„Ihr Name, Geburtsdatum, Geburtsort und Wohnsitz?“
„ Herr Hauptkommissar, mein bürgerlicher Name ist Franziskus Faller. Oder so ähnlich. Franz oder Franziskus. Jedenfalls muss das noch irgendwo registriert sein. Damit endet aber schon mein Wissen. Ich bin ein Bankert, vermutlich ein sogenanntes Pfaffenkind, Fehltritt eines Pfarrers oder Kaplans, abgeschoben in ein von Nonnen geführtes Waisenhaus. Vermutlich geboren 1948, Nachkriegskind. Einen Geburtstag habe ich nicht. Nur Namenstag. Wo ich wohne, wissen Sie ja!“
„Wann sind Sie in das Nonnenkloster St. Agatha gekommen?“
„ Nach der Schule, also wohl mit 14. War eine Befreiung!“
„Wieso? Welchen Schulabschluss haben Sie?“
„ Na ja, es ging sehr streng zu. Wir Pfaffenbankerts mussten wohl die Züchtigungen erleiden, die die Nonnen eigentlich unseren Erzeugern oder deren Liebchen zugedacht hatten. Es gab die unschuldigen Kindlein - und uns. Heute würde man sagen, ich habe einen Hauptschulabschluss. Ein Zeugnis habe ich nicht.“
„Und dann, Herr Faller? Erzählen Sie mal, wie den Ihr weiteres Leben ablief!“
„ Also wissen Sie, Herr Hauptkommissar, dieses ‚Herr Faller’ klingt so, als sei da noch ein anderer Mann im Raum. Dann schon eher ‚Franz’ oder lassen Sie’s beim ‚Hugo’. Also im Kloster oder vielmehr in der Ökonomie kam ich in die Lehre beim Fridolin. Der hieß auch nicht so, wurde aber von allen so genannt. Wissen Sie, unsereins ist nicht ‚Herr Soundso’, sondern eben Fridolin oder Hugo. Fridolin war ein Kriegsheimkehrer. Er erzählte mir oft von den wirren Tagen bei Kriegsende. Ende des Krieges diente das Kloster als Lazarett. Dann war es wohl ein Fluchtort versprengter Soldaten. Als die Amis kamen, hat Frido sich in dem verlassenen Gemäuer versteckt. Die Nazis und die Soldaten waren geflohen. Er hat dann im Park, im See, in den Ställen die Waffen und den ganzen Kram aufgesammelt. Hat er mir erst viel später gezeigt.
Früher, zu Zeiten der Nonnen, gab es ja noch Kühe, Schweine und Hühner sowie ein Pferd für den Wagen. Nachdem der Fridolin verstorben war, wurden die Tiere abgeschafft. Erst das Pferd, dann die Schweine, dann die Kühe. Jetzt gibt es nur noch meine Hühner.
Vom Fridolin habe ich alles gelernt. Wie man Stromanschlüsse legt, Wasserleitungen repariert, undichte Dächer. Dann natürlich alles, was im Garten zu tun ist. Die Nonnen lebten ja fast nur von dem, was die Ökonomie, der Garten und der Wald so her gab. Fischen habe ich gelernt, denn freitags gab’s ja nur Fisch oder, wenn wir nicht genügend Fische gefangen hatten, auch mal gar nichts. Auch für uns nichts.
Na ja, und dann war Fridolin auch der Totengräber .... Sie wissen ja, der Herr dort (er zeigte auf Elsterhorst) war ja mehrmals auf dem alten Friedhof. Als Fridolin starb, der war lange Zeit schwer krank, habe ich dann alles allein gemacht.“
„2005 ist ja dann das Nonnenkloster aufgelöst worden. Wissen Sie warum? Und wie ging es dann weiter?“
„ Steht mir ja nicht zu, Herr Hauptkommissar, aber ich hätte die Nonnen schon länger zum Teufel gejagt. So ein Haufen Weiber, die nichts zu tun haben außer beten, Religionsunterricht geben, andere traktieren, streiten, mit sich selbst nicht zurecht kommen und das dann an anderen und an mir vor allem auslassen. Ein paar sind weggelaufen. Merkwürdig viele sind gestorben. Ich vermute mal, die haben sich umgebracht. Weil ich die nicht auf dem Friedhof, sondern im Wald dahinter vergraben musste, in nicht geweihtem Boden. Zwei habe ich auf dem Hof aufgekratzt. Die haben sich angeblich aus dem dritten Stock gestürzt!“
„Wieso angeblich? Sie haben Tagebuch geführt, sagten Sie. Sind das diese Schulhefte, die ich im Küchentisch sichergestellt habe?“
„ Ob die vollständig sind, weiß ich nicht. Angeblich? Na ja, ich bin ja kein Kriminaler wie Sie, aber es könnte auch sein, dass die schon tot waren, als sie aus dem Fenster entsorgt wurden! Ich durfte ja das Haus nur zum Gottesdienst am Sonntag betreten, und nur in einer kleinen Nebenkammer. Und wenn mal wieder was kaputt war. Dann musste ich so eine Art Kutte überziehen, bodenlang. Ich wusste daher, dass im dritten Stock eigentlich keine Zellen waren. Nur ein Zimmer, eingerichtet wie ein Gästezimmer. Da habe ich mal eine Scheibe auswechseln müssen.“
„Und wie ging es dann weiter?“
„ Eines Tages waren die Nonnen weg. Alle mit einem Bus. Das Haus war leer. Die Schlüssel lagen in der Halle auf dem Tisch. Ich dachte erst, die machen einen Ausflug. Aber die kamen nicht zurück. Ich habe mich ganz vorsichtig durchs Haus geschlichen. Niemand da. Das war vielleicht gespenstisch. In der Kapelle stand der Tabernakel offen. Das Ewige Licht flackerte noch. In den Zimmern lag noch allerhand Kram. Die Betten nicht gemacht. Also da gab es ja nur so Wolldecken. Im Keller fand ich noch Vorräte, von denen ich mich einige Zeit ernähren konnte. Die Bücher aus der Bibliothek habe ich an mich genommen, also gerettet. Sollte ja nichts wegkommen.“
„Hat sich niemand um Sie gekümmert? Ihnen kein Geld dagelassen? Ihren Lohn?“
„ Der Lohn war doch stets das ‚Vergelt’s Gott’! Wenn ich zum Einkaufen gefahren bin, musste ich auf Heller und Pfennig alles abrechnen!“
„Sie haben einen Führerschein?“
„ Nein! Nie gemacht! Wie auch? Wir hatten so einen alten Wehrmachts-VW-Transporter. Mit dem bin ich manchmal nach Weilheim gefahren! - Als dann das große Haus leer stand, kamen immer wieder Leute. So Makler, denke ich. Die herrschten mich an, als sei ich der letzte Dreck. Als sei es selbstverständlich, dass ich mich um alles kümmere, ohne irgendein Entgelt. Ich hätte ja auch weggehen können; aber ohne Papiere? Ohne Geld? Da war noch ein Sparbuch. Mit dem Namen einer Nonne, die ich beerdigen musste! Das lag in einer Zelle unter dem Strohsack. Ich hab’s aufgehoben und aufbewahrt. Muss auch in der Schublade gelegen haben. Aber ich habe nichts davon genommen. Hätte ich ja auch nicht können.“
„Dann kamen die neuen Eigentümer!“
„ Na das waren ja vielleicht welche! Eigentümerinnen! Wie Managerinnen! Für die war ich nur noch Sklave! Da wurde ich nur noch rumkommandiert. Dagegen waren die Nonnen noch gold. Immerhin ging es jetzt geordneter zu. Ich bekam sogar ein Taschengeld. Die hatten offenbar Kohle. Viel Kohle; denn jetzt wurde renoviert. Wie die das ertragen haben, dass wochenlang Handwerker, also Männer! in ihrem sogenannten Elysium aus- und ein gegangen sind. Ich wusste ja nicht, was Feministinnen sind, und wie fanatisch die sein können. Ging mir erst ein Licht auf, als nur noch Weiber da waren, nur noch. Und wie bei den Nonnen, nur wenn ein Klo verstopft war, durfte ich ins Haus. Und das war oft. Ich frage mich auch warum. Ich sagte Ihnen ja, einmal Hugo, immer Hugo! Letztlich war das wie ein weltliches Kloster, eine riesige Wohngemeinschaft nur für Frauen. Alles Männliche verpönt. Ich habe dann so Zeitschriften aus dem Müll geholt! Da sind mir erstmal die Augen aufgegangen! Das ideale Leben - ohne Männer!
Aber ganz haben das nicht alle durchgehalten. Da flossen dann Schweigegelder, weil ich immer mal einen Mann über den See gerudert habe. Der wurde dann in der Grotte hinter der Muttergottes von Lourdes versteckt oder wartete im Bootshaus auf sein nicht gar so konsequentes Emanzenliebchen, und dann ging da was ab. Ich hatte ja den Schlüssel zur Grotte und zum Bootshaus. Ein heißes Spiel. Da hat es dann auch eine Katastrophe gegeben: Die Frau wurde mit Schlägen traktiert und weggejagt; von dem Mann fand ich keine Spur, nur alles voll Blut!
Nachdem dann der Sanatoriumsflügel angebaut wurde, kamen ja auch viele Männer. Manche waren ja gar nicht krank oder so. Konnte man mir ja nicht weismachen. Einer hatte sich mal tagsüber draußen versteckt, seine Tussi konnte aber nachts nicht raus. Wurde ja abgeschlossen. Die ist dann über ein Kellerfenster rausgeklettert. Ach und überhaupt der Keller, den müssen Sie sich mal ansehen. Da haben die Emanzen ihre Pillen selber hergestellt. Haben auch experimentiert. Dann ist einer an so einer Pille hopps gegangen. Den musste ich bei Nacht und Nebel begraben. Da fing das an mit der Doppelbelegung. Denn der sollte natürlich nie gefunden werden. Die Chefin gab mir die Anweisung. Sie meinte, unter den alten Grabplatten müsse doch jetzt Platz sein.“
Читать дальше