue Personenschutzgruppe ins Leben gerufen wurde. Meine Stunde war gekommen. Ich wurde Personenschützer: erst im erweiterten Umfeld und schließlich als Vertrauter und ständiger Begleiter meiner Schutzperson.
Dieses Kommando habe ich viele Jahre und mit wirklicher Leidenschaft für diesen Beruf geführt.
Wer sind denn nun die anderen?
Kommen wir darum nun zur zweiten Gruppe, die sich auf den beruflichen Weg zum Personenschützer macht.
Keine Sorge, diese Ausführung wird nicht halb so lang werden wie meine eigene, ist dafür aber leider auch nicht halb so spektakulär und interessant.
Personen der zweiten Gruppe sind meist auch ehemalige und vorgebildete Berufssoldaten der Bundeswehr, die sich die Förderungsmaßnahmen des Staates zunutze machen, um sich im Bereich Personenschutz ausbilden zu lassen. War es Anfang der neunziger Jahre, wie in meinem Fall, noch üblich, den langen und praxisorientierten Weg zum Beruf einzuschlagen, werden diese Menschen zunächst komplett und in relativ kurzer Zeit ausgebildet und dann direkt im Personenschutz eingesetzt. Vorausgesetzt, sie finden eine Anstellung.
Die Ausbildung erfolgt meist in einer Art Kompaktlehrgang und in sogenannten Personenschutz-Ausbildungsakademien, die selbstverständlich nur von hoch versierten Ausbildern betrieben werden. Ein solcher Kompaktlehrgang dauert etwa, je nach Akademie, ein halbes-bis ein Jahr.
Hier wird den Absolventen während ihrer Verweildauer eine entsprechende körperliche Fitness verabreicht. Zusätzlich werden sie natürlich auch im Situationsschießen trainiert. Ebenfalls kompakt wird ihnen das ganze rechtliche und sicherheitsrelevante Gedöns vermittelt. Ein paar Übungen in Selbstverteidigung und bei einigen Anbietern auch gewisse Regeln der Etikette. Und, sofern die Zeit es zulässt, zeigt man ihnen auf einem dieser sagenumwobenen Fahrerlehrgänge die wendigsten Fahrmanöver, die ein Mensch sich nur denken kann. Leider meist nur auf Übungsplätzen, die von der situativen Realität im Beruf in etwa so weit entfernt sind, wie für mich ein Treffen mit Inge Meisel zum Abendessen.
Читать дальше