Irritiert setzte sich der Fürst wieder auf die warmen Steine der Brunnenmauer. Sobald er darüber nachdachte, war ihm klar, dass Esterhazys Angebot weder provozierend noch beleidigend gewesen war. Im Gegenteil, es war Roman nicht entgangen, dass der Ritter zu keiner Sekunde den ihm gebührenden Abstand bewahrt hatte, allerdings in einer so unauffälligen Lässigkeit, dass man es auch für Zufall halten könnte. Aber nein, Esterhazy schien tatsächlich das im Sinn gehabt zu haben, was er so verblüffend offen gesagt hatte.
Roman sprang kurz entschlossen auf und eilte ihm nach. Noch bevor er sich die Frage, wohin sich der Baron gewandt haben mochte, ganz gestellt hatte, sah er ihn im Gespräch mit einem dunkel gekleideten schlanken Mann unter einem der Torbögen stehen. Kaum gewahrten sie den Fürsten, verschwand Esterhazys Gesprächspartner seitlich im Schatten des Gemäuers. Aufmerksam blickte der junge Baron ihm entgegen. „Baron Esterhazy, ich habe meine Meinung geändert. Es wäre mir eine Ehre“, begann Roman ohne Umschweife. Er suchte im Gesicht des Barons nach einem Zeichen von Selbstzufriedenheit, doch Esterhazys Lachen drückte nur Freude aus. „Oh, die Ehre ist bestimmt auf meiner Seite, Fürst Gorderley. Ich stehe zu Eurer Verfügung.“ Roman sah sich um. Im Schatten der Torbögen konnte er nichts erkennen, auch wenn seine Bewacher dort sein mussten. Es hätte unangenehmer sein können, in Gorderley hätte sich ein Gefangener wie er nie ohne einen Begleiter an der Seite bewegen können - er schüttelte den Kopf, nein, in Gorderley hätte man ihn noch am Tage seiner Ankunft eingekerkert und höchstens so lange mit der Hinrichtung gewartet, bis man ihm jedes Geheimnis unter der Folter entrissen hätte. Esterhazy sah seinen Blick und verstand sein Kopfschütteln falsch. Zum ersten Mal verlor er sein gut gelauntes Lächeln, als er sagte: „Ihr könnt es wohl kaum übel nehmen, wenn man Eure Schritte überwacht, Fürst Gorderley. Aber ich bin keiner von der stillen Garde des Königs.“ Es war mehr eine Feststellung und selbst die hörte sich noch so an, als sei es dem Baron nicht wirklich wichtig, was der Fürst von ihm dachte. Roman legte die Hand auf den Schwertknauf und deutete auf die sauber geharkte Sandfläche vor ihnen. „Hier?“
„Jetzt? Natürlich, wenn Ihr meint.“ Esterhazy wirkte einem Moment verwirrt, nickte dann aber begeistert. Er wartete, bis Roman sein Schwert zog, bevor er zu seiner Klinge griff und sich dem Fürsten gegenüberstellte.
Es war ein anderes Fechten, als mit dem Waffenmeister. Sowohl an Können als auch an Erfahrung war Roman dem Ritter weit überlegen. Dennoch begann ihm die Begegnung schon nach wenigen Aktionen Spaß zu machen. Er war im Herzen ein Krieger und die tägliche Übung, die Teil seines bisherigen Lebens gewesen war, fehlte ihm sehr. Esterhazy machte seine Sache nicht schlecht. Was ihm an Kraft fehlte, glich er durch Gewandtheit aus und immer wieder überraschte er durch unorthodoxe Variationen und Kampfzüge. Überhaupt hatte sein Stil etwas Verspieltes, das den Fürsten mehr als einmal erstaunte. Wenn er mit dem Waffenmeister focht, erkannte er in dessen Kampf die strenge gordische Ausbildung, die dieser als Kampfsklave erhalten hatte und die sich kaum von Romans eigener Ausbildung unterschied. Jeder Hieb war präzise, jede Bewegung darauf ausgelegt, mit minimalem Krafteinsatz maximalen Erfolg zu erreichen. Esterhazy dagegen schien lieber den eleganten Schwung einer Bewegung zu genießen als unbedingt an deren Effizienz interessiert zu sein. Es hatte etwas jungenhaftes, wenn er eine erfolgreiche Aktion mit einem Begeisterungsruf kommentierte und nur einmal runzelte er ärgerlich die Stirn, als eine Attacke des Fürsten ihn zwang, unkontrolliert auszuweichen und er über seine eigenen Füße stolperte. Dabei schien ihn die kurze Unbeholfenheit, die seine fließenden Bewegungen unterbrach, mehr zu stören, als der Umstand, dass seine Abwehr überwunden worden war.
Die sauberen Linien auf dem Sandplatz waren zertreten und beiden Männern lief der Schweiß vom Gesicht, als sie schließlich aufhörten. Roman nickte anerkennend. „Es war mir ein Vergnügen.“ Esterhazy rang nach Luft. „zu viel des Lobes“, keuchte er und stützte sich auf sein Schwert. „Das war ziemlich aufregend, macht Ihr Euch nie Sorgen, verletzt zu werden?“ Erst in diesem Moment erinnerte sich Roman, dass die brandaianischen Ritter normalerweise nur mit stumpfen Übungsschwertern trainierten. Der junge Baron hatte ihm einen erstaunlichen Vertrauensvorschuss gewährt, als er sich auf den Kampf mit scharfen Waffen einließ. Jetzt grinste er und zupfte an seinem schweißnassen Hemd: „Mein letztes sauberes Hemd, ich sollte vorsichtiger damit umgehen.“ Er blickte an dem Fürsten vorbei. Roman drehte sich um und sah den dunkel gekleideten Mann neben einem Busch stehen. Esterhazy winkte ihm zu: „Fürst Gorderley, darf ich Euch meinen Freund Bernd vorstellen?“ Er übersah einfach das Stirnrunzeln von Romans Beschatter, der nach kurzem Zögern näher kam. In Gorderley wäre die Nennung eines Namens durchaus eine übliche Vorstellung, aber in Brandai, wo es, so kam es dem Fürsten vor, fast so viele Titel wie Menschen gab, war sie mehr als ungewöhnlich. Dennoch machten weder Esterhazy noch sein Freund Anstalten, eine Erklärung hinzu zu setzen. Bernd trug keine sichtbaren Waffen, aber er wirkte gefährlich wie eine Schlange. Der Fürst war erstaunt, von der stillen Garde des Königs noch nichts gehört zu haben. Offenbar gab es auch in Brandai Männer, denen ihre Treue zum König mehr bedeutete, als ihre Stellung am Hof. Bernd hatte scheinbar nicht einmal einen Familiennamen. Roman verstand, dass schon die Tatsache, dass sein Bewacher sich ihm offen zeigte, eine Anerkennung darstellte. Fraglich nur, ob sie ihm oder Esterhazy galt.
Er deutete einen Gruß an. Bernds helle Augen taxierten ihn ohne Zurückhaltung, als er direkt vor ihnen stehen blieb. Mit sanftem Tadel sagte er zu Esterhazy: „Wie immer sehr spontan, Stefan, damit hast du zumindest die Überraschung auf deiner Seite, wenn du kämpfst.“ Roman war sich sicher, dass er seine Worte gar nicht auf den Kampf bezog, aber Bernd sprach schon weiter, „eine schöne Vorstellung“, wandte er sich an den Fürsten, „sehr aggressiv Euer Schwert. Sehr ausgewogen Eure Technik, allerdings verlasst Ihr Euch vielleicht zu sehr auf die Stärke Eures Waffenarmes. Das könnte problematisch werden, sogar für jemanden, der seine Waffe zweihändig führen kann.“
Sekundenlang war Roman sprachlos. Es war lange her, dass es jemand gewagt hatte, ihn offen zu kritisieren. Bernd ließ ihn nicht aus den Augen und schien auf irgendeine Reaktion zu warten, aber Roman hatte sich in der Gewalt. Er wartete einen Moment, bevor er mit fein dosierte Schärfe entgegnete: „Ihr könntet Recht haben, allerdings ist der Fall bisher noch nicht eingetreten. Darf ich Euch um einen Waffengang bitten?“ Seine Antwort rief ein Beinahe-Grinsen auf dem verschlossenen Gesicht des Brandai hervor, der nun zurück trat und sich knapp verbeugte: „Ich bitte um Verzeihung für meine unbedachten Worte, Fürst Gorderley. Das Schwert ist Euer Metier. Es ist immer ein Vergnügen, einem Meister darin zuzusehen.“
Roman war sich sicher, dass keines der gesagten Worte unbedacht gewesen war. Er hatte in Brandai bisher keinen Menschen getroffen, der sich so perfekt unter Kontrolle hatte wie dieser Angehörige der Stillen Garde. Mochte das Schwert nicht seine Waffe sein, so war er mit Sicherheit ein Meister in anderen Disziplinen. Dennoch war seine Aufgabe nur die Überwachung des Fürsten, er hatte kein Recht, ihn zu prüfen. Der Fürst beschloss, den Spieß umzudrehen. „Das Lob eines Meisters ist immer erfreulich“, begann er, „allerdings hat auch der Kampf ohne Waffen seine Grenzen, und davon abgesehen, scheint er hier in Brandai nicht sehr verbreitet.“ Nur ein kurzes Weiten der Augen verriet, dass Bernd die Spitze verstanden hatte: Ohne Vergleiche konnte sich jeder leicht als Meister fühlen. Der Fürst war weit davon entfernt, den Brandai zu unterschätzen. Er hatte davon gehört, dass es in anderen Teilen Eldorads Krieger geben sollte, die einen Schwertkämpfer allein mit ihren Händen entwaffnen und niederschlagen konnten. Es war ihm bisher unwahrscheinlich vorgekommen, aber Bernds raubtierhafte Gespanntheit erinnerte ihn an einen lang vergangenen Abend, als er mit seinem Schwertherrn über die Vorzüge einzelner Waffengattungen diskutierte. Der Waffenmeister hatte nachdenklich geäußert, dass die Wertschätzung der Gorderley für das Schwert eher traditionelle Gründe habe, da es eine Reihe mindestens gleichwertiger Techniken gäbe. Damals beschrieb er die waffenlosen Kämpfer aus den tiefen Wäldern im Süden Eldorads, wo Schwerter aufgrund ihres Raumbedarfs nutzlos waren. Nicht die Waffe mache den Krieger aus, der Einsatz der richtigen Waffe bestimme den Erfolg, hatte der Waffenmeister erklärt. Nun, vielleicht hatten die waffenlosen Techniken ihren Weg nach Brandai gefunden.
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