„Sagt dir der Name Erlau Hephram etwas?“, erwiderte er.
„Ich habe ihn gehört, ja. Aber mehr weiß ich nicht davon.“
„Du meinst den Erlau Hephram, der seiner Nachwelt ein angeblich kryptisches Erbe hinterlassen hat“, vergewisserte sich Valea.
Sie erinnerte sich daran, dass sie vor einer Weile auf diese Legende gestoßen waren, sie dann aber nicht weiter verfolgt hatten, weil ihre Ursprünge in unergründlicher Vergangenheit lagen, obwohl sie ihnen förmlich in Stein gemeißelt begegnete, es aber kaum andere Quellen darüber zu geben schien.
Erest nickte.
„Ja. Es ist zwar schon einige Zeit her, aber jetzt erinnere ich mich wieder“, sagte Valea. „Ich wäre allerdings kaum auf den Gedanken gekommen, diese Geschichte mit uns in Verbindung zu bringen.“
„Was wisst ihr über ihn?“, fragte Tjerulf.
„Hauptsächlich, dass er uns ein Rätsel ist“, erklärte Meneas. „Aber es ist sicher, dass er tatsächlich einst gelebt hat, denn wir fanden Zeugnisse von ihm in den Eisbergen in Gilgalen. Es war in einer Höhle, die sich nicht weit von dem Bergwerk entfernt befindet. Und er scheint tatsächlich ein Mystiker gewesen zu sein, jedenfalls behaupten das die spärlichen Schriften, in denen er erwähnt wird. Woher er kam?“, Meneas zuckte mit den Achseln. „Wir wissen es nicht, aber er soll sich in mehreren Ländern herumgetrieben haben, ohne irgendwelche Spuren seiner Herkunft oder seines Hinganges zu hinterlassen.“
„Hm, na ja, diese Höhle wird sicher gut versteckt und nicht leicht zu finden sein“, meinte Tjerulf. „Obwohl Durhad, Trywfyn und ich schon zweimal dort oben waren, sind wir nicht auf sie gestoßen. Allerdings haben wir sie auch nicht gesucht, weil wir von ihr nichts wussten. Dass sie existiert, ist aber interessant.“
Der Name dieses Mystikers war sowohl Tjerulf als auch seinen Freunden bekannt, aber sie waren nicht sicher, ob sich wirklich eine geschichtliche Gestalt dahinter verbarg, denn außer wenige schriftliche Erwähnungen hatten sie nichts gefunden, was seine menschliche Existenz bewies. Wenn sich jedoch handfeste Hinweise finden ließen, wären sie für Interessierte allemal eine kleine Sensation, auch wenn die Bedeutung Hephrams dann immer noch unklar war.
„Sie liegt tatsächlich sehr versteckt“, erklärte Valea. „Diese Höhle ist jedenfalls nicht weit von dem Bergwerk entfernt. Ich bezweifle jedoch, dass es zwischen beidem eine Verbindung gibt, weder räumlich noch zeitlich. Außerdem ist die Schrift auf den Wänden zwar sehr alt, aber eindeutig elveranisch, daher ist anzunehmen, dass die Höhle erst nach dem Ende der Ax´lán-Kultur genutzt wurde, und in einer Weise, dass der Nachwelt Spuren dieser Nutzung erhalten blieben. Die elveranische Schrift entstand, soweit wir wissen, erst nach der ax´lánischen. Aber es sieht ganz so aus, dass derjenige, der die Zeichen graviert hat, von dem Chrysalkristall wusste. Das versteht nur, wer wie wir mehr über die Geschichte weiß. Seine Botschaft scheint eine gewisse Weissagung zu beinhalten.“
„Wann wart ihr dort?“, fragte Tjerulf.
„Vor drei oder vier Jahren“, schätzte Meneas.
„Vor vier Jahren“, erinnerte sich Valea genauer.
„Also vor uns“, meinte Tjerulf. „Aber das hat keine Bedeutung. Ich weiß nur noch nicht genau, worauf du hinaus willst, Erest. Was hat das mit uns zu tun?“
„Ja, was steht dort denn nun?“, fragte Freno ungeduldig. Seine Spannung wuchs. „Damals waren Anuim und ich noch nicht bei euch.“
„So hört denn meine Worte“, forderte Erest seine Begleiter übertrieben feierlich auf. „Das Vermächtnis von Erlau Hephram, wie er es selbst nennt, ist genau genommen eine Prophezeiung und nichts Gegenständliches. Erlau Hephram scheint ein kenntnisreicher Mystiker in ferner Vergangenheit gewesen zu sein und sein Name erscheint nicht nur in dieser bezeichneten Höhle. Wir fanden ihn auch in einigen Dokumenten. Allerdings haben die uns nicht auf die Spur der Höhle gebracht. Vor wie vielen Jahren dieser Erlau Hephram oder auch Erlauban Hephramban, wie er in der alten Sprache genannt wurde, gelebt hat, wissen wir nicht. Genauso wenig über sein Leben und über die Art seines Wirkens. Er war eben ein Mystiker.“
„Worum geht es denn nun in dieser Inschrift, die für uns so wichtig ist?“, wiederholte Freno in einer kurzen Pause.
„Nur Geduld“, ermahnte ihn Erest milde. „Es geht schon weiter. Die Behauptung, dass diese Zeichen ein Teil des Vermächtnisses des Mystikers an seine Nachwelt sind, stammt nicht von uns, sondern es stand so in der ersten Zeile. Er selbst mag es so beurteilt haben. Und nun zum Inhalt. Den genauen Wortlaut weiß ich nicht mehr, aber sinngemäß heißt es da, dass ein göttliches Artefakt einst abhandenkam und in neun Teile zerfallen sein soll. Das ist doch zumindest ein merkwürdiger Zufall, denn schließlich wurde der Chrysalkristall ebenfalls zerlegt. Wenn das Artefakt, von dem er spricht, mit Sicherheit auch nicht gleichbedeutend mit dem Kristall ist, immerhin ist die Rede von neun und nicht von sieben Fragmenten, so werden wir gleich sehen, dass es möglicherweise eine Verbindung zwischen beidem gibt. Es wird nicht näher erklärt, aber Hephram behauptet, dass der Besitzer des vollständigen Artefaktes beinahe göttliche Macht erlangt, eine Macht sowohl schädlicher als auch nützlicher Natur und nur schwer zu bändigen. Dieses Ding, es wird an späterer Stelle als »Sphäre« bezeichnet, was immer das Wort bedeuten mag, kam offensichtlich mit einer kleinen Anzahl von Göttern nach Elveran, die nur kurze Zeit blieben und es zurückließen. Später wurde es von Menschen gefunden. Da niemand wusste, was mit der Sphäre anzufangen war und bei ihrer Untersuchung anscheinend unwissentlich Fehler gemacht wurden, kam es zu bedauerlichen Unfällen, bei denen die Opfer aber nicht getötet, sondern verwandelt wurden.“
„Verwandelt?“, wiederholte Freno erstaunt. „In was?“
„Die Inschrift spricht von Drachen, die auch nicht näher beschrieben werden.“
„Drachen? Wer glaubt denn so etwas?“
„Nun, zumindest behauptet es die Inschrift“, meinte Erest. „Diese Drachen zogen nicht zerstörend durchs Land, wie ihnen, allerdings erst in späteren Legenden, nachgesagt wird, sondern versteckten sich in Höhlen in abgelegenen und unzugänglichen Gegenden, bis sie vergessen wurden, wie sie hofften. Möglicherweise, und hier drückt sich die Inschrift etwas unklar aus, wurde die Sphäre durch die Drachen selbst zerstört und die einzelnen Teile sind danach irgendwie verschwunden. Über ihren Verbleib ist nichts bekannt, zumindest äußert sich Erlau Hephram nicht dazu. Die Drachen schienen wenig Begeisterung dafür zu empfinden, die Gegenden unsicher zu machen. Sie ließen sich nur selten sehen und kämpften nur, wenn sie von Wichtigtuern herausgefordert wurden, dann aber heftig.“
„Zumindest das und auch ihre Existenz kann ich bezeugen, wenn ich die Drachen auch nicht selbst gesehen habe“, sagte Trywfyn. „Mein Großvater beobachtete einst eines dieser Wesen bei den nach ihnen benannten Drachenbergen, und obwohl sie sich gegenseitig sahen und nicht weit voneinander entfernt waren, machte das Tier nicht nur keine Anstalten, ihn anzugreifen, sondern zog sich sogar wieder zurück.“
„Daher ist ihre Geschichte ja auch viel unspektakulärer, als die Legenden behaupten“, meinte Idomanê, „aber so steht es tatsächlich in dieser Höhle, ich kann mich erinnern. Und nun weiß ich auch, worauf du hinaus willst, Erest.“
„Ihr meint, sie verstecken und bewachen die Fragmente des Kristalles“, schloss Anuim etwas voreilig. „Das könnte erklären, warum sie nicht daran interessiert sind oder waren, Aufsehen zu erregen. Aber warum oder für wen versteckten sie sie, wenn das alles wahr ist.“
„Ich glaube nicht, dass sie die Wächter sind“, sagte Meneas kopfschüttelnd. „Dann hätten Gnum und Osir davon gesprochen. Außerdem geht das aus der Inschrift nicht hervor. Und es liegt eine sehr lange Zeitspanne zwischen dem Diebstahl des Kristalles und dem anscheinend viel früheren Auftauchen der Sphäre und der Drachen.“
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