Dort lag aber noch etwas anderes, das sofort seine Neugier weckte. Er sah eine dunklen Schatten krumm über dieses etwas gebeugt. Böses war hier im Gange, etwas Grauenvolles, dies spürte er. Er versuchte sich zu konzentrieren, seine Sinne zu schärfen, und dann erkannte er ihn, den Jungen, blutüberströmt dort liegen. Wilde Gedanken schossen ihm durch den Kopf, denn Kaspar wusste nur zu gut, wo er hier war und mit wem er es zu tun bekommen würde.
Die Hexe schrie auf, als sich der Pfeil in ihren Arm bohrte und sie durch die Wucht zur Seite gestoßen wurde. Sie torkelte, und das Beil fiel klirrend auf den Boden. Blitzschnell hatte Kaspar den Bogen erneut gespannt und ließ, so rasch er konnte, einen weiteren auf sie ab, in der unguten Gewissheit, den Überraschungsmoment nun nicht mehr auf seiner Seite zu haben. Der Pfeil blieb im Balken stecken.
»Verdammt!!!«, schimpfte er und warf den Bogen verärgert von sich, um dann blitzschnell seinen Yatagan aus der Scheide zu ziehen.
»Dann halt auf die harte Art und Weise!«
Kaum hatte er den orientalischen Säbel gezogen, da spürte er auch schon einen heftigen Schmerz in seiner Schulter, denn spitze Krallen bohrten sich durch seine Kleidung und in sein Fleisch hinein. Er drehte sich so rasch er konnte und hieb mit der Klinge um sich. So überraschend die Angreiferin gekommen war, so schnell war sie auch wieder in der Dunkelheit verschwunden. Er versuchte sich zu konzentrieren, besser sehen zu können, doch war es hier immer noch stockduster. Er spürte etwas im Rücken. Dieses Mal war es ein spitzes Messer, das nach ihm stach, dem er aber gerade noch rechtzeitig ausweichen konnte. Erneut hieb er um sich, und als die Kreatur in der Finsternis vor Schmerz aufschrie, wusste er, dass er dieses Mal getroffen hatte.
»Wer ist es, der uns wehtut?«, klagte sie laut und spuckte Blut, denn er hatte ihre abscheuliche Fratze getroffen.
Wo kam die Stimme her? Er versuchte sie ausfindig zu machen.
»Komm heraus aus der Dunkelheit, die dich beschützt, dann sage ich es dir gern!«, rief Kaspar ihr zu.
»Das hätte es gerne, das clevere Bürschchen, der garstige Unhold. Abstechen will er uns, der Mordbube, doch zerquetscht wirst du!«, zischelte sie böse.
»Ich bin nicht gekommen, um mit dir zu kämpfen, Weib!«
Kaspar senkte beschwichtigend seinen Säbel.
»Ich möchte einen Handel! Nur darum bin ich hier. Dieser kann für uns beide lohnend sein.«, fügte er hinzu.
Für einen Augenblick herrschte Stille in der kleinen Hütte.
»So, so…einen Handel will es?«
In der Dunkelheit blitzten zwei helle Punkte auf.
»Ja, darum bin ich zu dir gekommen! Zu der großen Zauberkünstlerin.«, antworte er, zufrieden ihr Interesse geweckt zu haben.
»Und warum verletzt es uns dann? Häh? Will unsere Hilfe, gar einen Handel und überfällt uns im eigenen Heim? Greift uns hinterhältig an, der Spitzbube!«, krächzte die Hexe, und das Blut lief ihr spitzes Kinn hinab und tropfte auf den Boden.
»Du hättest mich nicht lang genug am Leben gelassen, um mein Anliegen vortragen zu können. Nur so war es möglich, mich dir bemerkbar zu machen, mit dir reden zu können. Ohne diese kleine Hakelei hättest du mich sofort in tausend Stücke gerissen! Ist dem nicht so, oh mächtige Walburga? Was sind da schon ein paar kleine Hiebe und Stiche, winzige Piekser von einer Pfeilspitze? Nur lästig, für so eine mächtige Hexe, wie dich. Ich weiß von euren enormen Heilungskräften, oh mächtiges Hexenweib!«
Er verbeugte sich, in der Hoffnung, so überzeugender zu wirken.
»So, so!.. Und warum sollten wir dir glauben, gar überhaupt mit dir weiter schwätzen? Dich am kläglichen Leben lassen? Reine Zeitverschwendung! Du bist lästig und uns im Weg. Kalt wirst du gleich sein…«, drohte sie ihm unbeeindruckt, und er konnte spüren, wie sie sich anschickte, sich auf ihn zu stürzen, um ihn zu zerreißen.
Rasch nahm Kaspar sein kleines Säcklein vom Rücken, öffnete so schnell es nur ging dessen Verschnürung, und zog dann ein prachtvolles, goldenes Säckchen hervor, welches er nun hoch in die Luft hielt.
»Darum!«
»Luzifer und alle bösen Mächte! Was ist es? Ist es das, was wir glauben? Kann nicht sein…«, murmelte die kratzige Stimme ungläubig vor sich hin.
»Was sagt dir dein Gefühl?«, hakte er nach.
Walburga schloss, verborgen in der Dunkelheit, ihre bleichen Augen. Wie ein Raubtier, welches die Witterung seines Opfers im Winde aufnahm, erkundete sie nun mit Hilfe ihrer magischen Kräfte, was sich in diesem Säcklein verbarg. Schließlich grinste sie zufrieden mit ihrem schiefen Mund.
»Ahhhhh, nun können wir es spüren! Fürwahr eine Kostbarkeit, die es da bei sich trägt.«, sagte sie, und ihre Stimme wurde dabei immer leiser.
Kaspar war mehr als überrascht, als plötzlich aus dem Nichts, eine geisterhaft schimmernde jungen Frau vor ihm erschien. Diese war in ein weißes, leicht durchscheinendes Gewand gehüllt, und mit ihren langen, wehenden Haaren nun auf ihn zuschwebend, sah sie furchteinflößend, jedoch gleichwohl auch wunderschön und sehr verführerisch aus. Er blieb wie angewurzelt stehen, staunte, und ließ es zu, dass die feinen Hände der jungen Hexe das prunkvolle Säcklein berührten. Ihre zarte Hand streifte dabei die seine, und ihre Augen strahlten ihn an.
»Ein Hexenstein! Würdig, ein ganzes Königreich dafür einzutauschen«, hauchte sie sanft.
Kaspar nickte zustimmend.
»Du spürst seine Zauberkraft bereits, oder?«, lächelte er sie an.
»Ja das tue ich, wie du wohl mit deinen eigenen Augen sehen kannst. Ich wandle schon seit Jahrhunderten hier auf dieser Welt umher, und nie habe ich auch nur einen von ihnen mit meinen eigenen Augen sehen dürfen. Es gab Geschichten, Legenden, ja, die gibt es immer, doch wie kommt ein gewöhnlicher Mann, so wie du, in den Besitz eines solchen Schatzes?«, wollte sie wissen.
Er sah sie ernst an.
»Das ist eine lange Geschichte, doch ersparen wir sie uns beide fürs erste. Es war alles andere als leicht, dies kann ich dir versichern, doch zählt schließlich, dass ich ihn habe. Mit seiner Hilfe kannst du mächtig sein und noch viele weitere Jahrhunderte leben.«
»Willst du ihn mir geben? Hier und jetzt?«, hauchte sie.
Ihr schlanker Körper schmieg sich an den seinen, und er spürte dabei ihren pochenden, warmen Busen. Sie strich mit ihren zarten Fingern über seine Lippen, doch als sie dann nach dem Säcklein griff, steckte er es rasch in seine Tasche.
»Natürlich nicht ohne eine Gegenleistung.«, antwortete er.
Kaspar versuchte wieder Herr seiner Sinne zu werden. Dies hatte die Hexe bemerkt, und es belustigte sie nun ungemein.
»Oh ich kann dir alles geben, was du willst, Fremder! Alles…«, hauchte sie.
Sie umarmte ihn zärtlich, und sie küssten sich leidenschaftlich, doch dann blitzten ihre Augen plötzlich böse auf, und er spürte, wie ihr Griff immer fester wurde.
»Warum soll ich dich aber nicht gleich hier auf der Stelle zerquetschen und den Stein einfach so an mich nehmen?«, drohte sie ihm.
»Wenn du das könntest, dazu im Stande wärst, wäre ich schon lange tot. Du weißt so gut wie ich, dass Hexensteine nur durch einen ehrlichen Handel übergeben werden können, sonst verlieren sie ihre Macht. Ein Handel, erinnerst du dich?«, keuchte er.
Ihr Griff lockerte sich wieder. Erleichtert und auch mit etwas Genugtuung stieß er sie von sich. Die Hexe leckte sich genüsslich über ihre Lippen und grinste.
»Schlaues Bürschchen! Nun denn, Schöner, lass sehen, welche Gelüste dich plagen und wie ich dir diese zu deiner vollsten Zufriedenheit befriedigen kann…«
Kaspar nickte kurz, dann sagte er:
»Der Stein gegen drei Gefallen! Stimmst du dem zu, Hexe?«
Walburga dachte nach.
»Gut!«, antworte sie ihm dann, und ihr war bewusst, dass solch ein wichtiges Geschäft niemals gebrochen werden durfte.
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