Ich schenkte ihr jedoch keinerlei Aufmerksamkeit mehr, da ich noch immer von ihrer gelangweilten Art enttäuscht war.
„Über das Flirten muss ich dir noch einiges beibringen“, sagte mir Carsten, als wir uns auf den Weg zu dem Parkplatz machten.
Dort angekommen, tummelten sich bereits mehrere Menschen um das Gepäckfach des Busses, welches unter den Sitzreihen offen stand und von dem Busfahrer fachmännisch beladen wurde. Ich und Carsten mussten noch ein wenig warten, da unser Hotel wohl als Erstes angefahren werden sollte. Folglich musste unser Gepäck zum Schluss verladen werden. Nachdem der Fahrer Carstens Koffer untergebracht hatte, schnappte er sich mein gutes Stück und wollte es locker mit einer Hand anheben, was natürlich nicht gelang.
„Joder“, stieß er innbrünstig auf Spanisch aus und ließ den Koffer wie eine heiße Kartoffel los. Demonstrativ schob er beide Armgelenke von hinten in den unteren Rücken. Er stöhnte dabei leidvoll auf, um mir zu verdeutlichen, dass er offensichtlich unter Kreuzschmerzen litt. Hilfesuchend blickte ich mich nach Carsten um, der jedoch bereits im Bus verschwunden war. So stand ich nun da und versuchte den Koffer in das Gepäckfach zu hieven, wobei meine linke Hand nach wie vor nutzlos herunterhing und sich völlig kraftlos anfühlte. Ich musste den Koffer nun auch noch auf alle anderen legen, da am Boden kein Platz mehr war. Der Busfahrer schaute mir interessiert bei meinen Bemühungen zu, ein über dreißig Kilogramm schweres Monstrum, quasi mit einer Hand unter Zuhilfenahme meines angewinkelten Knies in den Bus zu buxieren. Es kostete mich viel Mühe und einiges an geschickter Akrobatik um dies zu schaffen, aber es gelang mir und schließlich lag der Koffer auf den anderen. Mit dieser Nummer hätte ich wahrscheinlich auch in jedem Zirkus auftreten können.
Triumphierend blickte ich in Richtung Busfahrer, neben dem mittlerweile noch ein Kollege stand, der mir mit verschränkten Armen zusah und anerkennend nickte.
Ich bestieg den Bus und der Blick der meisten Fahrgäste war auf mich gerichtet. Man wartete scheinbar nur noch auf mich, und entsprechend genervt wirkten einige der Insassen.
Der Bus war rappelvoll und ich hielt Ausschau nach Carsten, als es einen Ruck machte und ich durch das abrupte Anfahren des Busses das Gleichgewicht verlor. Dabei fiel ich beinahe auf einen Mann, der mich erschrocken ansah. Mit meinem funktionsfähigen Arm konnte ich jedoch verhindern, dass ich in seinem Schoß landete, indem ich mich rasch an der Sitzlehne abstützte. Ich erblickte Carsten in der letzten Reihe und wankte zu ihm.
„Wo warst du denn so lange?“
Ich ersparte mir die Erklärung, da dies sicherlich wieder einen Kofferwitz mit sich gebracht hätte, über den ich sicher nicht lachen konnte.
Nach nicht einmal fünf Minuten Fahrt erreichten wir den ersten Halt und der Fahrer rief den Namen unseres Hotels in den Fahrgastraum. Außer mir und Carsten verließ den Bus niemand. Dieses Mal half mir Carsten gnädigerweise beim Herausheben des Koffers. Der Busfahrer zeigte uns den Weg zu unserem Hotel, das in einer Einbahnstraße lag. In diese konnte der Bus nicht fahren, somit waren wir gezwungen, über einen engen Fußweg zu dem Hotel zu laufen. Dabei handelte es sich um einen Komplex, der wohl im Laufe der Jahre aus verschiedenen Gebäuden zusammengewachsen war.
An der Rezeption wurden uns die Zimmer zugewiesen. Ich und Carsten waren in zwei verschiedenen Gebäudekomplexen untergebracht, somit trennten sich unsere Wege nun fürs Erste. Mein Zimmer lag im vierten Stock eines Nebengebäudes. Es war jedoch nur über eine ziemlich enge Treppe zu erreichen, die sich recht steil nach oben zog. Das Ganze bedeutete Krafttraining pur für meinen rechten Arm. Den linken schonte ich zur Sicherheit, da dieser sich noch immer taub anfühlte.
Carsten und ich verabredeten uns für zweiundzwanzig Uhr, da wir noch etwas essen wollten.
Wir hatten zwar Halbpension gebucht, da das Hotelrestaurant jedoch bereits geschlossen war, mussten wir uns außerhalb etwas suchen.
Immer wieder machte ich auf dem Weg nach oben eine kleine Pause, um mich von dem Aufstieg, samt dem schweren Anhängsel zu erholen. Schließlich oben angekommen, betrat ich erschöpft das Zimmer, das die nächsten zehn Tage mein Quartier sein sollte.
Ich blickte in einen großen Raum, in dem ein Doppelbett stand, links führte eine schmale Tür ins Bad. Der erste Eindruck war gut und ich ließ mich erst einmal auf das Bett fallen. Ich fiel tiefer als erwartet und wähnte mich nun in einer Hängematte. Die Matratze hatte zweifelsohne schon bessere Zeiten erlebt.
Mein nächster Blick fiel auf ein recht kitschiges Bild an der Wand, auf dem ein Strand und das Meer zu sehen war. Bei längerer Betrachtung taten einem jedoch die Augen weh, da der Künstler, der sich für dieses Werk verantwortlich zeigte, kein Fan von weichen Farben war, sondern eher die grellen Töne bevorzugte. Dies passte aber irgendwie gar nicht zu dem romantischen Motiv. Durch die grellen Farben, die schon in Richtung Neon gingen, wirkte dieses Bild unruhig.
Nun ist das bei Kunst immer so eine Sache und so stellte ich mir die Frage, warum der Künstler sich für diese grellen Farben entschied. Vielleicht wollte er damit eine Botschaft vermitteln, eine Art Warnsignal an die Menschheit. Denn dieses Gemälde wirkte alles andere als natürlich. Es kam übertrieben künstlich rüber und vielleicht sollten die grellen Farben ja auch den Einfluss des Menschen auf die Natur signalisieren. Mein zugegebener Maßen nicht ganz fachmännisches Urteil lautete jedoch abschließend, dass es sich um einen ziemlich miesen Maler handeln musste. Offenbar entschied dieser sich einfach für die billigsten Farben, ohne sich lange von irgendwelchen Gedankengängen inspirieren zu lassen.
Ich kämpfte mich wieder aus dem Bett, das kurz davor war, mich komplett zu verschlucken und öffnete die Balkontür. Ein lautes Geräusch ließ mich zusammenzucken. Direkt über dem Hotel schob sich gerade ein Flugzeug in den Himmel. Na toll , dass war also mit der guten Anbindung zum Flughafen gemeint.
In der Tat war der Anfahrtsweg vom Flughafen kurz. Der Lärm der Flieger, die hier das Hotel überquerten war jedoch auch nicht ohne. Ich blickte auf den Innenhof, indem sich ein nicht allzu großer Pool befand.
„Heiko“, hörte ich es aus der Ferne.
Ich blickte zu dem gegenüberliegenden Gebäude und sah dort Carsten. Dieser stand ebenfalls auf seinem winzigen Balkon und verschaffte sich einen Überblick. Ich winkte zurück und sah mich weiter um. Die gut beleuchtete Hotelanlage erlaubte es mir auch, ein bisschen was von der Umgebung zu sehen. Ein Gebäude reihte sich hier an das nächste.
Zurück im Zimmer, öffnete ich meinen Koffer, der erleichtert aufsprang und den Inhalt freigab.
Ich schnappte mir kurz meinen Kulturbeutel und verschwand im Bad, um mich frisch zu machen. Diese Räumlichkeit war relativ schlicht eingerichtet und ziemlich klein. Am hinteren Ende befand sich eine kleine Sitzbadewanne, die hinter einem leicht vergilbten Duschvorhang versteckt war und alles in allem nicht besonders einladend aussah.
Nachdem ich mich am Waschbecken frisch gemacht hatte, ging ich wieder zur Rezeption. Dort stand Carsten bereits und wartete.
„Und wie ist dein Zimmer?“, fragte er.
„Es ist okay, nur die Matratze ist etwas mitgenommen.“
Gemeinsam gingen wir Richtung Strandpromenade, die etwa fünfhundert Meter vom Hotel entfernt war und ich atmete einmal tief durch, um den würzigen Duft des Meeres aufzusaugen. Das war nun Urlaubsfeeling pur. Nach ein paar Schritten landeten wir am Beginn des großen Strandabschnittes, der auch gleichzeitig das Ende des berühmt berüchtigten Ballermanns bildete. Ich freute mich bereits darauf, am nächsten Tag in die Fluten des Mittelmeeres einzutauchen, um dann meinen erholungsbedürftigen Körper auf Entspannungsmodus schalten zu können.
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