Damit hatte er vollkommen Recht. Ramir war Dorians 1 Minute jüngerer Bruder. Er hatte zwar dasselbe Aussehen, doch merkte man recht schnell, dass es im Verhalten der beiden wesentliche Unterschiede gab. Ramir achtete sehr auf sein Aussehen, er war eher ruhig und diskret. Stets versuchte er allen gerecht zu werden und nur selten gelang es ihm. Dennoch war er beliebt. Überall, wo er neue Leute traf, blieb er in Erinnerung. Doch Ramir selbst wusste, dass er ein wichtiges Geheimnis in sich trug, was niemand außer ihm selbst wusste. Es war ihm noch nicht ganz klar, doch er schien es zu ahnen.
Oft stürzte er sich stundenlang in Bücher und Studien und vergaß dabei die Zeit, wie kein anderer Magier. Doch kam er nicht weiter, in seiner Vergangenheit genauso wenig wie in seiner Gegenwart und erst recht nicht in seiner Zukunft, die vermochten nur wenige zu sehen. Selbst die, die sie sahen, wussten aber dennoch, dass sie nicht gewiss ist und sich stetig wandeln kann.
Ramir führte Andru wieder hinaus auf den Vorhof des Klosters und ging direkt auf den beeindruckenden Tempel und Schrein Iknars inmitten des Klosters zu. Als er durch die Flügeltür eintrat, von der eine immer offen war.
Dies war nur möglich, da selbst in der Nacht, immer mindestens ein Mitglied des Hohen Rates des Lichts, im Heiligtum, dem Schrein Iknars war. Entweder lasen sie an verschiedenen Pulten, in uralten Chroniken oder Almanachen, in Sprachen die selbst Magier des 6. Kreises teilweise nicht entziffern konnten. Sie saßen auf einem der 5 goldenen Throne, welche jeweils an der Spitze eines Pentagramms standen oder berieten sich, in gedanklichen Reden mit den Oberhäuptern der verschiedenen Gebiete Artonas. Das Heiligtum war nie unbewacht, nur einmal, als Kaiser Boranto der II. von Largon, den Altmeistern den Befehl zum Aufbruch in das verlorene Tal gab.
Trotzdem sah man selten alle 5 Magier des Hohen Rates des Lichts auf ihren Thronen sitzen, nur zu einer Verhandlung, wie sie nun Andru bevorstand.
Pymos ergriff das Wort: “ Sehr geehrte Mitbrüder, Ihr Magier des 7. Kreises und Hoher Rat des Lichts, wir sind heute hier zusammen gekommen, um eine sehr wichtige Angelegenheit zu besprechen, sowie über Andru zu richten. Als Verhandlungszeuge und damit allem uns vorzuwerfenden Betrügen vorzubeugen, ist erschienen Ramir, Magier des Lichts, Gebieter über den 5. magischen Kreis des heiligen Iknars, Bruder Darions und Hüter des Wissens des heiligen Tempels, unser ehrenwerter Bibliothekar. Ich begrüße außerdem euch, Meister Garon, Meister Altoren, Meister Sahiro, Meister Ukarno, sprecht recht und wahr meine Brüder, vor unserem hohen Gott Iknar bleibt keine Lüge verborgen, auch seine Brüder Umodes und Almonara, würden unrechte Urteile bestrafen.
Die Anklage lautet: Diebstahl eines Artefaktes des Lichts, sowie Beschädigung eben jenes Gegenstandes. Eigentümer und damit auch Kläger ist niemand anderes als ich höchst selbst. Andru, bestreitest du dieses Verbrechen begangen zu haben?”
Andru blieb keine Wahl. Die Götter waren anwesend, das spürte er: “Nein.”
Dann hörte Andru zum ersten Mal die Stimme eines der anderen Mitglieder des Rates, Meister Garon ein dünner, hochgewachsener alter Mann, ein Gesicht, bei dem Andru, aus irgendeinem Grund, an einen Habicht denken musste. Garon hatte einen kleinen Spitzen Kinnbart und war das typische Bild, wie man sich einen Magier des Lichts in Andrus Heimat vorstellte. Arrogant, hochnäsig und über alles andere von sich eingenommen. Er sagte: “ Wieso beschäftigt sich der hohe Rat mit ihm, wieso hast du diesen Sklaven nicht sofort verbrannt? Was ist so besonders an ihm?” Das fragte er Pymos, welcher ein wenig forsch antwortete: “ Stell meine Entscheidungen nicht in Frage. Habe ich bisher je falsch gehandelt? Diese Entscheidung werde ich dir gleich, nach der Verhandlung, bei unserer Beratung genauer erklären. Ich bitte also um Urteilsvorschläge. Ich schlage vor, ihn in unsere Gemeinschaft aufzunehmen und sich zu verpflichten, sich für Iknar voll und ganz aufzuopfern. Er hat seine Schuld ihm gegenüber abzuarbeiten, bis Iknar selbst ihm Gnade gewährt. Meister Altoren?” Andru sah ihn voller Erwartung an, er selbst wäre erleichtert über dieses Urteil. Zumindest wäre er dann nicht mehr seinem Meister gegenüber verpflichtet, könnte ihn dennoch informieren ohne Angst zu haben, falls es ihm erlaubt wurde selbst Magier zu werden. Er konnte Sarbor ohne weiteres damit erklären, dass die Magier des Lichts die Befreiung der Altmeister planten und dass man in Kranon schon von einem drohenden Krieg redet. Der, für ein Mitglied des Hohen Rates, recht junge Magier Altoren stimmte für die Mitgliedschaft Andrus. Der oberste Magier fragte den nächsten Magier: “ Meister Sahiro?” Auch Sahiro, der etwas korpulenter gebaut war und ein recht ruhiges und entspanntes Gemüt hatte, stimmte für eine Aufnahme Andrus in den Orden des Lichts.
Noch zwei Stimmen und Andru hatte es überstanden, dennoch fürchtete er das Urteil von Garon. Pymos fragte jedoch anscheinend bewusst erst: “ Meister Ukarno?” Dem Ältesten Mitglied des Hohen Rates, welchen das Alter schon deutlich gezeichnet hatte. Sein Bart hing ihm, wenn auch gut gepflegt, bis zu seinem Hals herab. Ihm viel die Entscheidung wohl eher schwer, er blickte unsicher zu Garon hinüber, dieser mächtige alte Mensch schien etwas verängstigt, als er dann doch mit schwacher Stimme sagte: “ Ich stimme diesem Urteil zu.” Vier von fünf Stimmen hatte er, brauchte er ein einstimmiges Ergebnis oder reichte das?
Nur aus reiner Routine fragte Pymos noch obwohl das Ergebnis jetzt eindeutig war und ihm leicht ums Herz wurde: “Und Meister Garon?”
Garon sagte nur: “ Wenn dies der Wille Iknars ist, so werde ich mich dem beugen.”
Damit sagte Pymos erleichtert: “ Im Namen der Götter Iknars, Umodes und Almonaras, sie sind unsere Zeugen und Meister Ramir, ich bitte um unsere Entlastung und die Verkündung des Urteils. Sprecht den Willen der Götter und das Urteil über Andru.”
Ramir fühlte eine gewisse Erregung bei dem Klang dieser Worte, dass musste er sich eingestehen, allerdings könnte es auch an der gesamten Atmosphäre liegen und daran, dass er in der Gegenwart aller 5 hohen Magier und besonders in der Gegenwart Meister Altorens immer ein wenig ehrfürchtig war.
Er empfand Bewunderung für diesen jungen Magier, er sah ihn als Vorbild und strebte eine ähnliche, steile und schnelle Karriere an.
Doch musste er sich jetzt zusammenreißen: “ Ich entlaste den Hohen Rat und spreche im Namen der Götter: Andru ist schuldig des Diebstahls des Artefakts des Lichts von Pymos von Kohenstein, Meister des Feuers und Lichts, hoher Magier und Herr über den 7. Kreis der Magie des Iknars. Ebenso ist er schuldig jenes Artefakt beschädigt zu haben.
Das Urteil, beschlossen von den Göttern, lautet wie folgt: Andru verpflichtet sich dem Schwur des Lichts, er arbeitet seine Schuld ab in der Gemeinschaft des Iknars, so lange bis dieser selbst ihn von seiner Schuld befreit und ihn begnadigt.
Er soll Iknars Gnade bekommen oder seine Schuld abtragen, bis er eingeht in Almonaras Welt. Dies ist das Urteil, der Wille und die Entscheidung der Götter.”
Andru wusste gar nicht, wie ihm geschah. Das hieß er wurde ein Lehrling der Magier des Lichts. Kein Kerker, keine Strafe, einfach nur arbeiten und das, sehr wahrscheinlich, unter wesentlich besseren und höflicheren Bedingungen, als in seiner Heimat.
Jetzt ergriff Pymos wieder das Wort und stand gleichzeitig auf: “Aber um ein guter Lehrling zu werden, brauchst du beide Arme. Reiche mir deinen verbrannten Stummel.”
Andru tat, wie ihm geheißen wurde. Pymos konzentrierte sich auf seinen Körper und Geist, er spürte die abgestorbenen Zellen, er merkte, dass die Verbrennung sehr stark war und teilweise das Gewebe bis auf den Knochen zerstört war. Nun, ein magisches Artefakt konnte die Magie nicht kontrollieren, es ließ sie einfach frei. Dennoch war das nichts, was man nicht reparieren konnte. Er schickte etwas magische Energie in Andrus Körper, leitete sie zu dem rechten Arm und befahl den Zellen, sich wieder aufzubauen. Zuerst befahl er es den Gefäßen, durch die das Blut floss, danach waren Muskeln, Sehnen und Bänder dran. Es dauerte knapp 5 Minuten, dann fehlten nur noch Haut und Haare, auch die rekonstruierten sich wie von selbst, auf Befehl von Pymos hin.
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