RUPERT SCHÖTTLE
DIE WEISHEIT
DER GÖTTER
GROSSE DIRIGENTEN IM GESPRÄCH
Für Karin und Mariam
Cover
Titel RUPERT SCHÖTTLE DIE WEISHEIT DER GÖTTER GROSSE DIRIGENTEN IM GESPRÄCH
Widmung Für Karin und Mariam
Geleitwort vonClemens Hellsberg
Vorwort
Das PhänomenDaniel Barenboim
Der KompromissloseBertrand de Billy
Der ProvokateurPierre Boulez
Der TheatermacherChristoph von Dohnányi
Der ZauberlehrlingGustavo Dudamel
Der PhilanthropChristoph Eschenbach
Der WidersprüchlicheÁdám Fischer
Das NaturtalentDaniele Gatti
Der UferloseValery Gergiev
Der DemütigeBernard Haitink
Das WunderkindDaniel Harding
Die InstanzNikolaus Harnoncourt
Der PerfektionistMariss Jansons
Der WagemutigePhilippe Jordan
Der ZurückhaltendeFabio Luisi
Der MenschenfängerZubin Mehta
Der ÜberzeugungstäterIngo Metzmacher
Il MaestroRiccardo Muti
Der PhilosophKent Nagano
Das MonumentMstislav Rostropovitch
Der LinksauslegerDonald Runnicles
Der GrandseigneurWolfgang Sawallisch
Der UnangepassteChristian Thielemann
Der ErnsthafteFranz Welser-Möst
Die WegbereiterinSimone Young
Bildnachweis
Literatur
Weitere Bücher
Impressum
Zu jedem großen Kunstwerk führen viele Wege! Auch wenn diese Feststellung, weil scheinbar selbstverständlich, banal klingen mag – es ist die Unerschöpflichkeit des Zugangs, welche die eigentliche Größe eines Kunstwerks ausmacht, sind doch in ihm die Freuden und Leiden, die Fragen, Ängste und Hoffnungen weiter Teile der Menschheit sublimiert. Die Musik im Besonderen zählt nicht nur zu den flüchtigsten der Künste, sondern bedarf auch der Vermittler und Vermittlerinnen, deren vornehmste Aufgabe es ist, in ihrer Sicht auf das jeweilige Werk die persönliche Auseinandersetzung mit dem Willen des Komponisten widerzuspiegeln.
Unter den Interpreten kommt wiederum den Dirigenten eine besondere Rolle zu, müssen sie doch das Publikum ebenso überzeugen wie ein Kollektiv, das sich im Falle von Spitzenorchestern aus Menschen mit ausgeprägten musikalischen Vorstellungen zusammensetzt. Natürlich bedarf es zusätzlich zu Begabung, schlagtechnischer Fertigkeit und genauer Werkkenntnis auch brennender Leidenschaft, reicher Fantasie und charismatischer Suggestionskraft, um bei der Aufführung die Erkenntnisse des eigenen Ringens um die Aussage des Kunstwerks vermitteln zu können.
Die Wiener Philharmoniker, die als unabhängiger Verein und somit als eine auf demokratischer Basis sich selbst verwaltende Musikergemeinschaft keinen „Chef“ haben, arbeiten mit allen führenden Dirigenten und sind daher permanent mit einem breiten Interpretationsspektrum konfrontiert. Es ist sehr zu begrüßen, dass das vorliegende Buch mithilfe einer objektivierenden Methodik – dieselben 16 Fragen für jeden Künstler – auch dem interessierten Publikum einen Einblick in die Vielfalt der Auseinandersetzung mit Musik ermöglicht. Gewiss werden die Leserinnen und Leser nach der Lektüre jene Dirigenten, welche hier zu Wort kommen, mit anderen Augen sehen; und vielleicht erschließt sich ihnen sogar auch ein ganz neuer, ganz persönlicher Weg zu den Werken unserer großen Meister.
Clemens Hellsberg
Vorstand der Wiener Philharmoniker von 1997 bis 2014
Der Grundgedanke des vorliegenden Buches lag darin, die berühmtesten Dirigenten mit denselben 16 Fragen zu konfrontieren, also keine Interviews im herkömmlichen Sinne zu führen, sondern auf diese Weise Meinungen und Standpunkte direkt vergleichbar zu machen, was letztlich einem Interpretationsvergleich nicht unähnlich ist. Auf diese Weise ergeben sich für die Leser höchst aufschlussreiche Erkenntnisse, die ohne ein Eingreifen des Autors zustande kamen. Was durchaus in seinem Sinne ist, steht beziehungsweise stand er doch mit allen porträtierten Dirigenten in persönlichem oder gar freundschaftlichem Kontakt.
Natürlich ist es möglich, dass die von mir getroffene Auswahl Widerspruch herausfordert.
Dazu einige klärende Worte: Ich habe ausschließlich die Maestri interviewt, mit denen ich musiziert habe … Leider haben nicht alle, die ich wegen der Beantwortung der Fragen angesprochen habe, dieser Bitte entsprochen. So lehnten beispielsweise Claudio Abbado, Riccardo Chailly, Sir Simon Rattle, Lorin Maazel oder Kirill Petrenko ihre Mitwirkung an diesem Projekt ab.
Falls Sie, verehrte Leserin, verehrter Leser, Ihren Liebling hier nicht finden, sollten Sie bedenken, dass eine solche Auswahl begrenzt und natürlich auch von subjektiven Kriterien abhängig ist. Auch habe ich den Zeitpunkt abgewartet, bis meine aktive Zeit bei den Wiener Philharmonikern beendet war. Das erklärt auch, warum dieses Buch erst jetzt herauskommt, obwohl die Gespräche in den Jahren zwischen 2005 und 2016 geführt wurden.
Rupert Schöttle
DANIEL BARENBOIM
*15. November 1942, Buenos Aires
„Daniel Barenboim ist ein Phänomen.“
Dieses oft zitierte Urteil des großen Wilhelm Furtwängler über den damals Elfjährigen hat bis heute nichts von seiner Gültigkeit eingebüßt. Denn Barenboim hat eigentlich zwei Weltkarrieren gemacht. Seinen ersten Klavierabend, ausschließlich mit Werken Beethovens, gab er 1950 mit sieben Jahren in seiner Heimatstadt Buenos Aires, bei seinem Dirigierdebüt war er gerade einmal 18 Jahre alt. Mit 27 leitete er erstmals die Berliner Philharmoniker, ein Jahr später das Chicago Symphony Orchestra.
Seit über 50 Jahren ist Barenboim also eine der dominierenden Persönlichkeiten des Klassikbetriebs. Dabei ist er gerade einmal Mitte 70 – mithin also im besten Dirigentenalter – und noch immer voller Tatendrang , was immer schon einer seiner wesentlichen Charakterzüge war. 2002 etwa veranstaltete er an der Berliner Staatsoper einen Marathon, wobei er innerhalb von vier Wochen zweimal alle zehn bedeutenden Wagner-Opern dirigierte. Wer damals glaubte, er hätte deshalb sein Klavierspiel hintangestellt, der irrte. Nachdem er 2004 Johann Sebastian Bachs gesamtes Wohltemperiertes Klavier eingespielt hatte, bot er kurz darauf sämtliche Beethoven-Sonaten im Wiener Musikverein und in Berlin dar.
Doch man würde Barenboim nicht gerecht, grenzte man ihn alleine auf seine künstlerischen Aktivitäten ein. Denn auch politisch hat der Tatmensch einiges zu sagen. War er schon beim „Mauerfall“ in Berlin ein unermüdlicher Brückenbauer zwischen Ost und West gewesen, versuchte er dies auch in seiner Wahlheimat, als er 1999 zusammen mit dem palästinensischen Literaturwissenschaftler Edward Said das West-Eastern Divan Orchestra gründete, in dem er junge Musiker aus Israel und den arabischen Ländern alljährlich zusammenführt, das unterdessen beachtliche Erfolge aufzuweisen hat und das er als das „wichtigste musikalische Projekt“ seines Lebens ansieht.
Читать дальше