In der herumstehenden Meute machte sich leichte Panik breit, da keiner genau wusste was genau passiert war. Der Mann, der eigentlich als Puffer zwischen der Scheibe und ihr dienen sollte, bückte sich zu ihr runter und half ihr auf. Gleichzeitig schob ich mich etwas zurück, da ich davon ausgehen musste, dass sich die Frau gleich umdrehen würde, um nach der Person Ausschau zu halten, die ihr den finalen KO-Stoß verpasste. Allerdings war es sehr dunkel, was mir sehr entgegen kam.
Schließlich gelang es mir, mich aus dem direkten Umfeld des Geschehens zu lösen und ich beobachtete die Szenerie aus gesicherter Distanz.
Offenbar hatte die Frau nur Nasenbluten und die allgemeine Unruhe, die sich im Laufe dieses Vorfalls ergab, ebbte auch allmählich ab. Ich konnte noch mit ansehen, wie sich der Mann nun rührend um die Frau kümmerte. Er reichte ihr ein Taschentuch, damit sie es auf ihre blutende Nase legen konnte. Diese quittierte die Geste mit einem liebevollen Lächeln und die beiden gingen weiter. Ich sah diesen Versuch der Annäherung als gescheitert an und blickte mich suchend nach Carsten um. Der war jedoch verschwunden, genauso wie die Frau, die er erfolgreich eroberte.
Mit der Menge schob ich mich durch den Gang, in dem sich ein Aquarium an das andere reihte. Carsten war jedoch wie vom Erdboden verschwunden, so versuchte ich ihn über das Handy anzurufen. Dieses Unterfangen war jedoch nicht von Erfolg gekrönt, da mir eine weibliche Computerstimme versicherte, dass der Teilnehmer derzeit nicht erreichbar sei.
Kurzer Hand entschloss ich mich nun auf eigene Faust in Richtung der Hauptattraktion zu begeben. Ich ging zu dem riesigen Meereswasserbecken, in denen es auch Haie zu bestaunen gab. Hier angekommen, betrat ich eine Art Vorraum, in dem bereits einige Menschen versammelt waren. An der vordersten Front, direkt vor der Scheibe, lagen Sitzkissen, die ziemlich gemütlich aussahen. So begab ich mich direkt dort hin, um mir einen Platz in der ersten Reihe zu sichern. Ein kleiner Junge hatte wohl denselben Gedanken, und steuerte dieses ebenfalls an. Er hätte sich diesen Weg jedoch sparen können, denn ich erreichte es schneller und machte es mir darauf bequem. Offensichtlich fiel es dem Unterlegenen jedoch schwer, mit dieser Niederlage umzugehen. Er heulte laut los und rannte in Richtung seiner Eltern. Die Mutter warf mir einen verächtlichen Blick zu, während der Vater den Kleinen in den Arm nahm, um ihn zu trösten. Ich drehte mich wieder nach vorne und zuckte erschrocken zusammen. Ein schätzungsweise fünf Meter langer Hai schwamm direkt vor meiner Nase an mir vorbei. Das, was ich zuerst zu sehen bekam, war das Furcht einflössende Gebiss des Monstrums, das sich ohne Vorwarnung von links in meinen Blickwinkel schob. Mich beschlich das Gefühl, dass dieser Riesen-Klopper ein leichtes Grinsen auf den Lippen hatte. Von hinten nahm ich zumindest das laute Lachen des Rackers wahr, der gerade noch den Kürzeren beim Kampf um das Sitzkissen zog.
Die nächsten zehn Minuten empfand ich jedoch als wahre Entspannung, da der Blick in dieses tiefe und endlos wirkende Becken sehr beruhigend war.
Der Hai, der mich gerade fast zu Tode erschreckte, schwamm zwischenzeitlich nochmal direkt an meiner Nase vorbei. Dieses Mal streckte ich ihm die Zunge raus, war jedoch mehr als froh, dass eine dicke Scheibe zwischen uns war.
Nach dieser chilligen Pause, mit Blick auf die weite Unterwasserwelt, begab ich mich in Richtung Hauptplatz, in der Hoffnung dort Carsten zu treffen. Dieser war jedoch weder dort, noch in dem Mittelmeergarten zu finden, den ich anschließend aufsuchte.
Die dort beheimateten Schildkröten empfand ich allerdings als eher langweilig. Bedauerlicherweise gab es in dem ganzen Areal keine Delphine, die ich schon als Kind so mochte.
Was ich hier jedoch sehen konnte, war die Dame, der ich kurz vorher einen schwungvollen Rempler verpasste. Sie unterhielt sich angeregt mit ihrem Helfer. Dieser schien die Rettungsaktion wohl genutzt zu haben, um näher mit ihr in Kontakt zu kommen.
Ich kam mir vor wie Amor mit dem Pfeil, der die beiden zusammengebracht hatte, fühlte mich in dieser Rolle jedoch überhaupt nicht wohl. Eigentlich sollte ich derjenige sein, der nun neben ihr stand. Dieser Zug war jedoch abgefahren.
Auf dem Weg zum Quallenbecken klingelte dann mein Handy. Es war Carsten.
„Wo bist du denn?“, fragte ich ihn.
„Ich bin vor der Eingangstür.“
„Vor der Eingangstür? Wieso das denn?“
„Das erkläre ich dir gleich. Kommst du raus oder willst du noch drin bleiben?“
„Okay, ich komme raus.“
Auf dem Weg nach draußen kaufte ich natürlich noch das Foto, das man am Eingang von uns machte, um dann draußen Carsten zu treffen.
„Wieso bist du denn schon draußen?“
„Das ist ziemlich einfach, ich bin rausgeflogen.“
„Warum das denn?“
„Man nennt das wohl Erregung öffentlichen Ärgernisses.“
Eigentlich hätte ich mir die Frage sparen können, ich stellte sie dennoch. „Wie hast du das denn geschafft?“
„Clarissa und ich sind uns im Dschungel etwas näher gekommen, wenn du verstehst was ich meine.“
Ich verstand natürlich schon, was er damit meinte und brachte es auf den Punkt. „Ihr habt da drinnen gepoppt?“
„Ja, hinter diesem riesigen Piratenschiff. Blöd nur, dass dort gerade so ein verkappter Kapitän einen auf Animation machen musste und just in dem Moment mit einer Horde Touris ums Eck kam, als ich dabei war meine Kanone abzufeuern. Peinliche Sache.“
Ich grinste. „Und wo ist diese Clarissa jetzt?“
„Der war das Ganze auch ziemlich peinlich und ist abgerauscht. Die war mit so einer Reisegruppe da und hat sich ein Taxi genommen, da sie Angst hatte, dass die anderen davon Wind bekommen würden.“
„Seht ihr euch denn noch mal?“
„Das glaube ich eher nicht, ihr Freund liegt nämlich in einem Hotel in Alcudia am Pool und wartet auf sie.“
„Das hat sie dir erzählt?“
„Nicht direkt, aber er hatte angerufen und das habe ich mitbekommen.“
„Vor oder nach eurem öffentlichen Schäferstündchen?“
„Währenddessen, deshalb hatte sich das Ganze ja auch rausgezögert.“
Ich schüttelte den Kopf. „Du bist ja drauf.“
„Tja, von dem Aquarium habe ich nicht viel mitbekommen. War es denn interessant?“
„Ja, ich habe sogar Nemo gesehen und einen riesigen Hai.“
Wir setzten uns in Bewegung und gingen zum Hotel zurück. Den Strand besuchten wir nicht mehr, da dicke Gewitterwolken aufzogen, und es nach Regen aussah.
„War aber ziemlich voll da drin“, sagte ich.
„Das stimmt, das kam mir aber durchaus gelegen, den durch die Enge bin ich Clarissa näher gekommen, ist echt eine gute Anmachmasche. Einfach anrempeln, sich entschuldigen und ins Gespräch kommen. Solltest du vielleicht auch mal probieren.“
Natürlich erwähnte ich nicht, dass ich es ausprobiert hatte, dabei ein mittelschweres Blutbad anrichtete und einen traumatisierten Nemo hinterließ. Ich nickte lediglich.
Im Hotel angekommen, trennten sich unsere Wege erst einmal wieder. Wir vereinbarten uns zum Abendessen zu treffen. Bis dahin dauerte es noch etwas und so hatte ich ein bisschen Zeit darüber nachzudenken, was sich am Abend zuvor abgespielt haben könnte. Trotz aller Anstrengungen und Abwägungen gelang es mir jedoch nicht, auch nur ansatzweise Licht ins Dunkel zu bringen. So überlegte ich, meiner Bettnachbarin der letzten Nacht einen Besuch abzustatten, um von ihr vielleicht nähere Einzelheiten zu erfahren. Nach reichlicher Überlegung entschied ich mich jedoch dagegen, da ich nicht wusste wie sie reagieren würde und wahrscheinlich eh nicht auf ihrem Zimmer war.
So verbrachte ich den Spätnachmittag auf meinem kleinen Balkon, von dem aus ich sogar einen seitlichen Meerblick hatte. Es war zwar nur ein Stückchen Blau, was man zwischen den Häusern erspähen konnte, aber es war das Meer. Somit konnte ich mit Fug und Recht behaupten, ein Zimmer mit Meeresblick zu haben. Über mir zogen im gefühlten Fünfminutentakt die Flugzeuge gen Himmel, um die Insel in alle Richtungen zu verlassen. An Bord Unmengen von Menschen, die alle erholt sein sollten und wahrscheinlich mit einem wehmütigen Gefühl in ihren Alltag zurück verfrachtet wurden. Somit erfreute ich mich daran, dass mir noch einige schöne Tage auf der Baleareninsel bevorstanden und ich die Hoffnung nicht aufgeben wollte, was die Kontaktanbahnungen anbelangte. Bisher verliefen die intensiven Bemühungen dahingehend ja eher suboptimal, aber ich beschloss positiv nach vorne zu blicken.
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