Peter Hamm - Die Welt verdient keinen Weltuntergang

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Kritiken, Laudationes und Essays, die Peter Hamms Leidenschaft zur Literatur und seine umfangreichen Kenntnisse zeigen.
Eigentlich wollte Peter Hamm, dieser lebenslange Bewunderer von Schriftstellern und ihren Werken, gar kein Kritiker sein. Aber dann wurden die Zeitungskritik, der Essay und die Laudatio zu seinem Medium, in dem er seine enormen Kenntnisse und Einschätzungen am besten präsentieren konnte, ohne auf seinen enthusiastischen Zugriff zu verzichten. Aus dem umfangreichen Nachlass hat nun sein Freund Michael Krüger eine Auswahl zusammengestellt, die sowohl die Breite der Interessen von
Peter Hamm als auch dessen Vorlieben zeigt. Es sind die Dichter, die er sein Leben lang begleitete: von Peter Huchel, Günter Eich und Johannes Bobrowski bis zu Volker Braun, Peter Rühmkorf und Heiner Müller, von Paul Celan und Ilse Aichinger bis zu Klaus Merz. Eingerahmt wird der Band mit einem Text über Goethe und Erinnerungen an Walter Warnach und Max Rychner, die den jungen Peter Hamm ermuntert haben, seiner wahren und grundsätzlichen Leidenschaft zur Literatur essayistisch Ausdruck zu verleihen.
Viele der Texte standen zum Teil vor Jahrzehnten in Zeitungen (vor allem in der ZEIT und der NZZ), andere sind als Laudationes bei Petrarca-Preisverleihungen vorgetragen worden. Bislang ungedruckt ist eine längere Einführung zu einer letztlich nicht erschienenen Anthologie deutschsprachiger Poesie, in der er seine Einschätzung der lyrischen Produktion der Nachkriegszeit zusammengefasst hat.

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Peter Hamm

Die Welt verdient keinen Weltuntergang

Aufsätze und Kritiken

Herausgegeben und mit einem Nachwort von Michael Krüger

Wallstein Verlag

EDITION PETRARCA

Herausgegeben von Hubert Burda, Peter Hamm (†),

Peter Handke, Alfred Kolleritsch (†)

und Michael Krüger

Inhalt

Goethes Nöte – Nöte mit Goethe

»Der Krieg wird nicht mehr erklärt, sondern fortgesetzt« Deutschsprachige Lyrik nach 1945

Gedichte und Katastrophen Zu einer außergewöhnlichen Anthologie von Wulf Kirsten

Woher? Wohin? Lyrische »Luftfracht«: Harald Hartungs anthologischer Versuch,das »Museum der modernen Poesie« fortzuführen

Der Krieg wird nicht mehr erklärt, sondern fortgesetzt Politische Poesie des zwanzigsten Jahrhunderts in einer Anthologie von Joachim Sartorius

»Am meisten leben in unserem Lande die Toten« Zu einer Anthologie moderner Poesie in der Schweiz

Bertolt Brecht – ein Klassiker? Anmerkungen zu Suhrkamps Gesamtausgabe

Der Affe Pessoas oder Die fette Sphinx Vor hundert Jahren starb der portugiesische Dichter Mário de Sá-Carneiro

Selbst Pessoa selbst ist nicht Pessoa selbst Zum Erscheinen des Buches »Pessoa – Er selbst«

Auf Fernando Pessoas Spuren Antonio Tabucchis »Lissabonner Requiem«

Den Wind betrachten oder Umzingelung meiner selbst Antonio Tabucchi geht auf Reisen

»In der Mitte der Dinge die Trauer« Zum hundertsten Geburtstag von Peter Huchel

Bescheidenes und dauerhaftes Entsetzen Zum sechzigsten Geburtstag von Günter Eich

Gedenkblatt für Ilse Aichinger

Ich gehe über den Strom … Zum Tod des Ostberliner Dichters Johannes Bobrowski

Das Leben hat die Gnade, uns zu zerbrechen Zum Briefwechsel Nelly Sachs – Paul Celan

Der letzte Meister des Liedes Erinnerung an den Dichter Georg von der Vring

Unversöhnt Etwas über Christine Lavant

Langeweile mit Denkmälern Ein unbekanntes Gedicht von Günter Grass und eine Erinnerung an den Dichter

Weithin schallende Selbstgespräche oder Walsers Wohl und Walsers Wehe Zu seinem fünfundsiebzigsten Geburtstag präsentiert Martin Walser einen Auswahlband aus seinem Werk

Was von der Herzkönigin blieb Heiner Müllers Gedichte

Ein gewinnender Verlierer Peter Rühmkorf als Tagebuchschreiber

Zornige Klagen, scharfe Fragen Volker Brauns Arbeitsbuch »Werktage 1990-2008« als Wende-Chronik

Der Provokateur aus Schwäche oder Ein Nachzügler Laudatio auf Josef W. Janker

Der Schlaf schlich herbei … Adelheid Duvanels Erzählungen besitzen eine herzzerreißende Zauberkraft

»Wo ich auch bin, bin ich nicht« Laudatio auf Klaus Merz

Nach den Katastrophen der Kindheit Über John Burnsides zweites Erinnerungsbuch und seine neuen Gedichte

Die Welt verdient keinen Weltuntergang Das lyrische Vermächtnis der polnischen Dichterin Wisława Szymborska

Das einzigartige Vermächtnis des Zbigniew Herbert Zum Erscheinen der sämtlichen Gedichte des polnischen Lyrikers

Der Krieg des Lichts Zbigniew Herberts Buch über die Holländer und ihre Malerei »Stilleben mit Kandare«

Dem Unglück nicht den ganzen Platz überlassen Notate von Philippe Jaccottet aus der Zeit von 1952 bis 2005

Tadeusz Borowski, »Auschwitz«

George Tabori, » Unterammergau oder Die guten Deutschen

Elias Canetti, »Die Provinz des Menschen«

Schöne Bescherung Gottfried Keller, »Weihnachtsmarkt«

Etwas wie eine Erlösung Georg Trakl, »Ein Winterabend«

Der Gezeichnete Marcel Reich-Ranickis Memoiren

Ins Herz des Labyrinths Zu den gesammelten Schriften von Walter Warnach

»Der Gang des Geistes von Wort zu Wort« Zum Briefwechsel Ernst Robert Curtius – Max Rychner

Nachwort von Michael Krüger

Impressum

Goethes Nöte – Nöte mit Goethe

»Manchmal habe ich das Gefühl, als ob Goethe nicht durch die Hölle des menschlichen Daseins gegangen ist, wie etwa Hölderlin und van Gogh, Poe und Dostojewski, und dass ihm darum doch manchmal etwas fehlt, das, was eben gerade die Allergrößten kennzeichnet«: Das schrieb 1944 im KZ Dachau der Häftling und glühende Goethe-Bewunderer Nico Rost.

Es gibt eine Sorte von Schriftstellern, es sind die Märtyrer der Literatur, vor denen wird alles, was man über sie sagt, vergröbernd, profan, unangemessen. Ihnen kann man nur entsprechen – oder nicht entsprechen. Sie appellieren weniger an unser Verständnis als an unsere Existenz. Hölderlin, Kafka, Robert Walser waren solche Autoren. Denen gegenüber ist, solange man sich selbst noch zweckmäßig zu verhalten versteht, Scham wohl die einzig angemessene Reaktion. Zu anderen Autoren, es sind die Repräsentanten, darf man Ansichten äußern, Widerspruch anmelden. Auch zu Goethe? Vom armen Mann im Tübinger Turm bis zum Herrn Geheimen Staatsminister in Weimar: Das ist jedenfalls der denkbar weiteste Weg. Und umgekehrt, von Weimar nach Tübingen, führt da überhaupt ein Weg?

Den Märtyrern der Literatur war alles vorgeschrieben, der Frankfurter Großbürgersohn hatte die Wahl. Scheinbar. Aber er brauchte ein Programm, ein Rechtfertigungs-Programm. Wenn Goethe die Märtyrer der Literatur so auffallend heftig abwehrte und das Klassische als das Gesunde gegen sie ausspielte, tat er es gewiss nicht aus mangelndem Verständnis, sondern als Verfechter seines Programms. Ihm passte die ganze Richtung nicht, die Richtung nach unten. In diese Richtung, in Richtung Abgrund und »Lazarettpoesie«, wollte er sich nicht ziehen lassen. Aber zog es ihn überhaupt? Musste er sich wehren? Der sich vor Beerdigungen so fürchtete, dass er zu keinem Begräbnis – nicht einmal dem der eigenen Frau – erschien, war ja wohl nicht lediglich eifersüchtig auf die anderen, die Schmerzensmänner, denen die Todesnähe selbstverständlich war. Werthers Leiden waren schließlich von der Art, dass dem Jüngling mit gelber Hose und blauem Frack nur der Griff zur Pistole blieb. In »Faust II« heißt es: »Jeder Trost ist niederträchtig, und Verzweiflung nur ist Pflicht.« Dass er sich, wo immer es ging, dieser Pflicht zu entziehen suchte, ist das nur vernünftig-verständlich oder vielleicht doch noch mehr?

Nachdem Goethe 1812 in Teplitz Beethoven kennengelernt hatte, schrieb er an Zelter: »Sein Talent hat mich in Erstaunen gesetzt; allein er ist leider eine ganz ungebändigte Persönlichkeit, die zwar gar nicht unrecht hat, wenn sie die Welt detestabel findet, aber sie freilich dadurch weder für sich noch für andere genussreicher macht.« Das ist Goethes Rechtfertigungs-Programm in nuce. Es lautet: Nur Bändigung garantiert ein bisschen Genuss! Aber der ungebändigte Beethoven leuchtet in der Teplitzer Konstellation freilich viel stärker. Der Bändigungspanzer des Repräsentanten (der Goethe damals längst ist) schützt nicht nur, er verbirgt und verfremdet auch.

»Goethes dauernde Fremdheit«, so überschrieb Joachim Fest eine noble Rede, mit der er sich für die Verleihung der Goethe-Plakette der Stadt Frankfurt bedankte. Fests Titel zielt auf zweierlei: wie sehr Goethe der Nation, die sich so gern seines Namens bedient, im Grunde fremd geblieben ist, aber auch, wie sehr er jene, die sich ihm zu nähern versuchten, immer wieder befremdete und abstieß. Schon Schiller bekannte: »Öfters um Goethe zu sein, würde mich unglücklich machen: er hat auch gegen seine nächsten Freunde kein Moment der Ergießung, er ist an nichts zu fassen … Er machte seine Existenz wohltätig kund, aber nur wie ein Gott, ohne sich selbst zu geben … Ein solches Wesen sollten die Menschen nicht um sich herum aufkommen lassen.« Dieses wahrhaft entsetzliche Resümee inspirierte Thomas Mann dann zu seiner Schiller-Erzählung »Schwere Stunde«.

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